Tichys Einblick
Nato oder Zensur?

JD Vance droht EU-Staaten mit Konsequenzen wegen Zensurplänen

Lange hieß es, die USA bewegen sich von Europa weg. Jetzt geht es umgekehrt. Der designierte Vizepräsident JD Vance hat in einem Interview festgestellt, dass die EU sich von den gemeinsamen Werten zu verabschieden droht – vor allem in Sachen freier Rede, etwa auf X. Trump und er wollen nicht untätig bleiben.

IMAGO / ZUMA Press Wire

Wie so oft im Leben, wird sich auch die EU-Kommission bald entscheiden müssen: Will sie ihr umstrittenes Digitale-Dienste-Gesetz (DDG oder auch englisch DSA) umsetzen und Elon Musks Online-Plattform X zensieren oder legen die tonangebenden EU-Mitgliedsstaaten auch weiterhin Wert auf militärischen Schutz und Trutz durch die USA im Rahmen der Nato? Noch vor den Wahlen zur US-Präsidentschaft hatte der designierte Vizepräsident James David „JD“ Vance – bislang fast unbemerkt – ein Trump-Narrativ weitergesponnen und demselben so einen neuen Werteboden verliehen. Und so geht es nun um den Verteidigungsbeitrag der USA ebenso wie um die Redefreiheit zwischen Alter und Neuer Welt.

Jahrelang war die Rede davon, dass die USA dabei sind, weniger nach Europa zu blicken als früher und sich Asien oder wem auch immer zuzuwenden. JD Vance, bislang noch ein gewöhnlicher Senator für den Bundesstaat Ohio, hat schon vor zwei Monaten einen anderen Akzent gesetzt, als er in einem Youtube-Interview davon sprach, dass es die Europäer sind, die sich derzeit vom amerikanischen Wertesystem abwenden. Dabei wurde dieses System christlicher und aufklärerischer Grundsätze einmal aus der Alten in die Neue Welt übertragen. In den 13 Kolonien hatten vor allem Anhänger verfolgter Konfessionen Zuflucht vor den Zumutungen der britischen Krone gefunden. Die Redefreiheit hat daher bis heute einen ganz besonderen Rang im Wertesystem Amerikas – zumindest für die republikanische Rechte, die nun über die nur dem Namen nach „liberalen“ Demokraten triumphiert hat.

Von Breton bis Vance: „Liberale“ Zensoren und „rechte“ Freiheitsjünger

Die Republikaner sind heute die Partei der Freiheiten, wie sie in der US-Verfassung festgeschrieben sind, während Demokraten immer wieder die Schleifung der Verfassungszusätze fordern oder auch insgeheim umsetzen. Dieser Gegensatz zeigte sich spätestens seit der Übernahme von Twitter durch Elon Musk. Dank den „Twitter Files“, die Musk durch kundige Journalisten auswerten und veröffentlichen ließ, wurde klar: Unter demokratischer Führung hatte das Weiße Haus direkt in die Schall- und Echokammern der Online-Plattform eingegriffen. Regierungsagenten hatten angeordnet, dass gewisse Stimmen nicht gehört, andere Profile nicht gesehen wurden. „Shadow banning“ war das Wort dafür – verdammt in den Schatten junger Mädchenblüte, ohne Publikum und Auditorium. Das war die Verderbnis der Meinungsfreiheit auf amerikanischem Boden. Es bedurfte eines Elon Musk, um die Dinge wieder zurechtzurücken.

Immer weniger freiheitlich zeigen sich dabei auch die Anführer der EU. Im vergangenen August schrieb der damalige EU-Binnenmarktskommissar Thierry Breton, der inzwischen seiner eigenen Keckheit (und dem Machtbewusstsein Ursula von der Leyens) zum Opfer gefallen ist, einen Brief an Elon Musk, in dem er dem US-Unternehmer rechtliche Konsequenzen androhte für den Fall, dass im Laufe eines auf X übertragenen Gesprächs mit Donald Trump „schädliche Inhalte“ zur Sprache kämen. Es kam anders: Tatsächlich wurde die Plattform X im Moment der Übertragung zum Ziel von schädigenden Cyber-Angriffen, deren Urheber unklar blieben.

Damit hatte sich Breton in den US-Wahlkampf eingemischt. Die Reaktion von der anderen Seite des Teiches ließ nicht auf sich warten. Der Berliner Ex-US-Botschafter Richard Grenell – der nun als Außenminister gehandelt wird – übernahm die erste Breitseite gegen Breton: Die „Europäer“ – also Breton – hatten sich demnach „in unsere Wahl eingemischt, indem sie versucht haben, die Meinungsfreiheit einzuschränken“. Im selben Zuge kritisierte Grenell auch die implizite Einordnung von „Donald Trumps Politik als Fehlinformation“, als „schlecht oder negativ“, von der Breton in seiner Intervention auszugehen schien (TE berichtete).

Die EU und die Frage nach der FGDO

In einem auch insgesamt sehenswerten Youtube-Interview, das der neu gewählte Vize-Präsident am 11. September in New York gab, sagte Vance, dass er den Namen jenes EU-Politikers, der damals den drohenden Brief an Musk geschrieben hatte, vergessen habe, dass aber die Haltung der EU in Fragen der Rede- und Meinungsfreiheit Folgen für die Beziehungen der USA zu den EU-Mitgliedern haben müsse. Was Vance genau sagte, ist dabei von Interesse: „Ich werde nicht in ein hinterwäldlerisches Land gehen und ihnen sagen, wie sie ihr Leben leben sollen. Aber die europäischen Länder sollten theoretisch die amerikanischen Werte teilen, vor allem in Bezug auf so grundlegende Dinge wie die Redefreiheit.“

Das Wort „hinterwäldlerisch“ in Bezug auf Länder ist für uns neu, aber Vance wollte wohl betonen, dass sich die USA nicht in neokolonialer Manier in andere Kulturkreise einmischen, die anscheinend auch von wenig Belang für ihn sind. Die Europäer sieht Vance bei aller wahrgenommener Distanz als Brüder im Geiste an, die daher „theoretisch“ – also gemäß seinem abwägenden Urteil, noch nicht verpflichtend – dieselben Werte teilen sollten.

Diese Annahme bleibt zunächst ohne Hindernisse insofern, als auch die federführenden Parteien und Politiker der EU sich selbst als Anwälte einer liberalen, rechtsstaatlich organisierten Demokratie ansehen. Ob ihre Gesetze, Verordnungen und Handlungen diesem Selbstverständnis immer genau entsprechen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Über die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO) und wie sie bewahrt werden kann, wurde auch auf diesen Seiten des öfteren geschrieben. Das Thema ist nun zum Teil von der bundesrepublikanischen auf die EU-superstaatliche Ebene (die sich noch „in statu nascendi“ befindet) hochgerutscht. Auf das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz folgte der Digital Services Act der EU, jeweils mit derselben Intention der Unterdrückung missliebiger Inhalte, noch unter der Schwelle der Strafbarkeit.

Schädlich sind die Rufe nach Zensur

Aber Vance sagte noch mehr, forderte die EU-Europäer nicht nur zum Beistimmen auf, sondern brachte ein härteres Argument an: „Wenn die NATO will, dass wir sie weiterhin unterstützen, und wenn die NATO will, dass wir weiterhin ein guter Teilnehmer an diesem Militärbündnis sind, warum respektieren Sie dann nicht die amerikanischen Werte und die Redefreiheit?“ Diese Haltung solle „Amerika“, also die neue Regierung, gegenüber den EU-Partnern einnehmen. „Wahnsinn“ (insane) sei es, dass die USA „ein Militärbündnis unterstützen, das sich nicht für die Meinungsfreiheit einsetzt“. Und hier ließ Vance die Nato-Partner eben doch den Einfluss der US-Regierung spüren. Die USA geben seit jeher einen deutlich höheren Anteil des eigenen BIP für die Verteidigung aus als Kanada und die europäischen Partner, was letztlich auch den Partnern zugutekommt.

Das Argument von Vance ist eine neue Version der bekannten Trump-Haltung, dass die Europäer endlich ihre Zusagen in Sachen Nato und Verteidigungshaushalt einhalten sollen. Dass die von der EU vertretenen Werte von entscheidender Bedeutung sein könnten, wo es um den ganz praktischen US-Beistand für die europäischen Partner geht, erscheint als integraler Teil der politischen Logik und Vernunft. Warum sollten US-Bürger andere Staaten vor äußeren Gefahren und Feinden schützen, wenn sich diese nicht auf eine gemeinsame Wertebasis mit den Vereinigten Staaten stellen? Die Meinungs- und Redefreiheit ist in den USA in einem der prägenden, früh hinzugefügten Verfassungszusätze aufgehoben.

Zu den schädlichen Tendenzen, die heute im globalen Maßstab vor allem von der EU, aber auch von bestimmten Kreisen in der US-Verwaltung ausgehen, hatte Trump schon vor zwei Jahren in einer „Free Speech Policy Initiative“ (Initiative für eine Politik der freien Rede) deutliche und starke Worte gefunden: „Wenn wir keine FREIHEIT DER REDE haben, dann haben wir einfach kein FREIES LAND. So einfach ist das. Wenn man zulässt, dass dieses grundlegendste Recht untergeht, werden die übrigen Rechte und Freiheiten wie Dominosteine nach und nach umkippen. Sie werden untergehen.“

Trump versprach sofort nach seiner Wiederwahl und Inauguration, allen Bundesministerien und -agenturen zu untersagen, mit anderen Organisationen, Unternehmen oder Personen zusammenzuarbeiten, um „die rechtmäßigen Äußerungen amerikanischer Bürger zu zensieren, einzuschränken, zu kategorisieren oder zu behindern“. Bundesgelder sollen dann nicht mehr dafür genutzt werden können, um Redebeiträge als „Falsch-“ oder „Desinformation“ zu kategorisieren. Man könnte meinen, dass mancher von Trumps Vorschlägen sich weniger auf die Praktiken in den USA als vielmehr in den Staaten der EU bezieht. Auch das Wörtchen „Nicht-Diskriminierung“ fällt in diesem Text der Trump-Kampagne – nichts daran ist zufällig.

Öffentlich finanzierte „Faktenfinder“, wie Trump sie beschreibt, gibt es jedenfalls hierzulande genug – von den Tagesschau-Faktenfindern über entsprechende Abteilungen bei der dpa bis hin zum berüchtigten Schummelladen Correctiv. Man darf vermuten, dass auch die großen amerikanischen Agenturen ihre Fake-Checking-Bemühungen nicht ohne öffentliche Hilfe bestreiten. Auch Trump will die Plattformen der freien Rede zu einem Zugeständnis an die Staaten verpflichten: Sie sollen zweifellos illegale Inhalte wie die „Ausbeutung von Kindern“ und Terror-Bewerbung löschen, dabei aber die freie Rede intakt belassen.

Spannende Tage zwischen Washington und Brüssel

Der Streit zwischen der EU und Musk wird auch über den Abgang Thierry Bretons hinaus bleiben. Wird die Kommission also ihren bekannten „Instrumentenkasten“ öffnen, wenn Musk auch weiterhin jede Zusammenarbeit mit den Zensoren verweigert? In diesem Fall dürfte es wirklich spannend werden in der Nato und überhaupt auf dem diplomatischen Parkett zwischen Brüssel, Berlin, Paris und Washington. Dort würden dann nicht nur die Fragen der internationalen Politik ausgetragen, sondern auch solche der inneren Verfasstheit der beteiligten Staaten.

Bald schon könnte es in diesen Fragen zum Schwur kommen. Das DSA-Verfahren gegen Musk und X wird wohl nicht vor dem nächsten Jahr voranschreiten. Die neue Trump-Regierung dürfte dann schon im Amt sein, und sie scheint bereit und gerüstet für die Auseinandersetzung, die auch zugunsten und zum Guten der Meinungsfreiheit in der EU geführt werden wird.

Die aktuelle EU-Kommission hat derweil über einen Sprecher mitteilen lassen, dass man sich selbst von einer möglichen Berufung Musks ins Kabinett oder auch nur als offizieller Berater Trumps nicht von der Anwendung des Digital Services Act (DSA) abbringen lassen will. Mit anderen Worten: Man will sein Zensurwerk fortsetzen und die großen Online-Plattformen zu gehorsamen Befehlsempfängern der Kommission machen, im Krisenfall und darüber hinaus. Musk hatte nach dem Breton-Brief kritisiert, dass andere Plattform-Besitzer dem Wunsch der Kommission quasi freiwillig nachgegeben hätten. Er selbst habe das nicht vor. Die Freiheit für jeden, zu veröffentlichen, was er denkt, wiegt für Musk höher als die Vor- oder Nachteile, die die Kommission ihm anzubieten hatte.


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