Britische Regierung plant Verschärfung des Gesetzes über Staatsgeheimnisse
Matthias Nikolaidis
Künftig soll für Journalisten in Großbritannien, die geheime Dokumente veröffentlichen, dieselbe Strafe möglich sein wie für Whistleblower und Spione. Die britische Öffentlichkeit sieht etwas verdutzt auf das neue Gesetz.
Die britische Innenministerin Priti Patel gilt als durchsetzungsstarke Frau, die sich auch schon gegen Mobbing-Vorwürfe aus ihrem Haus verteidigen musste, wobei sich sagen lässt, dass außer Spesen nicht viel gewesen zu sein scheint. 370.000 Pfund kostete die Untersuchung der Vorwürfe den Steuerzahler, Abfindungen nicht eingerechnet. Das Ergebnis: Patel hatte ihre Mitarbeiter nicht mit Absicht herumgeschubst, das meint zumindest Boris Johnson, bei dem die Entscheidung über Patels Verbleib im Kabinett lag. Tatsächlich würde man das Ganze wohl am besten unter Ministerialkabalen abheften.
Nun aber begibt sich die indisch-stämmige Ministerin erneut ins Feuer mit einem Gesetzentwurf, der einer ihrer umstrittensten werden könnte. Ein neues Gesetz aus dem britischen Innenministerium soll den Geheimnisverrat durch Whistleblower, Journalisten und ausländische Spione unter ein erhöhtes Strafmaß stellen und dabei die Unterschiede zwischen den drei Kategorien einebnen. Künftig soll für Journalisten, die geheime Dokumente veröffentlichen, dasselbe Strafmaß möglich sein wie für diejenigen, die sich primär der Spionage oder des Geheimnisverrats schuldig machen. Lag das Höchstmaß für Journalisten bisher – nach der Gesetzesfassung von 1989 – bei drei Monaten, so sollen es nun 14 Jahre sein, genauso wie für Spione und Whistleblower.
Damit gälte erstmals seit 1911 wieder dasselbe Strafmaß für Whistleblower, veröffentlichende Journalisten und ausländische Spione. Zwischen 1889 und 1911 drohte allen diesen aber nur ein Jahr Haft. 1911 wurde die Strafe für Spionage auf bis zu sieben Jahre, die für Geheimnisverrat auf bis zu zwei Jahre angehoben. 1989 mäßigte man diese Catch-all-Regelung und differenzierte stärker zwischen der Herausgabe sensibler Informationen (bis zu zwei Jahre) und deren Veröffentlichung (bis zu drei Monate). Die nun geplante Verschärfung wirkt wie eine Rückkehr in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.
Regierung sucht die Balance
Tatsächlich beruft sich die Regierung aber auf neue »erkennbare und sehr reale Bedrohungen«, denen sich der britische Staat heute ausgesetzt sehe. Seit 1989 hätten sich nicht vorhergesehene Entwicklungen in der Kommunikationstechnologie ergeben – zum Beispiel auch, was die Datenspeicherung und schnelle Datenübertragung angeht. Enthüllungen von Staatsgeheimnissen könnten daher heute mehr Schaden als früher anrichten. Das verwische auch die Grenze zwischen Spionage und schwerwiegenden Leaks.
Gedacht ist dabei an die Veröffentlichung ganzer Dokumente im Internet, die heute mit Leichtigkeit von jedermann ausgewertet werden könnten, während Spionage-Operationen im klassischen Sinn nur einem begrenzten Empfängerkreis nützten. Auch die Enttarnung britischer Agenten könne das staatliche Interesse beschädigen, so ein Regierungssprecher weiter. Aber das war wohl immer so.
Die Regierung sieht ihren Gesetzentwurf als Beitrag zu einem Gleichgewicht zwischen dem Schutz von Whistleblowern und Journalisten und dem Schutzbedürfnis des britischen Staates: »Die Pressefreiheit ist ein integraler Teil des demokratischen Prozesses im Vereinigten Königreich, und dasselbe gilt für die Fähigkeit von Einzelnen, Dinge aufzudecken (to whistleblow) und Organisationen zur Rechenschaft zu ziehen, wenn es ernstzunehmende Anschuldigungen gibt.« Dennoch sei man »nicht überzeugt, dass die Empfehlungen der Rechtskommission in dieser Frage die richtige Balance gefunden haben«.
Journalistenverband fordert Schutz für Whistleblower
Eine Sprecherin der National Union of Journalists sagte, bisher gebe es eine Unterscheidung zwischen Whistleblowern, denjenigen, die durchgestochene Informationen erhalten, und ausländischen Spionen. Diese Unterscheidungen wolle die neue Fassung eliminieren oder zumindest verunklaren. Das Gesetz über Staatsgeheimnisse (Official Secrets Act) habe ohnediese schon immer zum Missbrauch eingeladen, wie Fälle von Hausdurchsuchungen aus der Vergangenheit zeigten.
Auch in Deutschland gab es derlei Fälle. So wurden Anfang 1983 die Räume der linksradikalen Zeitschrift konkret wegen des »Verdachts der Preisgabe von Staatsgeheimnissen« durchsucht, nachdem das Blatt Andeutungen über eine Affäre Helmut Kohls mit seiner Büroleiterin veröffentlicht hatte. Ein weiteres Beispiel war die Spiegel-Affäre von 1962. Zuletzt erstritt der Cicero 2007 eine sehr weitgehende Freiheit für die eigene Berichterstattung, in der auch aus einem streng geheimen BKA-Bericht zitiert wurde.
In Großbritannien fordern Menschenrechtsorganisationen und die Rechtskommission des Parlaments nun eine Ausnahmeregelung, die Journalisten vor einer Verfolgung durch das neue Gesetz schützt. Dem widersprach das Innenministerium: Eine solche Regelung würde »unsere Bemühungen unterminieren, schädliche und unerlaubte Enthüllungen zu verhindern«. Der Journalistenverband geht noch weiter und fordert sogar staatlichen Schutz für Whistleblower, die glaubhaft machen können, im öffentlichen Interesse gehandelt zu haben.
Die Affäre Hancock – Journalisten-Handies gehackt
Die Kritiker wandten vor allem ein, dass die Enthüllung der Affäre von Ex-Gesundheitsminister Matt Hancock, mit der er seine eigenen Corona-Regeln brach und die letztlich zu seinem Rücktritt führte, durch das neue Gesetz hätte verhindert werden können. Aber vielleicht überspannt das den Begriff des »geheimen Regierungsdokuments«. Es ging um das Video einer Überwachungskamera, aus dem zunächst Standbilder weitergegeben worden waren. Verwunderlich ist der Gedankengang der Kritiker trotzdem nicht. Denn nachdem die Bilder in der Presse waren, hatte die Datenschutzbehörde Wohnungsdurchsuchungen bei zwei Mitarbeitern der Überwachungsfirma angeordnet.
Zu allem Überfluss sind erst am Sonntag zahlreiche Hacking-Fälle aufgeflogen, bei denen verschiedene Regierungen mehr als 180 Journalisten als Spionageziele auswählten. Zu den Auftraggebern gehören laut Guardian die Regierungen der Vereinigten Arabischen Emirate, von Aserbaidschan, Bahrain, Ungarn, Indien, Kasachstan, Mexiko, Marokko, Ruanda und Saudi-Arabien. Der mexikanische Journalist Cecilio Pineda Birto wurde einen Monat, nachdem sein Telephon von einer Spionagesoftware infiltriert worden war, ermordet.
Natürlich gibt es im Vereinigten Königreich keine Tradition einer autoritär ausgeübten Zensur, wie auch der unabhängige Kolumnist Patrick Cockburn bemerkt. Trotzdem hält er die Freiheit der Presse heute, auf einer internationalen Ebene betrachtet, für stärker gefährdet als in anderen Zeiten. In vielen formal demokratischen Staaten würden Journalisten bedrängt, die nicht genehmen Teile der Realität auszublenden.
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