Tichys Einblick
Kristóf Szalay-Bobrovnicky

Ungarns Verteidigungsminister: „Jetzt wäre der Augenblick für Waffenstillstandsverhandlungen”

Ungarns Verteidigungsminister Szalay-Bobrovnicky meint: Die militärische Lage der Ukraine ist schlechter als in vielen Medien dargestellt, die westlichen Waffen allein werden das nicht ändern.

Ukrainischer Soldat in der Nähe von Slowjansk, 03.07.2022

IMAGO / ZUMA Wire

Ungarns neuer Verteidigungsminister Kristóf Szalay-Bobrovnicky hat in einem Vortrag am Budapester Mathias Corvinus Collegium (MCC) ein denkbar düsteres Bild der militärischen Lage der Ukraine gezeichnet. Insbesondere seien die Kämpfe um die jüngst von den russischen Kräften eroberte Stadt Sewerodonetsk für die ukrainische Seite sehr verlustreich verlaufen, sagte der Minister. Die Umfassung der ukrainischen Armee von drei Seiten in dieser Schlacht nannte er einen „Todeskessel”, in dem viele Soldaten im Hagel russischer Artilleriegranaten gefallen seien.

Insofern war es „kein Zufall”, dass die Ukraine die Nachbarstadt Lysychansk relativ rasch aufgab, statt auch sie so lange wie möglich zu halten, meinte der Minister. Denn die Ukraine stehe allmählich vor einem ernsten Problem: Ihre kampftauglichen Truppen werden knapp.

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Die russischen Verluste schätzte der Minister auf rund 15.000 Tote, hinzu kämen wohl das Dreifache an Verwundeten und Gefangenen. Die ukrainischen Verluste schätzt Szalay-Bobrovnicky auf 35.000 Soldaten. Da das Land aber von vornherein mit einer Truppenstärke von 200.000 Mann eine deutliche kleinere Armee hatte als Russland, machten sich die Verluste relativ stärker bemerkbar. „Da helfen auch die westlichen Waffen nur begrenzt, wenn die Menschen fehlen, um sie zu benutzen”, sagte Szalay-Bobrovnicky.

Zusätzlich sei die Ukraine geschwächt durch einen Rückgang ihrer Wirtschaftsleistung um gut 40 Prozent, den Verlust von 20 Prozent ihres Staatsgebietes und eines beträchtlichen Teils ihrer Bevölkerung. Sieben Millionen Menschen hätten das Land verlassen, und jene, die im nunmehr russischen besetzten Teil des Donbass blieben, seien für Kiew vorerst verloren.

Insgesamt sehe es „düster” aus für die Ukraine, meinte der Minister. Da aber auch die Russen nach ihren jüngsten Erfolgen eine Pause gut gebrauchen könnten, um ihre Verluste zu ersetzen und die Truppen für eine neue Offensive zu ordnen, sei jetzt der Augenblick gekommen, um nach einem Waffenstillstand und Verhandlungen zu rufen.

Ob es dazu kommen werde, sei allerdings fraglich, sagte Szalay-Bobrovnicky. Die ukrainische Gesellschaft sei nicht bereit, auf Territorium zu verzichten als Bestandteil einer Friedensvereinbarung. Allerdings schwinde allmählich auch der Rückhalt für eine langfristige Fortführung des Krieges.

Auf die Frage, woran es liege, dass er ein sehr viel dunkleres Bild von der Lage der Ukraine zeichne als jenes, welches in westlichen Medien dominiert, sagte der Minister: „In diesem Krieg wird nicht nur mit Waffen gekämpft. Ich würde zu diesem Thema keinerlei Medien vertrauen, wir stützen unsere Analysen auf seriösere Quellen”. Im Klartext: Es kann sein, dass manche westliche Medien – etwa auf der Grundlage von Informationen des ukrainischen, britischen oder amerikanischen Militärs – voreingenommen über den Krieg berichten.

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Der neue Verteidigungsminister – zuvor war er Botschafter in London – entstammt einer Soldatenfamilie und ist selbst Reserveoffizier. Als seine Prioritäten nannte er eine „Verdoppelung, Verdreifachung” des Tempos der ohnehin bereits ambitionierten ungarischen Aufrüstung. Das Land hat in jüngster Zeit unter anderem 44 deutsche Leopard-Panzer, 20 Airbus-Kampfhubschrauber und 24 Panzerhaubitzen „2000” erworben. Zudem sollem in Lizenz der deutsche Panzerkampfwagen Lynx sowie Munition verschiedenster Art hergestellt werden. Ungarn produziert bereits, ebenfalls in Lizenz, tschechische Handfeuerwaffen, die schon jetzt zur Grundausrüstung ungarischer Soldaten gehören, sowie bis zu 300 gepanzerte Infanterie-Kampffahrzeuge „Gidrán” (eine ungarische Lizenz-Version des türkischen Kampfwagen „Ejder Yalcin”).

Es geht also nicht nur um Aufrüstung und den Aufbau einer modernen Armee, sondern auch um den Aufbau einer leistungsfähigen ungarischen Rüstungsindustrie. Strategischer Partner bei all dem ist der deutsche Rheinmetall-Konzern, mit Produktionsstätten in Várpalota (Munition), Zalaegerszeg (Lynx) Kaposvár (Gidrán) und Nyírtelek (Radarsysteme).

Kein Wunder bei so viel Zusammenarbeit, dass die erste Auslandsreise des neuen Verteidigungsministers ihn nach Berlin führte, wo er am 28. Juni Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht traf. Im Zentrum der Gespräche stand der weitere Ausbau der Zusammenarbeit in der Rüstungsindustrie. Bereits nächstes Jahr will Ungarn seine Militärausgaben nach Angaben des Ministers auf zwei Prozent des BIP erhöhen, wie es die Richtlinien der Nato erfordern (was aber die meisten Mitglieder der Allianz nicht einhalten). Szalay-Bobrovnicky sagte, dass es angesichts der Gefahrenlage im Kontext des Ukraine-Krieges in Zukunft auch mehr werden kann.

Zum jüngsten Nato-Gipfel in Madrid, wo die Allianz ein neues strategisches Konzept formulierte, erwähnte der Minister, dass das Dokument auf Hinwirken Ungarns auch Migration als destabilisierenden Faktor erwähnt. Von Ungarns südlicher Grenze sind in den kommenden Jahren zum Thema Migration kaum gute Nachrichten zu erwarten, sagte Szalay-Bobrovnicky, und wies darauf hin, dass es dort erst kürzlich ein Feuergefecht zwischen zwei Migrantengruppen gegeben habe, mit Todesopfern.

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