Dem offiziellen Endergebnis zufolge hat die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) die Parlamentswahl gewonnen und erreicht 35,38 Prozent. Die linksliberale Bürgerkoalition (KO) des früheren Premiers und EU-Ratspräsidenten Donald Tusk kommt auf 30,7 Prozent der Stimmen. Die Rolle des sprichwörtlichen „Züngleins an der Waage“ kommt der Partei Trzecia Droga („Dritter Weg“) zu, die mit 14,4 Prozent gewiss einen entscheidenden Einfluss auf die künftige Regierungsbildung haben wird. Die Linke wiederum erreicht 8,61 Prozent. Zu den größten Wahlverlierern gehört zweifelsfrei die konservative Konfederacja. Ihr Wiedereinzug in den Sejm ist zwar geglückt (7,16 Prozent), doch angesichts der vorherigen Umfragen im zweistelligen Bereich waren die Ambitionen der Parteilenker wohl größer als die politische Wirklichkeit.
Oppositionsführer Donald Tusk hat sich bereits vor zwei Tagen nach der Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen optimistisch gezeigt und behauptet, er habe sich „noch nie in seinem Leben so sehr über einen zweiten Platz gefreut“. Aus seiner Sicht ist dies sogar nachvollziehbar. Eine von ihm angeführte und aus drei Bündnissen bestehende Opposition käme insgesamt auf 53,7 Prozent. Dies entspräche 248 von 460 Mandaten und garantierte ihm eine komfortable Mehrheit im Parlament. Es ist allerdings noch ungewiss, ob es tatsächlich dazu kommt.
Trotz des dritten Wahlsieges in Folge (einmalig in der Geschichte der Dritten Republik Polen) wird sich die PiS wohl also in den nächsten vier Jahren mit den ungepolsterten Stühlen im Sejm begnügen müssen. Eine christdemokratische und konservative Opposition kann für Polen aber auch heilsam sein. Eine Opposition, die nicht jeden Tag in Brüssel anruft und stattdessen sachlich nach einer belastbaren Legitimität des Regierungsprogramms fragt. In einer einflussreichen deutschen Wochenzeitung konnte man zuletzt nachlesen, Donald Tusk habe die „demokratische Mitte gegen Populisten mobilisiert“. Der Machtwechsel in Polen sei demnach möglich, weil sich der Oppositionsführer dem „Polarisierungswettbewerb“ verweigert habe. So einen Unsinn liest man selten. Mit derlei im Westen journalistisch vermittelten und gerahmten Fehlinformationen werden wir auch künftig rechnen müssen.
Im Wahlkampf vernahm man auf jeder PO-Kundgebung unsachgemäße Übertreibungen. In der Diskussion um Migration waren eigentlich Rationalität und Realitätssinn gefragt. Stattdessen herrschte im Lager der Bürgerkoalition falsche Polemik. Zunächst wollte Tusk den Zaun an der polnisch-belarussischen Grenze niederreißen, um anschließend die Regierung dafür anzugreifen, dass sie angeblich zu viele Migranten nach Polen lasse. In der TV-Wahldebatte hatte der Oppositionsführer erstaunlich schlecht abgeschnitten, konnte mit keinen nennenswerten Argumenten punkten. Wenn „Der Spiegel“ nun allen Ernstes behauptet, Tusk habe sich dem „Polarisierungswettbewerb“ verweigert, dann klingt dies wie ein schlechter Scherz.
Für den polnischen Oppositionsführer ist es bei alledem ein wichtiges Anliegen, für seine Positionen in Brüssel ein starkes Echo zu erhalten. Er versuchte seit vielen Jahren, die PiS über den Einfluss der EU sowie westlicher Medien zu besiegen. Er versuchte schon immer seine polnischen Gegner aus jenen Kreisen auszugrenzen, die im Westen als satisfaktionsfähig gelten. Wird er nun vor allem deswegen Morawiecki ablösen dürfen? Wenn überhaupt, dann eher aus einem anderen Grund. Die meisten Polen verabscheuen Tusks Politikstil, andererseits hat die PiS nicht erneut gewonnen. Wenn die Regierenden gewaltige Glaubwürdigkeitsverluste erlitten haben, dann angesichts der Wirtschaftspolitik, mit der man im Zeitalter der Inflation und Knappheiten wohl in keinem Land die Wählerherzen gewinnt.