Tichys Einblick
US-Wahlkampf

Kamala Harris Vizepräsidenten-Kandidat Tim Walz und sein seltsames Verhältnis zu den Fakten

Den Demokraten zugeneigte Medien in den USA und Deutschland loben Walz als „bodenständig“ und freundlich. Gleich bei seinem ersten Auftritt nutzte er allerdings eine schlüpfrige Falschbehauptung, um Stimmung zu machen.

picture alliance / Anadolu | Adam J. Dewey

Erwartungsgemäß erhält Kamala Harris für die Wahl ihres Vizepräsidentenkandidaten das Lob aller ihr zugeneigten Medien. Der Gouverneur von Minnesota, Tim Walz, sei „bodenständig“, der typische „Average Joe“, also der „Mann von nebenan“ – so verkündeten es die meisten Kommentatoren. Als Vorzug des Politikers stellten viele Journalisten die Tatsache heraus, dass Walz früher als Lehrer und Trainer arbeitete, und erst relativ spät in die Berufspolitik wechselte. Sie zeichnen das Bild eines gütig und freundlich wirkenden Menschen und untypischen Amtsinhabers.

Die meisten deutschen Medien wiederholten die US-Vorbilder: Walz sei ein „Anwalt des kleinen Mannes“, meinte die ARD-Tageschau; Elmar Theveßen stellte ihn im ZDF als „Problemlöser“ vor, und begründete auch, warum Harris, anders als von vielen erwartet, nicht den Gouverneur von Pennsylvania Josh Shapiro auswählte: Der, so Theveßen, sei zu israelfreundlich.

Bei seinem ersten Auftritt als Vizepräsidenten-Anwärter an der Temple University in Philadelphia zeigte Walz allerdings einen Wahlkampfstil, der nicht zu seinem Image des moderaten Normalbürgers passt: Er reihte auf der Bühne eine Falschaussage an die nächste. Über seinen unmittelbaren Gegenspieler, den republikanischen Vizepräsidentenkandidaten J. D. Vance, sagte Walz mit sarkastischem Ton: „Wie alle normalen Leute, mit denen ich im Kernland der USA aufgewachsen bin, hat J. D. in Yale studiert, hat sich seine Karriere von Silicon Valley-Milliardären finanzieren lassen, und hat dann einen Beststeller geschrieben, in dem er über die Community herzieht, aus der er stammt.“

Vance stammt aus einer Arbeiterfamilie, seine Mutter kämpfte mit starken Drogenproblemen, er studierte als erster in der Familie überhaupt. Dass er in seinem Buch „Hillbilly Elegy“ von 2016 nicht über sein Herkunftsmilieu herzieht, sondern es mit Empathie und klarem Blick für den Niedergang des klassischen Arbeitermilieus beschreibt, kann jeder nachlesen. Walz’ Behauptung, High-Tech-Milliardäre hätten die Karriere von Vance „finanziert“, ist genauso absurd: In Wirklichkeit arbeitete Vance nach seinem Jura-Studium für einen Investmentfonds – und bekam dafür schlicht Gehalt.

Nach dieser Passage rief Walz: „Ich kann es kaum erwarten, mit diesem Kerl eine Debatte zu führen – das heißt, wenn er sich dazu aufraffen kann, von der Couch aufzustehen.“ Damit spielt Walz auf die durch das Internet wabernde und längst widerlegte Falschbehauptung an, J. D. Vance habe in seinem Buch beschrieben, wie er sich mit Hilfe eines Latexhandschuhs und Sofapolstern befriedigt hätte. Derjenige, der die Fake News in Umlauf brachte, gab sogar eine Seitenzahl an, auf der sich die Sätze angeblich fänden. Das angebliche Zitat war frei erfunden, verbreitete sich aber im Netz trotzdem. Walz griff sie als erster Politiker auf, in dem Wissen, etwas Wahrheitswidriges zu benutzen. In Philadelphia erntete er dafür frenetischen Jubel. Im Vance-Buch ist dies nachzulesen, siehe Banner.

Unmittelbar danach unterhielt Harris’ Unterstützer seine Anhänger mit der dritten heftigen Entstellung der Fakten: „Gewaltkriminalität ist unter Donald Trump nach oben gegangen. Und dabei sind Verbrechen von Trump noch nicht einmal mitgezählt.“ Trump wurde allerdings nie eines Gewaltverbrechens bezichtigt, oder gar deswegen verurteilt. In den USA ist die Bundesebene außerdem nur in geringem Maß für die Strafverfolgung zuständig. Die Verantwortung dafür liegt bei den Staaten, Kreisen und Kommunen. Und in etlichen der gewalttätigsten Städte der USA regieren Demokraten.

Große Medien wie CNN, MSNBC, Washington Post und New York Times sowie Agenturen wie Reuters widmeten sich nach Walz’ Auftritt allerdings nicht dem Faktencheck, wie er nach praktisch jeder Rede von Donald Trump und neuerdings auch J. D. Vance zur Routine gehört. Auch ARD, ZDF und SPIEGEL zogen es vor, nicht über Walz’ seltsames Verhältnis zur Wahrheit zu berichten.

Die Washington Post zitierte die Mitarbeiterin des Wahlkampfstabs der Demokraten Caitlin Legacki mit der Bemerkung, das, was ihre Partei hier auf die Bühne stelle, sei eine „Spaßkampagne“ („fun campaign“). Was offenbar heißen soll: Behauptungen müssen nicht stimmen, sondern nur wirken. Gleichzeitig gehört es zum Standardelement des Demokraten-Wahlkampfs, Trump bei jeder Gelegenheit der Lüge zu bezichtigen.

Nach seiner Rede in Philadelphia eilte Tim Walz weiter zu einem Fernsehgespräch. Dort mahnte er, die Regierung müsste dringend etwas gegen die Verbreitung von Falschbehauptungen in sozialen Medien tun, wenn sie geeignet seien, Wähler und Wahlen zu beeinflussen.


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