Andrej Babiš, Ministerpräsident der Tschechischen Republik, ist als erfolgreicher Unternehmer gewohnt, auch mal ein klares „Nein“ zu sagen. Politisch ist er kein wirklicher EU-Skeptiker, sondern eher ein Opportunist. Und nachdem sich auch in der Tschechischen Republik in der Öffentlichkeit zunehmend Skepsis gegenüber undurchschaubaren internationalen Verträgen und Pakten breitmacht, verweigert er nun dem UN-Migrationspakt seine Unterschrift. Eine solch klare Haltung war man aus Prag bislang nicht gewohnt. Bis vor wenigen Jahren war es auch dort noch üblich, dass internationale Verträge ohne große Debatten, fast schon im Stil geheimdiplomatischer Verhandlungen, durchgewunken wurden. Das schlagende Argument war: Was würden sonst unsere Partner von uns halten?
Einmal richtig provozieren
Nun ist das Klima in Tschechien verändert, und zwar auf unabsehbare Zeit. Provokationen im großen Stil sind jetzt möglich, wenn es darum geht, politische Entscheidungen zu beeinflussen. Das ist in Prag jüngst mit der Instanbul-Konvention gelungen. Der Text wurde bereits 2011 im Europarat ausgehandelt, offiziell heisst er „Die Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, und nach und nach steht er nun überall zur Ratifizierung an.
Der Titel klingt zunächst so, als spräche nichts gegen diese Konvention; der Deutsche Bundestag hat sie im Oktober 2017 denn auch ratifiziert. Falls nun der deutsche Leser nicht weiß, warum diese Konvention nicht angenommen werden sollte, ist er darin nicht allein. Doch bei genauer Lektüre des Textes und vor allem seiner Begründung wird bald die Gender-Ideologie sichtbar, die hier zugrundeliegt.
Die Tschechische Regierung trat der Konvention im Mai 2016 bei, auch sie relativ reibungslos. Es sträubte sich nur die kleine Regierungspartei der Christdemokraten. Ihr Vorsitzender wandte sich in verzweifelter Suche nach Verbündeten inoffiziell an die Bischofskonferenz, ohne aber eine nennenswerte Reaktion. Im Frühling dieses Jahres entschied sich dann die Tschechische Bischofskonferenz dafür, doch gegen die Istanbul-Konvention zu votieren. Sie machte das im Hirtenbrief bekannt. Hauptargument für die Bischöfe, den Text abzulehnen, sind die Schwächung des Familienbegriffs und die Gender-Ideologie, die „bis zur Verleugnung des Unterschiedes zwischen Mann und Frau“ führen kann.
Deutliche Worte von der Kanzel
Doch das klang alles abstrakt und entfernt. Bis zum 28. September 2018, einem Jahrestag des böhmischen Landespatrons, des Hl. Wenzel, als in der St. Veit-Kathedrale auf der Prager Burg ein gewisser Petr Piťha predigte. Piťha ist 80 Jahre alt, Mathematiker, vor der Wende ein geheim geweihter Priest, nach der Wende Bildungsminister in der Regierung des Reformers Václav Klaus. Piťha trug keine typische Predigt vor, sondern eine düstere Prophezeiung. Der würdige alte Herr nannte die Istanbul-Konvention als ein Beispiel der menschlichen Natur, die aus der Geschichte nie lernt und Anzeichen von neuen Totalitarismen einfach hinnimmt.
Pi’ha sieht in der Istanbul-Konvention ein Vehikel für das Einführen „perfekt verworfener Gesetze“. Diese Gesetze werden, so sagt er, „gegen traditionelle Familie, also Vater-Mann, Mutter-Frau, Kinder, also Mädchen und Jungs, plus Großeltern, immer Mann und Frau“ gerichtet. Alle Diktaturen – sowohl die marxistischen als auch die Nazidiktatur – wollten „die Familie loswerden“. Nach dieser Lesart sind auch heutige Protagonisten dieser „verworfenen Gesetze“ Neomarxisten und Neo-Nationalsozialisten.
Am Ende fügte Piťha eine – wie er bemerkte – „unvollkommene“ Liste von Gefahren an, die auf alle, die der Istanbul-Konvention unterworfen sind, irgendwann warten: „Eure Familien werden zerrissen und auseinandergetrieben. Dazu wird reichen, wenn ihr Euren Kindern sagt, dass Mann und Frau nicht dasselbe sind.“ (…) „Über sein Geschlecht wird das Kind selber entscheiden, also ihr werdet verpflichtet, das Kind geschlechtslos zu erziehen, beziehungsweise es wird euch nicht erlaubt, ihm einen Namen zu geben.“ Dann kam der meistzitierte Satz: „Für jede Missbilligung werdet ihr in die Besserungs- Arbeitslager mit Vernichtungscharakter (!) gebracht.“ Die Wirkung dieser Prophezeiung wurde dadurch geschwächt, dass aus der tschechischen Frauenlobby, umgehend Anzeige gegen Piťha bei der Polizei erstattet wurde.
Und der Priester hatte nicht einmal Unrecht …
Bekanntlich haben die politisch Korrektesten den wenigsten Sinn für Humor, also brach eine Empörungswelle los, „Istanbul“ wurde schnell ein Topthema in der öffentlichen Debatte. Damit wurde schnell klar, wo im Text welche Fallen liegen: zum einen im Artikel 4, der Diskriminierung auch aufgrund Gender und Gender-Identität, also dem „biologischen oder sozialen Geschlecht“, bekämpft; sodann im Artikel 12, in dem die Verpflichtung niedergelegt ist, auf „spezielle Bedürfnisse von Personen, die durch besondere Umstände schutzbedürftig geworden sind“, zu achten, wobei die Begründung hier explizit auch Transgender- und bisexuelle Leute erwähnt.
Eine Politik der Vorkehrungen
Nicht, dass jetzt mittelosteuropäischen Staaten inzwischen en bloc alle solche Veträge ablehnen würden. Polen, auch Österreich oder Kroatien, die sich dem Migrationspakt fernhalten, ratifizierten die „Istanbul-Konvention“ – die genauso katholische Slowakei wiederum nicht. Umgekehrt blieb die Slowakei dem Migrationspakt lange treu, bis sie jetzt auch ausstieg. Alle Verträge werden nun genauer angeschaut. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Slowakei, Ungarn, Polen sich in letzten Jahren alle in ihre Verfassungen die traditionelle Defition von Ehe (also von Mann und Frau) explizit hineingeschrieben haben. Und auch in Prag, wo Pit’ha predigte, liegt nun ein ähnlicher Vorschlag dem Parlament vor.
Es ist eine Art Politik der Vorkehrungen gegen all die möglichen Tricks, die in Zukunft aus dem „progressiven Westen“ kommen könnten, die sich in den Visegrad-Staaten und drumherum durchgesetzt haben. Vor dem EU-Beitritt 2004, vielleicht bis zur Finanz- und Eurokrise, als sich zeigte, wieviel Dilletantismus es auch in westlichen Führungsschichten gibt, war es für die Länder im Osten Mitteleuropas undenkbar, EU- und internationalen Abkommen nicht beizutreten. Die Sorge, ob wir in Westeuropa gut ankommen, war riesig und grenzte an eine Psychose. Das ist jetzt Vergangenheit. Und das ist auch gut so.