Tichys Einblick
Liberalisierung und Privilegienabschaffung

Argentinien: Klare Mehrheit im Parlament für Javier Mileis Grundlagengesetz

Mit einem Grundlagengesetz straft Milei seine Kritiker Lügen: Es ist kein „Ermächtigungsgesetz“, wie deutsche Medien träumen. In der Abgeordnetenkammer stimmte eine deutliche Mehrheit mit Ja. Es geht um die Liberalisierung der argentinischen Wirtschaft. Einige vergleichen die Reformen mit denen Ludwig Erhards.

IMAGO / Bestimage

Der neue argentinische Präsident Javier Milei hatte vor seiner Wahl radikale Wirtschaftsreformen für sein Land angekündigt. Nun hat das „Gesetz über die Grundlagen und Ausgangspunkte für die Freiheit der Argentinier“ (Ley de Bases y Puntos de Partida para la Libertad de los Argentinos), kurz Grundlagengesetz genannt, die erste Hürde im Parlament genommen. Seit Mittwoch beriet die Abgeordnetenkammer über das Supergesetz mit anfangs noch 664 Artikeln. Schon eine Woche zuvor hatten Gewerkschaften, linke Parteien und Verbände zum Streik aufgerufen.

Das Gesetz soll die Wirtschaft des Landes weitgehend liberalisieren und den Verkauf von mehr als zwanzig Staatsunternehmen ermöglichen. Diese Liste wurde allerdings gekürzt, die Ölgesellschaft YPF steht nicht mehr darauf. Daneben will man mit dem Grundlagengesetz die staatliche Verwaltung umstrukturieren. Zudem soll der Präsident, der erst seit gut 50 Tagen im Amt ist, einige Sonderbefugnisse auf Zeit erhalten.

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Die Parlamentssitzung zog sich bis Freitag hin, was viel Zeit für gewaltsame Episoden auf dem Vorplatz des Parlaments ließ. In der Nacht auf den Donnerstag kam es zu ersten Zwischenfällen zwischen Demonstranten und Polizei, während die Presse immer wieder zwischen die Fronten geriet. El Mundo berichtet von „Rangeleien“, die vom Pfefferspray-Einsatz der Polizei unterbrochen wurden. Wie die Welt berichtet, wurden auch Abgeordnete und ein libertärer Influencer von Demonstranten angegriffen, geschlagen und bespuckt. Auch in Argentinien scheint das Meinungsklima in diesen Jahren nicht sanfter geworden zu sein.

Laut Sicherheitsministerin Patricia Bullrich waren das aber „keine ernsthaften Zwischenfälle“. Es gab etwa zwanzig Verletzte, darunter auch Demonstranten und Journalisten. Daneben warfen Demonstranten Steine und zündeten öffentliches Eigentum an, was die Ministerin und der Bürgermeister strafrechtlich verfolgt sehen wollen. Bis zu 12.000 Demonstranten sollen gekommen sein, aber auch das wäre nur eine kleine Minderheit, die von der radikalen Linken und den politischen Verbände zusammengebracht wurde. Allein das Ballungszentrum Buenos Aires hat 1000 Mal so viele Einwohner. Die Mehrheit des Landes steht hinter der Politik Mileis, Umfragen zufolge 70 Prozent.

Von wegen undemokratisch

In der Abgeordnetenkammer erhielt das Grundlagengesetz eine klare Mehrheit von 144 Ja-Stimmen gegenüber 109 Nein-Stimmen. Milei mokierte sich im Anschluss ein wenig über seine Gegner aus der „politischen Kaste“, die ihm ein undemokratisches Vorgehen vorgeworfen hatten. Dabei hat Mileis eigene Partei, La Libertad Avanza (LLA), nur 38 Abgeordnete im Parlament. Dafür stimmten auch das konservative PRO-Bündnis (40 Sitze), die sozialdemokratische Radikale Bürgerunion (UCR, 34 Sitze) und viele Peronisten, wie El Mundo berichtet. Ein Abgeordneter von PRO sagte: „Wir teilen den Geist und die Bedeutung dieses Gesetzes: Argentinien steckt fest, und das müssen wir ausmerzen.“ Mit Nein stimmten vor allem die linkspopulistische Union für das Vaterland (UP, 99 Sitze).

Die Plenarsitzung war eine der längsten in der argentinischen Geschichte in jüngerer Zeit. Von den 664 Artikeln des Supergesetzes überlebten nur 386 die Beratungen. So wurden Änderungen des Wahlrechts und bei den Steuern zurückgezogen, um die Verabschiedung des Pakets nicht zu gefährden. Der Sprecher des LLA-Blocks, Oscar Zago, zeigte sich dennoch sehr zufrieden. Sogar der ehemalige Sprecher der Peronisten unter Cristina Kirchner, Miguel Angel Pichetto, hält das Gesetz für einen „sehr wichtigen Schritt“. Natürlich könne es noch zu Änderungen kommen. Am Dienstag wird über jene Artikel abgestimmt, in denen es wichtige Änderungen gab. Nur der Anführer der Kirchneristen, die mit Nein gestimmt haben, behauptet, die Beschlussfassung sei „anomal“ gewesen. Etwa weil sich Milei dafür eigene Mehrheiten im Parlament suchte und im Lager des Peronismus wilderte?

Die Sonderbefugnisse für Milei wurden nicht alle gebilligt, und die, die kommen sollen, werden nur für ein Jahr gelten. Das ist allenfalls eine Mini-Diktatur auf Zeit, auf keinen Fall ein „Ermächtigungsgesetz“, wie die deutsche Rechtszeitschrift LTO in Zusammenfassung einiger deutscher Medienberichte tönt (immerhin mit Fragezeichen in der Überschrift). So kann die Regierung Milei nun für ein Jahr in den öffentlichen Rundfunk und die nationale Nachrichtenagentur eingreifen, deren Strukturen verändern und über Angestellte und Inhalte entscheiden. Das allerdings versteckt der Präsident nicht, sondern annonciert es in seinem X-Feed. Es scheint eine durchaus populäre Entwicklung zu sein.

Mileis Grundlagengesetz wird von einigen, und der Präsident hat auch diesen Tweet geteilt, mit den Entscheidungen von Ludwig Erhard nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland verglichen. Auch damals sei eine sozialistische Wirtschaftsordnung liberalisiert worden. In Deutschland waren es vor allem die Folgen des Krieges und der Wirtschaftspolitik von Weimarer Republik und Nationalsozialisten, die Erhard zu überwinden hatte. Er schaffte Preiskontrollen ab und stärkte den Wettbewerb, trat gegen Staatsdefizite ein. Das gleiche plant Milei offenbar für sein Land. In Argentinien hätten „zwei Jahrzehnte kirchneristischer und autoritärer Regierungen“ eine ganz ähnliche „Spur der Unordnung“ hinterlassen und „alle Arten von Fortschritten“ untergraben, schreibt der Artikelautor im Derecha Diario.

Aus 18 wurden neun Ministerien: Der Rückschnitt geht weiter

Eigentlich ist Argentinien ja in der Sommerpause. Und nicht nur die äußere Hitze war groß, auch die innere des neuen Präsidenten. Auf X trieb er die Abgeordneten während der tagelangen Debatte an, sie sollten endlich aufhören zu diskutieren und stattdessen abstimmen. Als das Gesetz dann beschlossen war, zeigte sich Milei versöhnlicher und schrieb: „Die Geschichte wird sich mit Ehre an all jene erinnern, die den historischen Zusammenhang verstanden und sich dafür entschieden haben, die Privilegien der Kaste und des korporativen Staates zu beenden. Wir hoffen, dass wir am Tag der Abstimmung im Einzelnen ebenso viele Stimmen haben werden, um das Gesetz in den Senat zu bringen.“ Damit meint Milei die Abstimmung der Änderungen, die am Dienstag folgen wird.

Am Wochenende soll das Gesetz dann, wenn alles gut geht, in den Senat kommen und auch dort möglichst bald verabschiedet werden. Auch dort kann es freilich noch zu Änderungen kommen. Daneben gibt es noch ein Dekret Mileis, dem der Kongress ebenfalls zustimmen muss. Das Dekret umfasst 366 Artikel und sieht weitreichende Reformen für das Wirtschaftsleben und im Arbeitsrecht Argentiniens vor. Auch Sparmaßnahmen gehören zu den unmittelbar geplanten Schritten. Solche „Not-Dekrete“ sind nichts Ungewöhnliches in Argentinien, sie können durch einfache Mehrheit in beiden Parlamentskammern aufgehoben werden. Anhänger der Regierung erwarten sich von dem neuen Grundlagengesetz und einem begleitenden Notdekret „einen enormen Produktivitätssprung und eine dauerhafte Erhöhung des Wirtschaftswachstums in Argentinien“.

Daneben sollen laut dem Grundlagengesetz zahlreiche staatliche Stellen wegfallen, etwa auch ein Institut gegen Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Das verdient aber kaum eine Hervorhebung, weil Milei ja dafür bekannt ist, dass er mit der Kettensäge gegen den staatlichen Wildwuchs vorgehen will. So hat er die Hälfte der Ministerien seiner Regierung eingespart, darunter das Verkehrs-, Wissenschafts-, Kultur-, Umwelt-, Tourismus-, Landwirtschafts- und das Frauenministerium. Die Gesamtzahl sank gemäß einem „Ministeriengesetz“ von 18 auf neun Ministerien. Auch die Zahl der Bediensteten in Führungspositionen sank um 34 bis 50 Prozent.

Viel wird nun davon abhängen, dass Milei das Monster der Inflation zähmt. Im Dezember stand diese bei 211 Prozent. Aber die deutliche Abwertung des Pesos, der gegenüber dem Dollar als zu stark galt, dürfte der Wirtschaft im Lande helfen, wie auch kritische Ökonomen ihrem zum Präsidenten gewordenen Kollegen attestieren.


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