Tichys Einblick
Staatspapiere im Privathaus

Joe Bidens Dokumenten-Affäre verunsichert Amerika

Wie kam der heutige Präsident als Senator dazu, geheime Dokumente bei sich zu Hause zu deponieren? Die Affäre um die „Biden Papers“ lässt das politische Amerika wie ein Kartenhaus erscheinen. Womöglich reicht ein Windstoß, um es zusammenfallen zu lassen.

US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus, 25.01.2023

IMAGO / Cover-Images

Mittlerweile kann man schon den Überblick verlieren. Zu viele streng geheime Dokumente wurden mittlerweile an zu vielen streng privaten Orten bei Joe Biden gefunden. Zu viel wurde in den letzten Wochen vertuscht, zu viel gelogen. Erst waren es geheime Dokumente in einem Büro in Washington, dann kamen weitere Papiere in seinem Wohnhaus zum Vorschein, es folgten Pappkartons in seiner Garage, in denen geheime Akten lagerten.

Die Fotos von Biden in seiner Corvette mit dem Stapel voller Papiere im Hintergrund hielt ich zunächst für eine bösartige Collage, bis sich herausstellte, dass sie echt sind. In den letzten Tagen wurden bei einer 13-stündigen (!) FBI-Durchsuchung erneut Geheimdokumente in seinem Wohnhaus gefunden. Die Angelegenheit wird langsam unappetitlich. Dagegen wirken Terminkalender und Unterlagen, die Olaf Scholz seinerzeit achtlos in seiner Mülltonne entsorgte, schon fast harmlos. Was ist da los?, fragt man sich.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Dazu die Salamitaktik. Die ersten Aktenfunde am 2. November, sechs Tage vor den Midterms-Wahlen, und weitere Funde im Dezember und Januar liefen unter Radar, ohne dass die Medien davon Wind bekommen hätten. Erst seit dem 9. Januar hält die Affäre um die „Biden Papers“ auch die Öffentlichkeit in Atem und man wundert sich, dass die Zeit zwischen dem 2. November 2022 und Januar 2023 von der Biden-Regierung nicht genutzt wurde, um sämtliche Unterlagen zu finden und abzugeben. Es wäre ein einmaliger Sturm gewesen, aber kein mehrwöchiges Spektakel.

Parallel werden Stimmen laut, es könne sich um eine Intrige gegen Biden handeln. Unklar ist, ob Republikaner im Hintergrund die Strippen ziehen oder eher seine eigene Partei verhindern will, dass Biden erneut kandidiert. In den nächsten Wochen wollte er eigentlich verkünden, ob er für eine zweite Amtszeit zur Verfügung stünde. Das ist nun in weite Ferne gerückt.

Währenddessen leugnen das Weiße Haus und seine Sprecherin Karine Jean-Pierre alles, was nicht offiziell bewiesen ist. Dabei kommt den Demokraten gut zupass, dass auch Mike Pence, Vizepräsident unter Trump, jetzt eingestehen musste, geheime Dokumente in seinem Wohnhaus gefunden zu haben. Pence hat sie bereits an das Nationalarchiv übergeben. Man versucht, die Aktenfunde allgemein als Nachlässigkeit zu verkaufen, nach dem Motto: Seht ihr, da ist noch ein Vizepräsident, der etwas daheim gelagert hatte.

Wenn zwei das Gleiche tun...
Nach Trump nun Biden: Geheime Dokumente im Privathaus des Präsidenten gefunden
Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Ein wichtiger, in Deutschland allerdings bisher kaum beachteter Faktor in diesem peinlich-faszinierenden Drama ist die Tatsache, dass einige der bisher gefundenen Dokumente aus Bidens Zeit als Senator stammen. Für die 100 amerikanischen Senatoren gelten ganz andere Regeln als für die Exekutive in den USA. Warum das wichtig ist, erklärte der texanische Senator Ted Cruz in seinem Podcast „Verdict“ am 23. Januar 2023.

„Ich bin seit zehn Jahren im Senat und habe in dieser Zeit eine ganze Menge geheimer Papiere gelesen. Jedes einzelne dieser klassifizierten Dokumente habe ich im SCIF (Sensitive Compartmented Information Facility) anschauen müssen.“

Cruz beschreibt diese Räumlichkeit als unterirdisch unter dem Kapitol gelegen und mit diversen Sicherheitsvorrichtungen bei der Eingangskontrolle versehen. „Zunächst geht man durch mehrere dicke Stahltüren, kommt dann in einen langen Gang. In diesem Gang hängen Bilder und Poster, die an die Zeit des Zweiten Weltkrieges erinnern.Teilweise Cartoons, teilweise Plakate. Die Motive sind unterschiedlich, die Message immer gleich: Menschen starben durch Geheimnisverrat. Menschen werden sterben, wenn wir unserer Verantwortung nicht gerecht werden.“

Am Ende dieses langen Ganges kommt laut Cruz eine weitere Stahltür. Dahinter ist ein Empfang, wo man sämtliche elektronischen Geräte abgeben muss. Seien es das Handy, Fotoapparat, Smart-watch oder Kopfhörer. Erst dann darf man den SCIF betreten. „Man muss sich das im Prinzip wie ein Bürogebäude unter Tage vorstellen. Es gibt Besprechungsräume für geheime Meetings, es gibt Einsatz-Besprechungsräume und Leseräume, in denen die geheimen Papiere durchgearbeitet werden können. Vor Ort sind gesicherte Telefone, man kann CIA oder FBI für Rückfragen anrufen“.

„Jedes einzelne Dokument, welches ich als Senator anfordere, wird in eine Liste eintragen. Es wird vermerkt, um welche Uhrzeit ich das Dokument bekomme und wann genau ich es zurückbringe. Jede einzelne Spalte in diesem Übergabeprotokoll muss von mir unterschrieben werden. In den zehn Jahren, die ich nun Senator bin, war das Procedere immer gleich. Anschließend geht man zurück in den Empfangsraum, wo man seine abgegebenen elektronischen Geräte zurück erhält.“

Weitere geheime Dokumente und Geldwäsche?
US-Präsident Joe Biden kommt noch mehr in Bedrängnis
Nie, nicht ein einziges Mal, meint Cruz, konnte er Unterlagen aus dem SCIF mit in sein Büro oder sein Auto, geschweige denn in sein Wohnhaus oder seine Garage nehmen. „Man nimmt aus dem SCIF keine geheimen Papiere mit. Jeder Senator weiß, eine Mitnahme schon ins Büro wäre illegal und die Vorschriften machen das eigentlich auch unmöglich. Das mag für die exekutive Ebene, zu der auch Präsident und Vizepräsident gehören, anders sein, aber für uns Senatoren gelten diese Regeln.“ Kein Wunder, dass Cruz sich fragt, wie es sein kann, dass Dokumente aus Bidens Senatorenzeit offensichtlich trotzdem an allen möglichen Orten gefunden wurden.

Cruz fordert jetzt, gemeinsam mit vielen Kollegen aus Senat und Repräsentantenhaus, dass die 1850 Kartons, die Joe Biden nach seiner Zeit als Senator der Universität von Delaware vermacht hatte, vom FBI umgehend durchsucht werden. „Anscheinend hat der Präsident es sich im Laufe seiner langjährigen politischen Karriere zur Gewohnheit gemacht, Geheimpapiere mitzunehmen und einfach irgendwo liegen zu lassen. 1850 potentielle Fundorte für sensible Dokumente sollten nicht im Keller einer Uni lagern. Das ist kein SCIF, ein Hausmeister ersetzt keinen Secret Service“, fasst der texanische Senator zusammen.

Cruz ist sich sicher, dass mittlerweile die ehemaligen Präsidenten und ihre Vize fieberhaft sämtliche privaten Büros und Wohnhäuser auf Geheimakten durchsuchen lassen. In der Hoffnung, nicht ebenfalls in den Sumpf zu geraten, von dem man hoffte, Trump darin absaufen lassen zu können. Trumps Wahlkampfspruch „Drain the swamp“, trocknet den Sumpf aus, bekommt plötzlich eine ganz neue Bedeutung.

Timeline

2. November 2022: Bidens Anwälte entdecken eine „kleine Anzahl“ von Verschlusssachen in einem Büro im Penn-Biden-Center in Washington. Die Entdeckung wird am gleichen Tag dem Nationalarchiv gemeldet.

3. November 2022: Das Nationalarchiv holt die Materialien ab.

4. November 2022: Beamte des Archivs übergeben die Angelegenheit an das Justizministerium.

10. November 2022: Das Justizministerium teilt Bidens Rechtsteam mit, dass eine vorläufige Untersuchung eingeleitet wurde.

14. November 2022: Justizminister Garland beruft John R. Lausch Jr., US-Anwalt in Chicago, um zu bewerten ob ein Sonderermittler benötigt wird.

20. Dezember 2022: Bidens Anwälte teilen mit, dass ein zweiter Satz geheimer Dokumente in der Garage von Bidens Haus in Wilmington gefunden wurde. Das Justizministerium wurde über den Fund einer „kleinen Anzahl“ geheimer Dateien in einem Lagerraum in der Garage informiert.

5. Januar 2023: John R. Lausch jr. berichtet Justizminister Garland, dass ein Sonderberater gerechtfertigt sei.

9. Januar 2023: CBS News berichtet über die Existenz der Dokumente, die im Penn-Biden-Center gefunden wurden. Das Weiße Haus räumt die Angelegenheit in einer Erklärung ein, verweist aber nicht auf die weiteren Dokumente, die im Haus des Präsidenten in Wilmington gefunden wurden.

10. Januar 2023: Biden erklärt Reportern in Mexiko-Stadt, dass er „überrascht“ war, als er im Herbst hörte, dass geheime Dokumente in sein ehemaliges Büro im Penn-Biden-Center gebracht worden seien.

11. Januar 2023: NBC News berichtet, dass eine zweite Charge von klassifizierten Datensätzen gefunden worden war, aber ohne Details wie wann und wo. Später wird klar, dass dies die Charge war, die am 20. Dezember in der Garage gefunden wurde.

Bidens Anwälte durchsuchen seine Häuser in Wilmington und Rehoboth Beach nach zusätzlichen Aufzeichnungen, gemäß einer Zeitleiste, die von Bidens Anwälten geteilt wurde.

12. Januar 2023: Das Weiße Haus räumt öffentlich ein, dass Dokumente in Bidens Garage gefunden wurden, zusammen mit einer zusätzlichen Seite mit Verschlusssachen, die „unter gelagerten Materialien in einem angrenzenden Raum entdeckt“ worden seien. Eine Durchsuchung des Biden-Hauses in Rehoboth Beach hätte keine weiteren Dokumente gefunden, sagte Karine Jean-Pierre, Sprecherin des Weißen Haus. Justizminister Garland gibt bekannt, dass er Robert K. Hur zum Sonderberater ernannt hat, um die Vorfälle zu untersuchen.

14. Januar 2023: Die Sprecherin des Weißen Haus teilt mit, dass fünf weitere Seiten im Lagerraum neben Bidens Garage Stunden nach ihrer Erklärung am 12. Januar entdeckt worden waren.

20. Januar 2023: Die Sprecherin des Weißen Hauses wird gefragt, warum der Präsident in sein Strandhaus fuhr, statt in sein Haus in Wilmington. Sie verweigert die Antwort.

21. Januar 2022: Bidens persönlicher Anwalt erklärt, dass FBI und Ermittler des Justizministeriums am 20. Januar das Haus des Präsidenten in Wilmington 13 Stunden durchsucht hätten und mehr als ein halbes Dutzend zusätzlicher Dokumente beschlagnahmt wurden. In der Zeit durfte der Präsident sein Wohnhaus nicht betreten und musste daher in sein Strandhaus ausweichen.

23. Januar 2023: Einige der gefundenen Dokumente stammen aus Bidens Zeit als Senator.

24. Januar 2023: Abgeordnete verlangen, dass die Universität von Delaware vom FBI und Justizministerium durchsucht werden müssen. Biden hatte der Universität Unterlagen aus seiner Zeit als Senator für das Archiv zur Verfügung gestellt. Insgesamt 1850 Kartons, die dort im Keller gelagert werden. Niemand weiß derzeit, was sich in diesen Kartons befindet.

Fortsetzung folgt.

Anzeige
Die mobile Version verlassen