Tichys Einblick
EU-Unrecht

Die Justiz schont von der Leyen mindestens bis Ende 2024 in Sachen „Pfizergate“

Ein nicht nur peinliches, sondern skandalöses Drumherum, über das die deutsche Presse weitestgehend schweigt. Vor der EU-Wahl vom 6. bis 9. Juni wird UvdL nichts mehr passieren. The independent public prosecution office of the EU ist eben abhängig.

IMAGO

Erst am 15. Mai hatte TE darüber berichtet, mit welchen Tricks sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von Leyen (CDU) der Aufklärung ihres höchst umstrittenen Deals mit dem Pharmariesen Pfizer entziehen will. Es geht um Milliarden für ihre offenbar per SMS erfolgte Impfstoffbestellung vom Frühjahr 2021. TE hatte berichtet, auch darüber, welche Staatsanwaltschaften ermitteln.

Das belgische Gericht in Lüttich hat nun die Entscheidung, ob es selbst oder die EU-Staatsanwaltschaft (EPPO) befugt ist, von der Leyens Pfizer-Deal zu prüfen, und ob die EU-Kommission bei den Verhandlungen über COVID-19-Impfstoffe mit Pfizer ein Fehlverhalten begangen hat, bis Dezember 2024 verschoben. Die belgischen Behörden hatten das Verfahren Anfang 2023 eingeleitet. Anschließend schlossen sich die Regierungen Ungarns und (vorübergehend) Polens der Klage an.

Während der belgische Richter behauptet, die mutmaßlichen Straftaten seien in seinem Zuständigkeitsbereich begangen worden, möchte die EU-Staatsanwaltschaft EPPO (European Public Prosecutor’s Office) den Fall übernehmen, da die Einrichtung nach EU-Recht dazu bestimmt sei, Straftäter zu ermitteln und vor Gericht zu bringen

Alles ein nicht nur peinliches, sondern skandalöses Drumherum, über das sich die deutsche Presse weitestgehend ausschweigt. Man muss bei EURONEWS und der spanischen Zeitung EL PAIS recherchieren, was sich hier abspielt.

Beide schreiben denn auch recht süffisant davon, dass es zwischen von der Leyen und Pfizer zu einer Liebe auf den ersten Blick gekommen war. Von der Leyen verhandelte in EU-Namen und fand bei Pfizer, was AstraZeneca nicht bieten konnte. Weitere Verträge mit Pfizer folgten im März und Mai 2021, sie sicherten Impfdosen im Gesamtwert von 2,4 Milliarden Euro mit einer Option zum Kauf weiterer 900 Millionen Dosen. Dann lief alles reibungslos, und von der Leyen besuchte im April 2021 Pfizers Produktionsfabrik im belgischen Puurs. Ein halbes Jahr später, am 10. November 2021, erhielt Ursula von der Leyen in Washington eine Auszeichnung von Pfizer-CEO Albert Bourla für ihr Engagement um die transatlantischen Beziehungen.

Die NYT blieb „am Ball“. Im April 2021 wollte sie wissen, welche Textnachrichten und Verträge zwischen von der Leyen und Pfizer-CEO Albert Bourla ausgetauscht wurden. Anschließend stellte Alexander Fanta von „netzpolitik.org“ bei der Kommission einen Antrag auf Zugang zum Inhalt der einschlägigen Textnachrichten. Die EU-Kommission antwortete: „Es konnten keine Dokumente identifiziert werden.“ Diese Antwort löste eine Untersuchung durch die Europäische Bürgerbeauftragte Emily O’Reilly aus. Sie sagte: „Es wurde gar nicht versucht herauszufinden, ob Textnachrichten existierten.“ Sie kritisiert auch: „Dies bleibt hinter den berechtigten Erwartungen an Transparenz und Verwaltungsstandards in der Kommission zurück.“

Im Januar 2023 klagte die NYT schließlich vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), weil ihr die verlangten Texte nicht zur Verfügung gestellt wurden. In mehr als 20 parlamentarischen Anfragen an die Kommission forderten unterdessen Abgeordneten des „Europäischen Parlaments“ Klärung und Transparenz zu den Impfstoffgeschäften.

Ein solcher Antrag kam von der Europaabgeordneten Sophie in ‚t Veld (Niederlande/Renew). Der Antrag blieb ohne Wirkung, denn die Vizepräsidentin der Kommission für Transparenz (sic!), Věra Jourová, verwies auf die Vergänglichkeit von SMS-Nachrichten. Weitere Abgeordnete forderten schließlich, Pfizer-Repräsentanten den Zutritt zum Parlament zu verbieten, was allerdings von Präsidium des EU-Parlaments abgelehnt wurde. Vertreter des EU-Parlaments waren auch verärgert, weil Pfizer-Chef Bourla zwei Einladungen des Sonderausschusses des Parlaments zu COVID-19 ausgeschlagen hatte. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Antrag der NYT war eigentlich längst fällig. Allerdings bestätigte der EuGH gegenüber EURONEWS, dass der Fall noch anhängig und noch kein Urteil geplant sei. Es wurde auch nicht in Aussicht gestellt, wann damit zu rechnen sei.

Derweil redet sich von der Leyen heraus: Alle Impfstoffverträge seien von den Mitgliedstaaten genehmigt und unterzeichnet worden, nicht von der Kommission. Das Geld komme aus den Hauptstädten und nicht aus Brüssel, sagte sie während der Maastricht-Debatte mit anderen EU-Spitzenkandidaten Anfang Mai auf die Frage, ob sie die Art und Weise, wie die EU-Exekutive den Deal vermittelt hatte, bereue.

Wie geht es weiter?

Von der Leyen ist zumindest im Moment aus dem Feuer, da die wichtigsten mit der Affäre im Zusammenhang stehenden Verfahren eingefroren sind. Auf Anfrage von „EURONEWS“ lehnte es die EPPO auch ab, sich zum Stand der Ermittlungen oder einem möglichen Ende der Ermittlungen zu äußern, „um das Ergebnis der Ermittlungen nicht zu gefährden“.

Prognose 1: Sollte vdL nicht mehr EU-Kommissionspräsident werden, besteht eine kleine Chance, dass die Affäre aufgedeckt wird. Allerdings nur dann, wenn ihr Nachfolger aus einem anderen politischen Lager kommt. Prognose 2: Sollte vdL erneut EU-Kommissionspräsidentin werden, wird man neue Vernebelungskünste erleben. Am Ende wird die Sache auf die lange Bank geschoben sein, bis kein Hahn mehr danach kräht.

Auf jeden Fall aber wird Prognose 3 eintreffen: Viele Bürger der EU-Länder wenden sich angewidert von der EU ab. Sie wenden sich damit nicht von Europa ab, aber sie werden sich bestätigt sehen in der Überzeugung, dass die EU ein sündteures, intransparentes, ja korruptes Monster ist. Die Wahlbeteiligung wird sinken; sie hatte 2019 EU-weit bei mageren 50,6 Prozent gelegen. Die AfD dürfte aus der vdL-Affäre allerdings auch kaum Honig saugen können, denn sie hat derzeit viel mit sich selbst und ihren Spitzenkandidaten für die Wahl am 9. Juni zu tun.

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