Kanada: Justin Trudeau will die Konten der Trucker einfrieren
Matthias Nikolaidis
Im Kampf um die Lufthoheit über der Hauptstadt Ottawa und den Grenzübergängen wählt der kanadische Regierungschef das vorletzte Mittel: Kontosperrungen und weitere Eingriffe in das Finanzsystem, um sich die Trucker und Spediteure gefügig zu machen.
Am Montag verkündete Justin Trudeau die erstmalige Anwendung des kanadischen Notstandsgesetzes wegen der inzwischen drei Wochen dauernden Proteste von Truckern in Ottawa und an Grenzübergängen im Süden des Landes. Vor 18 Tagen, als die Blockade von Teilen Ottawas begann, hatte Trudeau noch von einer „kleinen radikalen Minderheit“ gesprochen und offenbar gehofft, das Problem würde sich von allein erledigen. Er machte sogar den Versuch, die Trucker insgesamt in eine rechtsextreme Ecke zu stellen, was kaum verfangen konnte. Bis heute hat Trudeau nicht mit den Lastwagenfahrern gesprochen.
Doch auch alle praktischen Gegenmaßnahmen fruchteten nichts, und das wird inzwischen über die politischen Parteien hinweg als politisches Versagen des Premiers gesehen. Die beabsichtigte „Austrocknung“ der Trucker – wer ihnen Benzin brächte, machte sich strafbar – wurde von vielen Bürgern schlicht ignoriert und umgangen. Das Tragen von oftmals leeren Kanistern wurde zum Widerstandssymbol. Auch Polizisten waren laut Berichten oft nicht bereit, Zwangsmaßnahmen gegen die Trucker durchzusetzen. Im Gegenteil: Sie sympathisierten offen mit ihnen, was wiederum einige Anhänger der urbanen Medienblase herausforderte.
“Wait till you get there ?” “I get what you guys are doing” “I support you guys 100%”
Auch in Kanada gibt es mehr und mehr Gerichtsentscheidungen, die einzelne Maßnahmen aus dem Spiel nehmen, zuletzt die Maskenpflicht für Schulkinder. Die Vorsitzende der oppositionellen Konservativen, Candice Bergen, hat Trudeau aufgefordert, bis zum Ende des Monats einen Plan für das Ende der Restriktionen, Masken- und Impfpflichten im Parlament zu präsentieren, doch die Liberalen im Parlament stimmten den Antrag nieder.
Dagegen verkündete der Premier der Grenzregion Ontario eine weitgehende Aufhebung der Maßnahmen zum 1. März, darunter Einschränkungen für Versammlungen in Innenräumen. Der Impfstatus eines Bürgers soll dann in keinem Umfeld mehr von Bedeutung sein. Nur die Maskenpflicht wird noch etwas länger beibehalten.
Trudeau wird inzwischen von beiden Konfliktparteien als der Hauptverantwortliche angesehen. Über das Wochenende war er lange verschwunden. Ratlosigkeit griff um sich, während der Premier in Hinterzimmergesprächen seinen Kurs suchte. Das brachte ihn weiter in Bedrängnis. Nicht nur hatten sich die Abschleppfirmen geweigert, die LKWs abzuschleppen. Auch die Armee schien Trudeau eine Absage zu geben, auch wenn sich die Einsätze von Spezialeinheiten gegen Demonstranten über das Wochenende häuften.
Provinz-Premiers: Nicht die Zeit, Öl ins Feuer zu gießen
Der Premierminister der Provinz Alberta, Jason Kenney, widersprach Trudeau, die Anwendung des Notstandsgesetzes sei nicht notwendig. Die Provinzregierung hat inzwischen selbst Abschleppzubehör angeschafft und glaubt so, die Blockaden im eigenen Gebiet auflösen zu können. Auch die Ambassador-Brücke zwischen der Provinz Ontario und dem US-amerikanischen Detroit konnte am Wochenende geräumt werden. Im Grenzort Coutts in Alberta wurden am Montagabend 13 Personen festgenommen, die sich mit Waffen und Munition ausgerüstet hätten und laut der Polizei bereit waren, sie einzusetzen. Viel spricht dafür, dass es sich hier um eine winzige Minderheit handelte. Laut dem konservativen Premier Kenney droht eine Eskalation der Spannungen gerade durch den ausgerufenen Notstand. Auch der Premier der Provinz Québec, François Legault, sagte, nun sei nicht die Zeit, „Öl ins Feuer zu gießen“.
Das ist keine verwunderliche Ansicht. Denn mit den nun angekündigten Schritten bekräftigt Justin Trudeau seine fehlende Bereitschaft zum Dialog und greift zu einem der härtesten Mittel, das die kanadische Verfassung erlaubt. Das Militär will er dabei anscheinend nicht einsetzen, auch wenn er davon sprach, dass Abschleppunternehmen nun zur Durchführung von Aufträgen „gezwungen“ werden können. Doch das Hauptaugenmerk der Maßnahmen liegt auf einem anderen Feld.
Die stellvertretende Premierministerin Chrystia Freeland verkündete, dass Banken und andere Finanzdienstleister ab sofort auch „ohne Gerichtsentscheidung“ individuelle und Firmenkonten einfrieren oder suspendieren können. Sie müssen keine Klagen fürchten, solange sie „im guten Glauben“ entsprechend diesen staatlichen Vorgaben handeln. Die kanadischen Bundesbehörden werden dazu ermächtigt, relevante Daten mit den Banken zu teilen. „Hier geht es darum, dem Geld zu folgen“, sagte Freeland, es gehe darum, die Finanzierung der illegalen Proteste zu beenden. Zugleich wird die Geldwäsche- und Anti-Terror-Gesetzgebung in dieser Hinsicht angepasst: Auch Crowdfunding und Cryptocurrencies werden nun durch den „Crime and Terrorist Financing Act“ erfasst.
An die Spediteure gewandt, fügte Freeland hinzu, dass zudem Versicherungspolicen ausgesetzt werden könnten. Sie sollten ihre Lastwagen nach Hause schicken. Kanada brauche sie, um „legitime“ Arbeiten auszuführen.
Die New York Times beging kurzzeitig den Fehler, diese Schritte für eine zeitweilige Aufhebung von Grundrechten zu halten. Bald sah man den eigenen Irrtum ein und löschte einen entsprechenden Tweet. Schließlich hatte ja Trudeau selbst die Einschränkung von Grundrechten durch den Notstand bestritten. Doch viele Kommentatoren widersprechen, darunter Jordan B. Peterson und Ben Shapiro. Sie sehen das Einfrieren von Konten ohne Gerichtsbeschluss einhellig als Ausdruck von Tyrannei oder Schlimmeres.
Derweil finden die Solidarisierungen und Nachahmerproteste auch im Ausland kein Ende. In Israel sind angeblich 20.000 (andere sprechen von 30.000) Fahrzeuge – darunter Lastwagen, Personenwagen und Motorräder – in 40 Konvois auf dem Weg nach Jerusalem, um gegen die „Covid enabling act“ zu protestieren, obwohl Nachweispflichten im Sinne von 2G zuletzt an Bedeutung verloren haben. Doch der „grüne Pass“ gilt noch immer für größere Feiern, Nachtclubs und für Lehrkräfte. Auch die Maskenpflicht in öffentlichen Innenräumen besteht weiterhin.
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