Tichys Einblick
Boris, actually

Johnson: Wahlwerbespot mit Humor

Mit einer parodierten Filmszene wirbt der britische Premier dafür, ihn zu wählen. Sein Video ist verteufelt intelligent und voller Insel-Humor.

Screenprint: Youtube/Conservatives

Gut, die ganz ursprüngliche Idee stammt nicht von Boris Johnson und seinem Team. Trotzdem dürfte sein am Dienstag veröffentlichtes Wahl-Video zu den psychologisch intelligentesten politischen Werbebotschaften der letzten Jahre zählen. Bei Youtube läuft das Boris-Video zwei Tage vor der Wahl mit Zugriffszahlen, wie sie sonst bei Politiker-Botschaften eher nicht vorkommen.

Der britische Premier spielt die bekannteste Szene aus „Love, Actually“ von 2003 nach. In dem Film von Richard Curtis überbringt der unglückliche Mark (Andrew Lincoln) seiner frühen, mittlerweile mit einem anderen verheirateten Liebe (Keira Knightley) eine anrührende Botschaft: Er klingelt an ihrer Tür und zeigt ihr ein handgeschriebenes Schild mit der Bitte, ihrem Freund zuzurufen, es stünden Carol Singers, Weihnachtssänger draußen. Dann spielt er Weihnachtsmusik von einem Kassettenrecorder, während er ihr ein handgeschriebenes Schild nach dem anderen zeigt – eine stumme Ansprache, nur begleitet von seinem Mienenspiel.

Und so steht auch der Premier vor der Tür einer attraktiven mittelalten Frau, zerknautschtes Gesicht, Basset-Blick, Musik an, und los geht’s mit den handgemalten Botschaften. Seine wichtigste lautet: „Your vote has never been so important“, deine Stimme war noch nie so wichtig. Der Konservativen Partei würden nur noch neun Sitze zu einer absoluten Mehrheit fehlen – und die würde die Chance bieten, endlich den Brexit durchzubringen. Dabei wirbt Johnson im Grunde gar nicht für den Brexit selbst. Seine Botschaft lautet: lasst uns die Sache endlich erledigen, damit wir politisch wieder von etwas anderem reden können. Damit dürfte er den Nerv auch vieler Briten außerhalb des harten Brexit-Lagers treffen, die nach drei Jahren parlamentarischen Gezerres und Getrickses um den EU-Austritt das Thema endlich abhaken wollen. Dabei parodiert er auch ein bisschen sich selbst: wenn es so weitergehe wie bisher, in einem Parlament ohne klare Mehrheiten, dann würde er bald aussehen – er zeigt ein entsprechendes Foto – wie ein zotteliger, etwas verwahrloster Hund, dem der Haarvorhang vor den Augen hängt.
Schnüff!

Das Video zielt natürlich vor allem auf weibliche Wähler. Aber zweitens auch auf diejenigen, die der Konservative hofft, aus den anderen Lagern zu sich herüberziehen zu können. Sein raffinierter Subtext lautet: deine Labour-(oder LibDem)-Freunde müssen doch nicht wissen, dass du am 12. Dezember mich gewählt hast.

Als das Video am Dienstag online ging, rief vor allem Labour: die Idee ist geklaut! Nämlich von der Labour-Wahlkämpferin Rosena Allin-Kan, die vor kurzem in ihrem Video die gleiche „Love, Actually“-Szene nachspielte.

Nur: Allin-Kans Version funktioniert nicht. Erstens, weil ihr im Gegensatz zu Johnson jedes schauspielerische Talent fehlt. Dann verrät sie auch noch den Sinn der romantischen Szene, indem sie zwischendurch schablonengedruckte Labour-Schilder hochhält („10 pounds minimum wage“). Es fehlt jeder Subtext, kein Funke springt folglich zu dem steif dastehenden Tory-Wähler über, den sie zu bezirzen versucht. Trotzdem läuft der Mann nach Ende der stummen Ansprache nach oben, um das „Vote Conservative“-Schild im Fenster seines Hauses gegen eins auszutauschen, auf dem er brav verspricht, Allin-Kan zu wählen.

Auch die Schluss-Szene des Boris-Videos passt zu der Raffinesse des ganzen Auftritts. Im Original-Film gibt Knightley ihrem Verehrer schließlich einen Kuss. In der Johnson-Variante lächelt die Frau nur unergründlich. Und denkt wahrscheinlich kommentarlos daran, was sie übermorgen ankreuzt.

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