„Der Zustrom von Einwanderern nach Spanien reißt nicht ab“, so eröffnet Gracia López vom privaten Senderverbund Antena 3 ihren Bericht. Vor allem die hochgradig tödliche Kanarenroute bleibt der Hotspot der Migration rund um Europa, zudem mit der im Vergleich höchsten Steigerungsrate. Die mag derzeit etwas abflachen, aber die gewöhnlichen starken Herbstmonate kommen erst noch.
In den ersten sieben Monaten des Jahres gab es ein Plus bei 154 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (laut Frontex). Es gibt auch etwas niedrigere Zahlen, so ist teils von einem Plus von 123 oder auch 126 Prozent die Rede. Aber auch diese Angaben machen das Ausmaß der Sache deutlich. Vollständige Gewissheit über die Zahl illegaler Einreisen kann es ohnehin kaum geben, obwohl die Insellage die Zählung etwas einfacher macht.
Die von marokkanischem Territorium umgebene Exklave Ceuta gegenüber von Gibraltar verzeichnet sogar ein Plus von 176 Prozent bei den illegalen Grenzübertritten. Dort schwimmen die Migranten noch immer am Grenzzaun vorbei. Das sind allerdings numerisch weniger Fälle. Fast drei Viertel der illegalen Immigranten in Spanien kommen auf den Kanaren an, meist über Mauretanien und den Senegal, aber oft auch aus dem Binnenland Mali. Insgesamt wird für Spanien ein Plus von 66 Prozent berichtet. Die Einreisen aufs Festland verharren in etwa auf dem Vorjahresniveau.
Nicht alle schaffen es bis „Los Cristianos“
Auch am vergangenen Sonnabend wurden in kurzer Zeit drei Holzboote in kanarischen Gewässern aufgegriffen, und zwar bei Gran Canaria und an der Küste Teneriffas, wo einem Boot 180 Passagiere entstiegen. Bezeichnenderweise werden die aufgegriffenen Bootsmigranten zum Hafenkai „Los Cristianos“ gebracht, wo sie zunächst provisorisch kampieren und oftmals medizinisch versorgt werden. Aber auch Leichen finden sich laut Berichten immer wieder an Bord.
Angeblich kommen von zehn Booten überhaupt nur drei bis fünf an. Das wäre eine sehr schlechte Überlebenschance. Zehntausende würden dann schon auf dem Weg in die EU zu sterben. Die Handhabung der illegalen Migration durch Ursula von der Leyen und ihr Gefolge namens Kommission ist sicher kein „Man-on-the-Moon-Moment“ der Europäischen Union – so wenig übrigens wie der Green Deal, den UvdL ursprünglich so bezeichnete.
Was folgt nun nach der gefahrvollen Überfahrt? Die spanische Nationalpolizei nimmt die Migranten zunächst wegen illegaler Einreise fest, darf aber laut Welt am Sonntag nicht einmal ihre Fingerabdrücke mit einer Datenbank abgleichen. Wozu gab es noch einmal das EURODAC-System? Bald beraten dann Rechtsanwälte die Migranten, die in der Folge ein Schutzbegehren äußern und wieder freikommen. Sie werden von der spanischen Regierung – unter Mithilfe von NGOs – aufs Festland geflogen, entschwinden dann aber häufig dem Blick der Behörden. So können viele Illegale weiterreisen und, wo immer sie letztlich ankommen, wiederum ein Schutzbegehren äußern.
Seit Jahren werden Namen und Identitäten schlicht geglaubt
Ein befragter Nationalpolizist hält das für „ein großes Sicherheitsrisiko“. Man wisse schlicht nicht, „wer die Leute sind“, müsse den Papierlosen jeden Namen, jede Identität und jedes Herkunftsland blind glauben. Trotzdem werden die Migranten zu Hunderten auf das europäische Festland geflogen. So fliegen in der Tat tausende und abertausende illegale Migranten mit ungeklärter Identität „kreuz und quer durch den Schengen-Raum“, ohne dass es jemanden in den meisten Hauptstädten der EU stört. Das gilt mit Sicherheit für Madrid, Paris und Berlin, die in diesem Fall hauptsächlich betroffen sein dürften.
Der Vorwurf an Madrid mildert sich, sobald man bedenkt: Das Verfahren dürfte an allen EU-Grenzen, Binnen- wie Außengrenzen, dasselbe sein und wird seit Jahren quasi als „best practice“ aufrechterhalten. So werden Einwanderungsgeschichten auf Fluchtnarrativen und erzählten Identitäten aufgebaut, die nicht wirklich überprüfbar sind. In Frankreich beklagt sich nun ein Ex-Chef der Grenzpolizei (Police aux frontières, PAF), dass man „seinen“ Beamten fast alle Wege zu einem funktionierenden Grenzschutz verbaut: sowohl was Personal und Technik angeht als auch hinsichtlich der Zusammenarbeit mit anderen Diensten und in Betreff des juristischen Rahmens. Im Februar diesen Jahres hatte das Verfassungsgericht (Conseil d’État) eine Zurückweisung „manu militari“ (also unter Anwendung des staatlichen Gewaltmonopols) von illegalen Migranten an den EU-Binnengrenzen untersagt.
Das alles ist also nichts Neues, wurde aber in dieser Klarheit noch selten benannt oder öffentlich diskutiert. Übrigens: Auch das Auswärtige Amt trägt durch seine mutwilligen Afghanen-Flüge zu diesem Graufeld weiter bei und macht Deutschland mit der Schaffung neuer afghanischer „Anker“ immer noch attraktiver für die folgende Kettenmigration, die gerade wieder aus Griechenland weiterläuft, von wo im ersten Halbjahr wieder 7.000 Migranten mit Schutzstatus nach Deutschland weitergereist sind, wie der Spiegel aus einem vertraulichen Lagebild deutscher Sicherheitsbehörden berichtet. Das sind mehr als im ganzen Jahr 2023 (2.654 solche Einreisen) oder 2022 (6.479). Der Höchstwert aus dem Jahr 2021 (9.581) werde „nahezu sicher“ im Herbst erreicht und überboten werden. Zu 90 Prozent handelt es sich um Afghanen.
Sánchez bald zu Besuch in Mauretanien und auf Lanzarote
Der sozialistische Ministerpräsident Pedro Sánchez will noch Ende August erneut nach Mauretanien reisen, um die Abfahrten zu bremsen. Auch der Senegal und Gambia stehen auf dem Plan, auch hier befinden sich die Startorte der Fischerboote. Auch seine Ferien will Sánchez auf Lanzarote verbringen – wovon sich die Inselregierung günstige Bedingungen für Verhandlungen über die aktuelle Situation verspricht. Aber Moncloa, der Sitz des Premiers, hat noch kein Treffen mit dem Regionalpräsidenten Fernando Clavijo bestätigt.
All das macht den Eindruck, als würden Aristokraten in ihren Burgen und Schlössern über das Schicksal der leibeigenen Bauern beraten. Wie will Sánchez mit einer Stippvisite in Nuakschott (Mauretanien) oder Dakar (Senegal) die schädlichen Dynamiken unterbrechen, die zu den stark gehäuften Einreisen führen? Ein Gambier berichtet von der Korruption und wirtschaftlichen Schwäche seines Heimatlandes. In Europa suche er schlicht „ein besseres Leben“, so wie die Europäer es haben. Der politische Mainstream von Linken bis zur Europäischen Volkspartei ist geneigt, ihm seinen Wunsch zu erfüllen, egal was die Folgen für die Europäer sind. Die Asylanträge, die auf dem Weg zu diesem „besseren Leben“ gestellt werden, sind reines Theater. Und das müsste im Grunde zu einer grundlegenden Reform der EU-Asylsysteme an Kopf und Gliedern führen.
Warum rebellieren die Engländer, aber die Spanier nicht?
Übrigens sollen es derzeit über 6.000 minderjährige Migranten sein, die die Kanaren auf Holzbooten erreicht haben. Sie wurden auf 80 Aufnahmezentren auf den sieben Hauptinseln mit eigener Verwaltung, zu denen auch das besonders belagerte El Hierro gerade als kleinstes gehört. Diese Zentren sind freilich schon jetzt nahe der Überfüllung.
Doch erst im Herbst kommt die Hauptreisezeit der Kanaren, denn dann ist die See dort am ruhigsten und für die mittelgroßen Boote am sichersten zu befahren. Laut NGOs könnten in den kommenden Monaten noch einmal bis zu 70.000 Migranten versuchen, die Kanaren zu erreichen. Sicherheitskreise überbieten diese Zahl sogar noch und nennen gegenüber Welt am Sonntag 80.000 anlandende Migranten als Schätzwert für die nächsten paar Monate. Bisher waren es in diesem Jahr „nur“ 22.300 illegale Bootsmigranten auf den Kanaren.
Die westliche Mittelmeerroute (von Marokko und Algerien aufs spanische Festland) trug demgegenüber nur etwa ein Viertel aller illegalen Einreisen nach Spanien bei. 7.576 waren es von Januar bis Ende Juli 2024, eine Zahl, die etwa auf dem Vorjahresniveau verharrt. Insgesamt sind demnach nur im laufenden Jahr über 31.000 Migranten auf ungesetzlichem Wege nach Spanien eingereist. Die Online-Zeitung El Español vergleicht diese Zahl mit den 18.000 illegalen Einreisen nach England in diesem Jahr und fügt an, dass es dort in den vergangenen Wochen zu Unruhen gekommen sei. Freilich brauchte es Jahrzehnte der Vernachlässigung der einheimischen Briten, um für eine solche Stimmung in den (vor allem) nordenglischen Städten zu sorgen.
Fußnote. Das Innenministerium in Wien meldet: „In Österreich wurden 2023 um die Hälfte weniger Asylanträge als im Vorjahr gestellt. Ausschlaggebend dafür war die Verlagerung von Schlepperaktivitäten und Migrationsrouten.“