Tichys Einblick
Covid-19-Pandemie in Kenia

Keine Angst vor Corona – aber vor dem Impfbus

Wer in Kenia Einwohner fragt, wie sie die Corona-Pandemie erlebt haben, kann beobachten, wie ihre sonst so strahlenden Gesichter düster werden. Die Krankheit selbst ist allerdings nicht der Grund dafür; die machte ihnen keine Angst. Dafür aber etwas anderes.

picture alliance / ZUMAPRESS.com | Dennis Sigwe

Löchrige, bunte Wellblechhütten reihen sich aneinander, während man in den Slums in Mombasa, Kenia, eine von Schlaglöchern, Müll und Dreck übersäte Straße entlanggeht. Vor den Hütten sitzen in farbenfrohe Tücher gehüllte Frauen und bereiten auf kleinen Gaskochern traditionell kenianische Gerichte zu: Chapati, Mandazi, Ugali und Pilao, ein würziges Reisgericht mit Kartoffeln, Karotten und Hühnchen – die Liste lecker duftender und noch leckerer schmeckender Gerichte ist lang. Diese füllen die Frauen dann in dünne Plastiktüten, die in Deutschland keine Hygieneprüfung bestehen würden, und verkaufen sie für wenig Geld.

Auf den Straßen in den Slums suchen Kinder im Müll nach Materialien, die sie zum Spielen nutzen könnten: Aus alten Reifen basteln sie sich Springseile; leere Dosen funktionieren sie zu Fußbällen um; dreckige Flaschendeckel werden zu Spielfiguren. Auch Ziegen durchsuchen den herumliegenden Müll und funktionieren ihn zu Ziegenfutter um.

In dieser Szenerie, in all dem Dreck und Müll, tauchten 2021 Impfbusse auf. Sie wollten die Menschen in den Slums kostenlos gegen Covid-19 impfen. Der Touristenführer Jonathan hat damals um diese Busse einen weiten Bogen gemacht: In Kenia gebe es nie etwas umsonst; alles koste Geld, sagt er. Dass eine Impfung kostenlos vergeben würde, sei für ihn und andere ein Zeichen dafür gewesen, dass damit etwas nicht stimmte. Darum wollte er die Impfung nicht. „Wir haben hier viel schlimmere Bakterien und Viren als Covid-19“, sagt er.

Und tatsächlich spielte Corona gesundheitlich kaum eine Rolle in Kenia: Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) gab es in Kenia bis heute rund 344.000 Infektionen mit Covid-19. Und das bei mehr als 55 Millionen Einwohnern. Im Vergleich zu Deutschland ist das ein Klacks: Hierzulande wurden mittlerweile mehr als 38,8 Millionen Infektionen erfasst. In Kenia sind dementsprechend auch viel weniger Menschen als in Deutschland an oder mit Corona gestorben, nämlich 5.700 Menschen. Innerhalb von fast fünf Jahren. Zum Vergleich: Tuberkulose gilt in Kenia als häufigste Todesursache. An dieser Infektionskrankheit, bei der Bakterien vor allem die Lunge aber auch andere Organe befallen, sind in Kenia allein im Jahr 2020 fast 20.000 Menschen gestorben.

Hinzu kommt, dass die Altersstruktur in Kenia eine ganz andere ist als in Deutschland: Alte Menschen sind auf den Straßen Kenias kaum zu sehen. Laut Statista lag der Altersdurchschnitt in Kenia im letzten Jahr bei 19,5 Jahren. Nur weniger als 3 Prozent der Kenianer werden älter als 65 Jahre. Dementsprechend gibt es in Kenia kaum Menschen, für die das Corona-Virus ein ernsthaftes Risiko darstellte. Für den Vergleich: In Deutschland sind mehr als 22 Prozent der Einwohner 65 Jahre alt oder älter und gehörten somit zur Risikogruppe während der Corona-Pandemie; das Durchschnittsalter liegt hierzulande bei 44,6 Jahren.

In Kenia spielte Corona, verglichen mit HIV oder Tuberkulose, also kaum eine gesundheitliche Rolle für die Bevölkerung. Das spiegelt sich auch in der Todesrate wider: In Kenia sinkt die Todesrate seit 1998 kontinuierlich. Dieser Trend setzte sich während der Pandemie fort. Während im Jahr 1998 noch 12.321 Menschen je 100.000 Einwohner gestorben sind, lag diese Rate im Corona-Jahr 2021 bei 5.414 Menschen. Diese Rate ist im Vergleich zu Deutschland immer noch recht hoch: In Deutschland sterben jährlich etwa 1.200 Menschen pro 100.000 Einwohner.

Dass die Kenianer andere Sorgen haben als das Covid-19-Virus, zeigt sich auch in den Impfraten: In Kenia sind nur knapp ein Viertel der Menschen einmal geimpft. Die vollständige Dosis hat sich sogar nur jeder Fünfte spritzen lassen. Jonathan ist offenbar nicht der Einzige, der vor den Impfbussen weggelaufen ist. Wegen dieser geringen Impfrate hat die kenianische Regierung, damals noch unter dem Präsidenten Uhuru Kenyatta, sogar eine Impfpflicht durchgesetzt, schreibt SRF: Jeder, der Busse, Züge, Flugzeuge benutzen oder Bars und Restaurants besuchen wollte, musste ein Impfzertifikat vorzeigen.

Aber viele Kenianer glauben nicht, dass der Regierung die Menschen in Kenia ernsthaft am Herzen lagen. Zu diesen Menschen zählt beispielsweise Stevens. Er betont, die allermeisten Politiker seien korrupt. Stevens ist ein magerer, freundlicher Mann, der seinen Abschluss als Bauingenieur und somit seine Chance auf eine gesicherte Zukunft fernab von der Armut an den Nagel gehängt hat, um eine kleine Grundschule in den Slums im Osten Mombasas zu eröffnen. In diese Schule können Eltern ihre Kinder schicken, wenn sie kein Geld haben, um die üblichen Schulgebühren zu zahlen. Das sei sein Beitrag dazu, die Armut in seinem geliebten Land zu bekämpfen und den Kindern Bildung und einen sicheren Ort zu schenken. Stevens kritisiert, dass die Regierung zu wenig tue, um die Armut in Kenia zu bekämpfen. Er vertraue der Regierung wegen ihrer korrupten Machenschaften immer weniger. Und entsprechend habe er der Impfung auch nicht vertraut und sie bis heute vermieden. Laut SRF ging es der kenianischen Regierung mit ihren Impfbus-Aktionen und ihrer Impfpflicht vor allem darum, die 15 Millionen Impfdosen, die sie dank Spenden lagerte, loszuwerden, ehe sie verfallen. Also nicht (nur) darum, die Infektionszahlen einzudämmen. Denn die waren bekanntlich ohnehin gering.

Aber auch wenn die Corona-Pandemie eine geringe gesundheitliche Rolle für die Kenianer gespielt hat. Was die Wirtschaft und vor allem die Armut anging, war sie eine einschneidendes Zeit für viele Kenianer: Viele Menschen verloren ihren Job, insbesondere jene, die in der touristischen Branche arbeiten. Wenn man Hotelangestellte zur Corona-Zeit befragt, verdüstern sich die sonst so strahlenden Gesichter: In Kenia gab es keine Kurzarbeit oder ähnliche Deals wie in Deutschland. Die Arbeitnehmer wurden einfach ohne Weiteres entlassen. In Kenia sind nach Angaben des kenianischen Arbeitgeberverbands FKE sogar ohne Corona-Entlassungen insgesamt 12,7 Prozent der Menschen arbeitslos – davon gehören zwei Drittel zur jungen Bevölkerung zwischen 15 und 34 Jahren.

Im Corona-Jahr 2020 wurde beispielsweise der Kellner Alfred entlassen. Er erzählt, wie er zu seiner Familie aufs Land zurück ziehen musste, weil er sich ohne den Job seine Wohnung in der Nähe von Mombasa nicht leisten konnte. Eineinhalb Jahre half er seiner Familie bei der Landwirtschaft und versuchte, das geerntete Gemüse und Obst auf Märkten zu verkaufen. Nur leider fehlten Abnehmer für das viel zu große Angebot der unzähligen Händler von Tomaten, Zwiebeln, Ananas und Bananen: Die Hotels, die normalerweise einen Großteil der Ware kaufen, hatten keine Besucher, die sie verpflegen mussten. Die Zeit sei hart gewesen, sagt Alfred. Dann hellt sich seine Miene wieder auf: Zum Glück sei er direkt wieder eingestellt worden, als das Hotel wieder geöffnet wurde, sagt er stolz.

John, ein freundlicher Mann, der an einer Hotelrezeption arbeitet, berichtet mit erstaunlich guten Deutschkenntnissen, wie es ihm in dieser Zeit ergangen sei: Er habe sich in der Zeit als BodaBoda-Fahrer versucht. Es habe zum Überleben gereicht, aber schön sei es nicht gewesen, sagt er.

Der Touristen-Führer Jonathan organisiert eigentlich Gruppenreisen in Mombasa und begleitet Touristen zu Museen oder Nationalparks. Während der Covid-Krise gesellte er sich zu seiner Frau, und sah ihr dabei zu, wie sie in den Slums verschiedene traditionelle Speisen für wenig Geld in Plastiktüten verkaufte, statt seinem geliebten Job nachzugehen, mit dem er ohnehin nur wenig Geld verdient.

So wie diesen Menschen ging es in der Corona-Zeit vielen: An der Küste in und um Mombasa reiht sich ein Hotel an das nächste. Sie alle sind – normalerweise – recht gut besucht. Denn Kenia bietet mit seinen weißen, endlos langen Sandstränden, dem türkisfarbenen Wasser, umgeben von atemberaubenden Palmen mit frischen Kokosnüssen, sowie seinen vielen tierreichen Nationalparks das perfekte Urlaubserlebnis für Touristen aus der ganzen Welt. Aber während der Pandemie blieben sämtliche Hotels leer und die Touristen weg. Entsprechend brauchte es keine Rezeptionisten, Masseure, Kellner und Touristenführer.

Die Armut im Land wurde somit noch gravierender. Nun, nachdem die Hotels wieder geöffnet und ihre ehemaligen Angestellten wieder eingestellt haben, wirken die Menschen erleichtert. Aber die Armut ist trotzdem nicht zu übersehen: Auf den vermüllten, kaputten Straßen tragen viele mangelernährte, dünne Menschen kaputte, dreckige Kleidung und Schuhe. Sie laufen in der Mittagshitze stundenlang an vielbefahrenen Straßen entlang, weil sie das Geld für die lokalen Transportmittel wie BodaBodas, Matatus oder TukTuks nicht übrighaben. Viele Familien in den Slums können es sich nicht einmal leisten, ihren Kindern das bescheidene Schulessen für umgerechnet 30 Cent zu finanzieren. Wenn diese Kinder durstig sind, kaufen sie sich an einem der vielen Kioske, die es an jeder Straßenecke gibt, gefrorene Softdrinks wie CocaCola oder Fanta. Daran nuckeln sie dann und lassen das Eis nach und nach schmelzen, sodass sie länger etwas von dem Getränk haben, als wenn sie sich das Getränk in kürzester Zeit herunterstürzen würden, um ihren Durst zu stillen.

Fließendes Leitungswasser gibt es in den Slums nicht. Schon gar keines, das man trinken kann, ohne sich eine Unmenge an Bakterien und Viren einzufangen. Und wenn das nur Corona-Viren wären, würden die Sterbestatistiken Kenias ganz anders aussehen.

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