Tichys Einblick
Spanien im Streit mit Marokko

Warum die Kanaren zum Tor für Migranten nach Europa werden 

Die Meeresenge von Gibraltar wird seit vergangenem Jahr von Frontex, spanischer Küstenwache und indirekt auch durch das spanische Militär kontrolliert. Migranten suchen darum nach anderen Wegen. Derweil spitzt sich der Streit mit Marokko zu.

Militärübung an der spanischen Küste

Stefanie Claudia Müller

Spaniens Lage als direkter Anrainer Afrikas wird für Europa immer wichtiger und damit auch die spanisch-amerikanische Militärbasis in Rota. In diesen Tagen trainierten die dort stationierten spanischen Kriegsschiffe „Galicia“ und „Juan Carlos I“ erstmals nach Ausbruch der Pandemie wieder vor der Küste von Cádiz.

Mit der EU und Deutschland im Rücken ist Spaniens Auftrag mit Bezug auf Afrika klar: Dafür sorgen, dass so wenige Menschen wie möglich über das Meer nach Europa kommen können. Die Meerenge von Gibraltar wird derzeit streng kontrolliert, da geht gar nichts mehr. Frontex, die spanische Küstenwache und auch das spanische Militär schrecken ab. Die Schlepperbanden suchen deswegen seit einem Jahr den Weg über die Kanaren. 23.000 illegale Einwanderer kamen im vergangenen Jahr dort an. Dieses Jahr dürften es mehr werden. Bis Mitte April sind nach Angaben der spanischen Onlinezeitung El Confidencial bereits 125 Prozent mehr Migranten auf den Kanaren angekommen als im gleichen Vorjahreszeitraum. 4000 Afrikaner kamen in diesem Jahr bereits illegal auf den Kanaren an, Hunderte ertranken bei der Überfahrt.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Spaniens Regierung hat alles dran gelegt, damit sie nicht aufs Festland kommen, um jegliche „Willkommens-Kultur“ zu vermeiden. Aber die Überfahrt auf die Kanaren zu verhindern ist schwieriger als in der Meerenge von Gibraltar. „Es ist sehr schwierig einen so weiten Küstenabschnitt zu kontrollieren“, sagt der in Rota stationierte Admiral Ignacio Céspedes Camacho. Er kennt die Problematik der illegalen Einwanderung über See aus eigener Erfahrung.  Vor einigen Jahren hat er an der Küste vor Libyen rund 200 Menschen aus dem Meer gefischt: „Es war einer der schwierigsten Momente meiner Karriere, weil unsere Schiffe für solche Aktionen nicht ausgerüstet waren“. Inzwischen hat die „Juan Carlos I“ sogar ein Krankenhaus an Bord mit Intensivstation. „Um Menschen zu retten, darf ein Schiff auch in andere hoheitliche Gewässer vordringen“, erklärt der Admiral sein Vorgehen. Damals konnte mit Tunesien ausgehandelt werden, dass die geretteten Menschen dort aufgenommen werden: „Es war eine menschlich und rechtlich sehr komplizierte Situation für mich“, erzählt Céspedes Camacho, der bekennt, dass er praktizierender Katholik ist, was ihn des Öfteren in einen Gewissenskonflikt bringe. 
Die Kanaren-Route funktioniert weiter mit großen Gefahren   

Die Überfahrt auf die Kanaren beginnt im Senegal, Mauretanien oder der Westsahara, aber viele der Migranten kommen auch aus anderen Ländern der Sahel-Zone, wo nicht nur Armut, sondern auch zunehmende Unsicherheit herrschen. Die 80jährige spanische Nonne Etelvina Casado kennt deren Lage: „Wenn sie nicht sterben auf dem Weg, lungern sie in Spanien nur auf der Straße herum, die wenigsten bekommen eine Aufenthaltsgenehmigung“. Regina, wie die Nonne offiziell heißt, bildet deswegen junge Senegalesen in einem Armutsviertel in Dakar aus, damit sie in ihrer Heimat bleiben. 

Viele illegale Migranten suchten nicht nur den Weg aus der Armut, sondern auch aus den traditionellen Zwängen, sagt die Nonne: „Die Männer langweilen sich hier, weil es keine Perspektive gibt“. Die spanische Regierung unter dem Sozialdemokraten Pedro Sánchez will das mit mehr kulturellem und wirtschaftlichem Austausch verändern. Es sollen neue Cervantes-Institute in verschiedenen afrikanischen Ländern entstehen, von denen er einige vor ein paar Wochen mit großer Handelsdelegation besuchte. Neue Rückführungsabkommen konnte er jedoch nicht garantieren.

Marokko, wo die meisten Auswanderer herkommen, stand zudem gar nicht auf der Agenda von Sánchez. Für das abgesagte bilaterale Treffen im Dezember gibt es nicht mal ein neues Datum. Nach der Anerkennung der Westsahara durch die Amerikaner im vergangenen Jahr fühlt sich Marokkos König Mohamed VI. gestärkt. Auch Israel hat er jetzt weitgehend auf seiner Seite. „Von Europa distanziert er sich“, glaubt Sicherheitsexperte und Maghreb-Kenner Ignacio Cembrero.   

Marokko ist ein Unsicherheitsfaktor für Europa 

Kontakt zur deutschen Botschaft abgebrochen
Marokko pokert mit Deutschland – "Verwunderung" in der deutschen Botschaft
Von Europa wird Marokko jedoch bezahlt, den Weg der Afrikaner nach Spanien, Frankreich und Deutschland zu verbauen. Das funktioniert nur bedingt. Die eigene Bevölkerung flieht in Scharen und die diplomatischen Konflikte mit Europa wachsen. Seit geraumer Zeit übt Marokko Druck auf Deutschland aus, das sich auf verschiedenen Kanälen kritisch über Korruption, mangelnde Meinungsfreiheit und Unterdrückung in der Westsahara geäußert hatte. Die deutsche Regierung hat sich nach spanischen Medienberichten jedoch geweigert, Brahim Ghali, den Führer der Polisario, der Westsahara-Freiheitskämpfer, in ein Krankenhaus aufzunehmen, um die diplomatische Krise nicht noch weiter anzuheizen. Ghali, den Marokko als Verbrecher ansieht, wird dagegen derzeit in der spanischen Stadt Logroño medizinisch behandelt. „Das wird zwangsweise zu Problemen bei den für Europa wichtigen Themen wie Terroristen- und Schlepperbanden-Bekämpfung mit Marokko führen“, glaubt Cembrero. Ende März wurde bereits das Rückführungsabkommen mit Spanien von marokkanischer Seite ausgesetzt.  

„Illegale Einwanderung ist ein Drama, das uns noch lange beschäftigen wird. Es ist ein Teil einer verändert Sicherheitssituation, die mit der Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität zusammenhängt“, sagt Admiral Céspedes Camacho. Er selbst hat nach vielen Monaten der Remote-Arbeit gerade erst wieder ein Manöver geleitet, dass die spanische Marine auf viele neue Aufgaben vorbereiten soll. “Dazu gehört auch der Katastrophenschutz durch den Klimawandel“, berichtet er. Viele kritisierten in letzter Zeit die Ausgaben für Verteidigung, aber in Spanien dürfen Soldaten auch zu zivilen Zwecken im Rahmen der UME (Unidad militar de emergencia) eingesetzt werden, weswegen sie ein relativ gutes Image im Land genießen. So half das Militär auch bei der Schneeräumung Anfang Januar. Mit 1,4 Prozent des BIP gibt Spanien insgesamt sehr wenig für seine Streitkräfte aus.

Anzeige
Die mobile Version verlassen