Tichys Einblick
Internationales zum Geschlecht

Kein Cricket in England: Wie erzwungene Geschlechterparität unser Leben ärmer macht

In London soll eine mehr als 150 Jahre alte Tradition zu Ende gehen. Die berühmten Varsity-Matches zwischen Cambridge und Oxford werden dieses Jahr zum letzten Mal ausgetragen. Der Grund: Es gibt nichts Vergleichbares im Damen-Cricket, und diskriminieren möchte man ja auch niemanden. Eins und Eins ist plötzlich Null.

MAGO / Action Plus

„Landfrauen in Gefahr“ – so müssten deutsche Blätter bald titeln, wenn Schule machte, was derzeit im englischen Cricket vor sich geht. Eine sich für feministisch haltende Initiative hat dort erreicht, dass ein seit gut 150 Jahren jährlich stattfindendes Spiel zwischen den Herren-Universitätsmannschaften von Cambridge und Oxford nicht mehr stattfinden soll. Genauso wegfallen soll das traditionelle Kräftemessen zwischen den Mannschaften der Knabeninternate Eton und Harrow, das sogar bis auf das Jahr 1805 zurückreicht.

Der Name der Initiative ist „Stump out Sexism“ – das bedeutet so viel wie „Zertretet den Sexismus“ und spielt daneben auf einen Fachbegriff aus dem Cricket an, dieser für Nicht-Engländer arkanen Sportart, die aber auf der Insel, inzwischen auch in Australien und Südafrika, mit viel Herzblut gespielt und verfolgt wird.

Doch bei „Stump out Sexism“ floss eher Galle als warmes Blut. Denn man kann sich schon fragen, was Sexismus mit der Tradition der Universitäts- und Schulspiele zu tun hat, zumal das Geschlechterverhältnis in einem Spiel mit entweder rein männlicher oder rein weiblicher Besetzung kaum einen Anhalt finden dürfte. Nach dieser Logik dürfte es auch keine Junggesellen- und Landfrauenvereine mehr geben, um von nach Geschlecht getrennten Gesangsvereinen zu schweigen. Sind am Ende auch die zweimal elf Männer vom Fußballplatz schon sexistisch?

Aus tugendhaften Gemeinplätzen werden Satzungen, dann Neuerungen (und Rückschnitte)

Im November reichte die Initiative eine formale Beschwerde bei der englisch-walisischen Cricket-Vereinigung (ECB) ein, um eine Reform der jährlich stattfindenden Spiele zu erzwingen. Angeblich hatte der veranstaltende Marylebon Cricket Club (MCC) den Vorschlag zuvor für geschlagene fünf Monate ignoriert – trotz zahlloser E-Mail-Schreiben, offener Briefe und Anrufe.

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Schon am 22. Juni hatten die ‚Ausstampfer*innen‘ den Cricket-Club kontaktiert, um über „Geschlechtergerechtigkeit im Cricket“ zu diskutieren, insbesondere das Fehlen von Damenspielen beim jährlichen Kräftemessen der Universitätsclubs im Londoner Stadion. Das Kräftemessen zwischen Oxford und Cambridge fand erstmals 1827, seit 1838 alljährlich statt und fiel nur während der Weltkriege und im ersten Corona-Jahr aus. Bis auf fünf Spiele war stets der Lord’s Cricket Ground in London – das „Home of Cricket“ – das Zuhause für die mehr als 150-jährige Tradition.

Die Aktivisten von „Stump out Sexism“ berufen sich nun auf eine vor der Saison 2021 eingeführte neue MCC-Satzung, die in zwei Paragraphen fordert, dass der Club nichts tun oder lassen darf („make any decision or any omission“), das eine Person diskriminiert. Außerdem muss er natürlich alles tun, um auf geschehene Diskriminierungen wirksam zu reagieren. So werden aus tugendhaften Gemeinplätzen zuerst Satzungen und dann Neuerungen (und Rückschnitte) im bis dahin normalen Leben. Und so hätte sich der MCC der unterlassenen Nicht-Diskriminierung schuldig gemacht, indem er nicht vier traditionsreiche Damencricketmannschaften aus der Erde stampfte, um den beiden Herrenspielen Paroli bieten zu können.

Der Club folgte dieser zweifelhaften Logik und hat angekündigt, dass die Spiele in diesem Juni ein letztes Mal wie gewohnt stattfinden sollen, bevor im Herbst gründlich über die nächste Saison nachgedacht wird. Angeblich soll die dann zu fällende Entscheidung es einer „breiteren Gruppe von Menschen“ erlauben, auf dem Lord’s Cricket Ground zu spielen. Klar und deutlich wird aber gesagt: Die beiden Schüler- und Studentenspiele werden „nach 2022“ nicht mehr als jährlich wiederkehrendes Ereignis stattfinden. Das „Spektrum der wiederkehrenden Termine“ soll damit angeblich „erweitert“ werden. Hier setzt das Denken schon leicht aus.

Die Erbsünde Geschlecht überwinden?

Tatsächlich könnte aber auch etwas anderes hinter der Willfährigkeit des Clubs stecken: Denn der MCC hatte schon im Jahr 2000 über einen anderen Ort nachgedacht, weil die Schüler- und Studentenspiele den Club viel Geld kosten. 

Wie immer das auch sei: Der Kampf gegen den Sexismus ist oft eher ein Kampf gegen das Geschlecht an sich – das ist die neue Erbsünde, von der wir besser verschont bleiben. Wenn eine Bundestagsrede eine nicht nur traditionelle, sondern auch rechtlich makellose Theorie der Geschlechter vorträgt und eine Praxis daraus ableitet, erregen sich Linksgelbgrüne gleichermaßen wie die Staatsmedien. Dabei hat Beatrix von Storch nur den avancierten Stand der britischen Debatte nach Deutschland gebracht, beispielsweise die Position von Debbie Hayton, die sich hierzulande auch in der paläofeministischen Emma wiederfindet. Doch vergeblich, von Storch erntete lautstarke Konsternation statt Nachdenken.

Derweil versucht eine Leserin der New York Times, sich Harry Potter ohne seine genderkritische Autorin J.K. Rowling vorzustellen – und wird mit dieser Absicht zum Werbemotiv der längst nicht mehr „grauen“, eher kunterbunten „Lady“ NYT. Die Lage am diesjährigen Weltfrauentag ist unübersichtlich.

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