Die britischen Konservativen versuchen anscheinend, alle Kästchen anzukreuzen. Nun soll es also eine Frau richten. Spötter werden sagen: Wie immer, wenn es für eine alt und schwach gewordene Partei schwierig wird. Die CDU versuchte das Gleiche nach Schäubles Abgang und rechnete nicht mit 16 Jahren Kanzlerschaft Merkel. Kemi Badenoch ist nicht nur eine Frau, zudem hat sie einen Großteil ihrer Kindheit in Nigeria verbracht, und sie ist die erste Schwarze an der Spitze der Tories, die es immerhin seit mehr als 200 Jahren gibt.
Badenoch – mit dem Geburtsnamen Olukemi Olufunto Adegoke – kam mit 16 Jahren nach Großbritannien, machte ihre A-Levels (analog dem deutschen Abitur) und arbeitete bei McDonald’s. 2012 heiratete sie den konservativen Abgeordneten Hamish Badenoch, der bei der Deutschen Bank arbeitet. Sie betrachtet Großbritannien nach eigener Aussage als das weltweit beste Land, um als Schwarze (oder als schwarze Frau?) zu leben.
In der Repräsentation des neuen „diversen“ Großbritanniens sind die Konservativen besser als die Labour-Partei, die ihre schwarze Vorderbänklerin Diane Abbott schon bald wieder verlor. Geblieben ist der blasse David Lammy als Außenminister, der aber vor allem damit beschäftigt ist, alten Rede-Schutt aus seiner politischen Laufbahn wegzuräumen, um im Jetzt nicht negativ aufzufallen – so etwa abfällige Bemerkungen über Donald Trump, den künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Starmer: Stolzer Moment für das Land
Doch ist Kemi Badenoch vielleicht nur ein Trick? Ist sie, wie nun ein nigerianischer Aktivist auf X mitteilte, nur „das prominenteste Mitglied der schwarzen Kollaborateur-Klasse der weißen Vormachtstellung“, der sogenannten „white supremacy“? Das ist ein Ausdruck voller Finten, der seine marxistischen Ursprünge durch das Wörtchen „class“ verrät. Der Autor Nels Abbey postuliert somit, dass es neben den eigentlichen Unterdrückern der Menschen schwarzer Hautfarbe in Großbritannien auch noch verbündete Klassen gäbe, die den weißen Unterdrückern ihre Helfersdienste anböten. Kemi Badenoch wäre demnach die Hauptrepräsentantin der „weißen Vorherrschaft mit schwarzem Gesicht“. Politisches Black-Facing der feinsten Art, das nicht alle Beobachter gleichermaßen mitbekamen.
Merkwürdig ist es schon, dass ein Politiker seine neue Konkurrentin so enthusiastisch begrüßt. Dabei steht Kemi Badenoch dem Premier politisch nicht wirklich nahe. Es ist nur ihre Hautfarbe, die dem Labour-Chef aus Gründen der historischen Gerechtigkeit (?) gefällt – von Badenochs Ansichten hält er aber an sich wenig und dürfte das bald bei den Prime Minister’s Questions beweisen. Oder er beweist seine Beißhemmung gegenüber einer politischen Konkurrentin, die zugleich Repräsentantin des historischen Kampfes um universale Gleichberechtigung ist. Auch so wird freilich die Wahl des Tory-Chefs in ein mild-sozialdemokratisches Fortschrittsnarrativ eingebaut. Man wird sehen, wie Badenoch damit umgeht.
Badenoch: Nicht alle Kulturen „gleichwertig“
Die neue Parteichefin hat Starmers Lob nicht erwidert, sondern Labour eindringlich davor gewarnt, dieselben Fehler zu begehen wie die Tories, als sie an der Regierung waren. Badenoch war selbst Ministerin unter Johnson und Sunak. Um welche Fehler es geht, sagt sie nicht so direkt. Aber man kann davon ausgehen, dass die jahrelangen Streicheleinheiten für Identitätspolitik, Transgender, Netto-Null beim CO2 und andere „Fortschrittsprojekte“ dazu gehören.
Jüngst erregte Badenoch Aufsehen, als sie sagte, nicht alle Kulturen seien „gleichwertig, wo es um Zuwanderung geht“. Von welchen Kulturen sie genau sprach, blieb wiederum unklar. Darüber hinaus seien einige Staatsdiener „so schlecht, dass sie ins Gefängnis gehören“. Gewählt wurde Badenoch mit eher schmaler Mehrheit von 56,6 Prozent zu 43,4 Prozent für ihren Hauptrivalen Robert Jenrick, der zuvor Staatssekretär im Innenministerium war und diesen Posten wegen des Ruanda-Debakels von Rishi Sunak aufgab.
Beide gelten als Parteirechte, sind mit Anfang 40 relativ jung, beide haben ihre Ecken und Kanten. Die Wahlbeteiligung lag für Tory-Verhältnisse bei eher spärlichen 72,8 Prozent. Das zeigt, wie mobilisiert die Partei normalerweise ist – und dass sie sich derzeit in einer ernsten Krise befindet, was allein schon die Wahlerfolge von Reform UK zeigen, das mancherorts mit den Konservativen gleichzog, sie gar überflügelte und Sitze gewann. Für das UK sind das schon fast grundstürzende Verhältnisse.
„Die Wahrheit sagen“, „für Grundsätze eintreten“, „Neuanfang“ waren die etwas beliebigen Stichworte, aus denen Badenochs erste Reaktion nach der Verkündung des Ergebnisses bestand. Dagegen beharre Labour auf „diesem kaputten System“, das auch die Tories trotz jahrzehntelanger Regierungszeit nicht repariert haben.
Halb Zentristin, halb Kulturkämpferin
Hingegen sieht Nigel Farage, Fraktionschef von Reform UK im Unterhaus, die neue Tory-Chefin als Fortsetzung einer „unveränderten, unreformierten konservativen Partei“. So will sie, anders als ihr Mitbewerber Jenrick, nicht aus der Europäischen Menschenrechtskonvention austreten, auf deren Grundlage der Menschenrechts-Gerichtshof in Straßburg besteht, der den britischen Fliegern mal um mal Steine auf die Startbahn gelegt hatte. Das weist Badenoch im Vergleich mit Jenrick als (relative) Tory-Zentristin aus und erklärt, wie sie die Mehrheit gewann.
Die Tories begeben sich damit in einen Kulturkampf, den auch andere Spitzenvertreter – wie Suella Braverman – immer wieder forderten. Die Einordnung dient wohl eher der Verächtlichmachung Badenochs, die so mit ihren links-woken Gegnern gleichgestellt wird. Auch sie verträte also nur ideologische Positionen – ganz so wie der nigerianische Marxist auf X. Aber sie weiß offenbar, wie weit sie damit gehen kann.
Daneben kommt nun sicher Arbeit auf Badenoch zu. Denn sie war bisher eher Spezialistin für gesellschaftliche Themen, nicht für Wirtschaft, Grenzschutz oder Äußeres. Ihr Schattenkabinett will Badenoch bis Dienstag vorstellen und dabei jedem ihrer Konkurrenten eine „Rolle“ anbieten – ob gleich ein ganzes Schattenministerium, sagte sie nicht. Am Mittwoch wird sie erstmals gegen Starmer zu den altgewohnten Prime Minister’s Questions antreten.