Für Karl Lauterbach und die internationale Gemeinschaft der Hitzehysteriker wird es eng. Gestern kündigte sich mit der ersten Front der Hitzegewitter in Norditalien das Ende des Hochsommers an. Wie immer, wenn die Temperaturen über 30 Grad gehen, sind die Unwetter dann besonders unerbittlich. Die Nachbarn warnen sich gegenseitig, das Auto schnell unter ein Vordach zu stellen. Heftige Hagelstürme sind an der Wende vom Juli zum August nicht unüblich. Vivaldi hat ein solches Sommergewitter musikalisch verewigt, aber vermutlich werden auch diese unangenehmen, jedoch allseits bekannten Erscheinungen alsbald ebenfalls als Extremwetter der Klimakatastrophe gewertet.
Der Spionagefunk vom Gardasee meldet, dass es gestern in gleich zwei Wellen ablief, und heute die Temperaturen sich wieder bei 30 Grad eingependelt haben. Spätestens am Wochenende ist mit einer mehrtätigen Regenfront zu rechnen. Auch das ein normaler Vorgang, dass nach einer Hitzephase eine Regenphase folgt. Damit dürfte sich spätestens ab Montag die Hitzewelle im Norden erledigen. In der Mitte und im Süden dürfte im Verlauf der nächsten Woche wieder mit 29 bis 33 Grad zu rechnen sein. Das ist die Normalität in dieser Jahreszeit.
Am Gardasee lamentiert man sich bereits seit längerem über die Berichterstattung. Natürlich: Energiekrise, Inflation und Corona-Flaute sorgen dafür, dass viele Touristen auf den Urlaub verzichten. Doch die Negativberichterstattung über den größten der norditalienischen Seen hat man schon seit dem Frühling registriert, als die deutschen Medien behaupteten, der See sei de facto am Austrocknen. Auch die Hitzepropaganda ist den Hotel- und Restaurantbesitzern nicht entgangen. Dazu bedarf es weder Fernsehens noch Internets. Die BILD-Zeitung ist auch für diejenigen zu verstehen, die kein Deutsch können, wenn dort Horrorkarten und 40-Grad-Messungen hochgejazzt werden.
Der Vollständigkeit halber sei gesagt: Auch in Italien tobt ein Kampf der Narrative und Deutungen. Linke Zeitungen wie die Repubblica erzählen ähnlich wie in Deutschland von der Rekordhitze, die Linke wettert gegen die Meloni-Regierung, die Hitzekrise und den Klimawandel zu leugnen. Auch aus dem Ausland versuchen NGOs und Influencer das Bild des italienischen Backofens zu zeichnen. Doch die überwältigende Mehrheit der Italiener kennt die Realität, lässt sich nicht beirren und vertraut auf althergebrachte Rezepte, sieht man von den bekannten linken Radikalen ab.
Sorge hat man eher, dass die Propaganda abschreckend auf den Touristenstandort Italien wirkt. Und das insbesondere, weil das Jahr bisher eben doch kein Hitzealptraum war. In Norditalien etwa – wir bleiben am Gardasee – war der Frühling nass und grau. Schöne Wochenenden gab es wenige, das Ostergeschäft verlief unterdurchschnittlich. Nun ist es endlich warm und wolkenlos, da stoßen die Apokalyptiker ins Horn der Hitzepanik.
Der Globetrotter und Gesundheitsminister Karl Lauterbach twittert seit Tagen aus Italien. Zuerst aus Bologna, wo eine „spektakuläre Hitzewelle“ herrsche (bei 30 Grad!), dann aus der Toskana, wo er über seine Vision twitterte, Kirchen zu Kühlräumen umzuwidmen. Auch Lauterbach twitterte die berüchtigte esa-karte mit Rekordwerten bis zu 48 Grad in Sizilien, ohne einen Unterschied zwischen Boden- und Lufttemperatur zu machen.
Die FAZ hat bei der Ministerin für Tourismus, Daniela Santanchè, angefragt, was man dort vom Treiben Lauterbachs hält. „Ich danke dem deutschen Gesundheitsminister dafür, dass er Italien als Reiseziel gewählt hat, das ja schon immer das bevorzugte Urlaubsziel seiner Landsleute war. Und natürlich freuen wir uns darauf, ihn auch in Zukunft wieder begrüßen zu dürfen.“ Und: „Unser strategischer Plan für den Tourismus betrachtet die Nachhaltigkeit als einen der zentralen Aktivposten und ein wesentliches Instrument für die Entwicklung und das Wachstum des Sektors“, schrieb Santanchè. „Eine Strategie, die es uns ermöglichen wird, das italienische Tourismusangebot 365 Tage im Jahr einladend und nachhaltig zu gestalten.“ Und abschließend: „Wir sind auf jeden Fall sicher, dass die Deutschen den Italienurlaub immer mehr schätzen werden.“
Der Präsident des italienischen Tourismusverbandes Fiavet, Giuseppe Ciminnisi, äußerte sich weniger neutral. Das Thema solle man „anhand objektiver Daten analysieren, um seine Meinung zu untermauern“. Lauterbachs „These“ sei „schwer objektiv zu beweisen“, zitiert ihn die FAZ. Die Berliner Zeitung befragte das Gesundheitsministerium angesichts der Italienreise und ihrer literarischen Folgetweets aus Lauterbachs Feder. Antwort: „persönliche Posts des Ministers in sozialen Medien“ würden „weder kommentiert noch inhaltlich eingeordnet“.
Tino Sorge, der gesundheitspolitische Sprecher der Union, sagte, dass es Lauterbach nur darum ginge, „maximale Aufmerksamkeit“ zu erheischen, deswegen wähle er den „alarmistischen Ton“. Lauterbach nutze die Situation, um für seine kürzlich vorgestellten Hitzeschutzmaßnahmen zu werben. „Und dann schreibt er auf Twitter ganz Südeuropa als künftiges Urlaubsziel langfristig ab“, so Sorge gegenüber der Berliner Zeitung.
Auch in Lauterbachs Heimatland hat die Hitze ihre Auswirkungen. In Norderstedt etwa wandelt man nun ehemalige Desinfektionsspender aus Corona-Zeiten zu Sonnencreme-Spendern (Lichtfaktor 30) um. Die Lauterbach-Partei fordert für Eimsbüttel Ähnliches: die SPD will auch dort kostenlose Spender für Sonnenschutzcreme. Richtig. Wir sind im Tropenland Hamburg. Manchmal ist die Todeshitze von 50+ Grad eben Realität, so man denn will.