Die Schauspielerin Amber Heard wurde zu einer offiziellen, zivilrechtlichen Strafe von 15 Millionen Dollar verurteilt. Das Gericht war davon überzeugt, dass sie öffentlich falsche Vorwürfe verbreitet hat, wonach ihr Ex-Mann, der Schauspieler Johnny Depp, körperliche und sexuelle Gewalt gegen sie ausgeübt habe. Depp muss im Gegenzug 2 Millionen Dollar bezahlen, weil er laut Gericht fälschlicherweise behauptet hat, Heard habe einen Tatort inszeniert, um ihren Ex zu belasten. Der Prozess zeigt ein gesellschaftliches Dilemma auf.
Mitunter machen Vorwürfe sexueller Übergriffe auch Politik: So forderten die USA die Auslieferung von Julian Assange. Ursprünglich nicht, weil er über die Plattform Wikileaks amerikanische Staatsgeheimnisse verraten hat. Sondern weil die USA den Vorwürfen einer Vergewaltigung in Schweden nachgehen wollte. Das Verfahren ruht in Schweden mittlerweile. Die USA hätte Assange trotzdem noch gerne ausgeliefert. Dringend.
Die heutige EZB-Chefin Christine Lagarde wurde geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), nachdem ihr Vorgänger Dominique Strauss-Kahn wegen Vergewaltigungsvorwürfen zurücktreten musste. Nachdem Lagarde im Amt war, wurden die Verfahren gegen Strauss-Kahn niedergeschlagen. Der IWF gilt als umstritten, weil er sich rigide in die Sozialpolitik armer Länder einmischt. In Lagardes Amtszeit fiel die finanzielle Rettung Griechenlands. Auch dort setzte der IWF soziale Einschnitte durch. Doch es gab den Vorwurf, dass der Fonds Reiche gedeckt habe, die ihr Vermögen in Sicherheit vor dem Staat gebracht haben.
Der Ablauf der Vorwürfe sexueller Gewalt ist oft gleich: Die Beschuldigung wird öffentlich. Medien berichten breit darüber, mitunter mit einer perversen Liebe fürs Detail wie die Bild-Zeitung im Fall Kachelmann. Sind die Vorwürfe berechtigt, wird der Angeklagte verurteilt. Aber auch die Freigesprochenen gelten danach nicht mehr als haltbar. Showstars erleben schwere Dellen in ihren Karrieren, Inhaber politischer Ämter verlieren diese. Comebacks folgen – wenn überhaupt – erst lange später und erreichen in der Regel auch nicht vergangene Höhen.
Nachdem Heard die gleichen Vorwürfe in der Washington Post veröffentlicht hat, verklagte Depp auch sie wegen Verleumdung. Zivilrechtlich. Das Gericht gab ihm nun recht. Geklagt hatte er auf 50 Millionen Dollar, das Gericht sprach ihm 15 Millionen Dollar zu. Er erhält aber nur 10,4 Millionen Dollar. Die Summe fällt deswegen niedriger aus, weil der Prozess in Virginia stattfand und dort gewisse Strafen in der Höhe gedeckelt sind. Im Gegenzug muss Depp an Heard 2 Millionen Dollar zahlen, weil das Gericht ihm nicht glaubt, sie habe einen Tatort inszeniert, um ihn zu belasten.
Über den Prozess berichteten die Boulevard-Medien sechs Wochen lang nahezu täglich. Es gehört zu dem Wesen solcher Prozesse, dass Vorgänge öffentlich diskutiert werden, die sonst aus gutem Grund in den eigenen vier Wänden stattfinden. Die Bild hatte seinerzeit Alice Schwarzer auf Kachelmann angesetzt. Dass Spaß am Sex für einen Mann nicht automatisch ein Beweis für Vergewaltigungen seinerseits ist, hat sie in ihren Texten bis zuletzt nicht akzeptiert. Im Prozess Depp–Heard steht der Vorwurf im Raum, Heard habe ihm aufs Bett gekotet.
Das zeigt, wie schwer die Ebenen in einem solchen Prozess zu trennen sind. Was hat der Kot auf dem Bett mit Gewalt zu tun, dem eigentlichen Thema? Nun. Nicht nur Heard wirft Depp vor, gewalttätig gewesen zu sein – sondern auch umgekehrt. Vor Gericht erzählt er, seine Mutter sei schon gegen seinen Vater gewalttätig gewesen. Darunter leide er noch heute. Und Heard selbst wurde schon wegen des Vorwurfs der Gewalt gegen eine Frau verhaftet. Heard ist bisexuell. Im Prozess tauchen Tonaufnahmen auf, die belegen, dass auch sie Depp in ihrer nur gut ein Jahr dauernden Ehe angegriffen hat.
Also ist der Kot auf dem Bett ein Thema für den Prozess. Der Vorwurf behandelt die mutmaßliche seelische Aggressivität Heards gegen Depp. Aufs Bett kacken als Akt psychologischer Gewalt. Dass sich die Öffentlichkeit auf solch ein Thema stürzt, ergibt sich allerdings von selbst. Wobei sich Qualitätsmedien von den sozialen Netzwerken oft nur durch die Wortwahl unterscheiden.
Andere Vorwürfe werden durch den Prozess öffentlich: Heard habe mit Flaschen und einer Fernbedienung nach ihrem Mann geworfen. Sie habe ihm eine Fingerkuppe abgetrennt. Statt ins Krankenhaus zu fahren, habe Depp aber erstmal mit Blut Nachrichten an die Wand geschrieben. Er wiederum habe sie sexuell missbraucht, ihr unter Gewalt eine Flasche in die Vagina eingeführt.
In solchen Momenten wird das Dilemma deutlich, dem Prozesse wie dieser unterliegen: Weder Depp noch Heard sind Heilige. Sie leben in den USA und nicht auf einer imaginären Wolke. Geschichten aus privaten Wohnungen werden grundsätzlich nicht öffentlich: Sie würden von Urinflecken neben der Toilette handeln, von Sex unter Alkoholeinfluss, von Kotspuren auf Leintüchern oder von Partnern, die sich nach dem Toilettengang nicht die Hände waschen, aber Essen anfassen. Das sind alles keine schönen Themen – passieren aber im realen Leben millionenfach. Täglich. Fürs Gericht darf nur relevant sein, was strafbewehrt ist. Nicht was unsympathisch ist oder vielleicht auch widerlich. Depp und Heard aber sind prominent. Also redet nun die ganze freie Welt von Kot auf dem Bett.
Die Kernthese der MeToo-Bewegung lautet, dass es insgesamt gesellschaftlich, aber gerade speziell in Hollywood strukturelle, sexuelle Gewalt gegen Frauen gibt. Eine These, an der durchaus viel dran ist. Das Wort „Besetzungscouch“ ist ein Euphemismus. Es steht für Prozesse, die Frauen gezwungen haben, sich grundsätzlich sexuell unterwürfig zu zeigen, um in der harten Geschäftswelt des Films bestehen zu können. Und über die öffentlich auch mehr als nur gemutmaßt wurde.
Doch wie das bei links-woken Bewegungen so oft ist: Was als sinnvolle Initiative startete, artete aus, wurde eben zur Glaubensfrage. Für manche Anhänger:innen gab es nur noch Gut und Böse, nur noch Glaube oder Satan, nur noch Opfer und Täter. Wer bei Vorwürfen an die Unschuldsvermutung erinnerte, der verharmloste demnach sexuelle Gewalt und war selbst ein Gewalttäter. Wer eine rationale Debattenkultur anmahnte, verharmloste sexuelle Gewalt und war selbst ein Gewalttäter. Wer nicht dafür war, war nicht nur dagegen – sondern ein Übeltäter, gegenüber dem man die Regeln von Gesetz und Anstand nicht mehr anzuwenden brauchte. So verleihen sich links-woke Bewegungen gerne einen Freifahrtschein zur Doppelmoral, entbinden sich selbst von der Verpflichtung, sich an den eigenen, hehren moralischen Anspruch halten zu müssen.
„Depp/Heard trial marks end of MeToo Era“ schrieb Douglas Murray. Doch das ist zu kurz gedacht. Oder zu säkulär. Denn etwas annähernd Objektives wie ein Urteil beendet etwas Religiöses nicht. Sonst wäre mit dem Christentum nach Pontius Pilatus Schluss gewesen. In Sachen O.J. Simpson gilt in den USA nach zwei Jahrzehnten immer noch die Faustregel: Wenn du schwarz bist, war er unschuldig. Ähnliches ist auch von dem Urteil in der Sache Depp–Heard zu erwarten. Die Bewegung wird sich vermutlich eher noch weiter radikalisieren.