Kurz vor der Parlamentswahl in Italien ist die Verzweiflung der politischen wie medialen Linken, ob italienisch oder international, mit Händen greifbar. Hatte man während der Amtszeit des letzten US-Präsidenten von einem „Trump-Derangement-Syndrome“ gesprochen, um die irrationale wie hysterische Reaktion auf jeden Schritt des amerikanischen Staatsoberhauptes zu bezeichnen, so zeichnet sich derzeit eine ähnliche Stimmung ab.
Dabei ist festzuhalten, dass dies nichts daran ändert, dass seriöse Medien, die sich vorher im Ton vergriffen haben, weiterhin neutraler über Meloni berichten als zuvor; für Medien wie etwa den Spiegel, der seit fünfzig Jahren die italophobe Stimmung anheizt, hat das dagegen nie gegolten, und erst recht nicht für politische Parteien nördlich der Alpen. Als frappantes Beispiel mag dienen, dass der von Lars Klingbeil beim Besuch des linken Spitzenkandidaten Enrico Letta genutzte Begriff „postfaschistisch“ für Giorgia Meloni selbst von der linken Tageszeitung Repubblica im deutschen Original mit Übersetzung wiedergegeben wurde, offenbar, weil sich selbst dieses Blatt nicht komplett mit der Meinung des sozialdemokratischen Co-Parteichefs gemeinmachen und den Anschein von Neutralität wahren wollte.
Überraschend ist nicht das Manöver an sich – jeder Italiener rechts der Mitte hatte damit gerechnet, dass der politische Gegner in der letzten Woche noch mit einem Strafverfahren gegen Silvio Berlusconi oder Matteo Salvini oder einem unbedachten Jugendspruch von Giorgia Meloni auftrumpfen würde. Was überrascht, ist die Plattheit und Dreistigkeit des Vorwurfs, insbesondere gegen Melonis Fratelli d’Italia, die historisch deutlich transatlantischer ausgerichtet sind als die italienischen Linken. Während man Berlusconi und Salvini ihre historischen Moskau-Verbindungen vorwirft, wird kaum erwähnt, dass beide der Nato-Erweiterung um Schweden und Finnland im italienischen Parlament zustimmten, indes Lettas linke Wahlpartner sich dagegen äußerten; und während Salvini zwar immer noch Skepsis gegen die Sanktionen in ihrer Sinnhaftigkeit äußert, zeigt er sich mittlerweile offen für Waffenlieferungen, während das linke Parteiprogramm Letztere deutlich zurückhaltender formuliert.
Doch wie so oft geht es in der real gelebten Post-Wahrheits-Gesellschaft nur noch um Narrative, also um Erzählungen. Da gib es Deutsche, die in Italien leben, die behaupten, die italienische Medienlandschaft sei rechts bestimmt, was in etwa so glaubwürdig ist wie dieselbe Behauptung hierzulande, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei rechts unterwandert. Da gibt es Journalisten wie Roberto Saviano, die Bilder von Polizisten zeigen, die gegen Gegendemonstranten einer Meloni-Veranstaltung vorgehen und das als düsteren Vorgeschmack auf das baldige „Meloni-Regime“ einordnen wollen, obwohl die gegenwärtige Innenministerin die parteilose, aber linksaffine und migrationsfreundliche Luciana Lamorgese ist. Und dann gibt es italienische Influencer, die die Aussage von Meloni, dass man nach der Wahl wieder „aufrecht gehen“ und sagen könne, was man wolle, „ohne deswegen seinen Arbeitsplatz zu verlieren“, als faschistischen Subtext interpretieren – was gar von großen internationalen Verteilern übernommen wird.
Italien besitzt die größte Diaspora eines westeuropäischen Volkes, mit immerhin 3,5 Millionen wahlberechtigten Italienern in aller Welt, die sich primär über die Medien des Landes informieren, in das sie integriert sind, und sich demnach über solche Kanäle eine Meinung bilden. Dass die Auslandsstimmen daher häufig den linken Parteien zufallen, ist kein Zufall, sondern Resultat sorgfältig gepflegter Wahlpropaganda, die freundlicherweise von den etablierten Medien des jeweiligen Landes kostenlos verbreitet wird.
So schafft es ein linker Spin bis in die Frankfurter Rundschau, wenn diese schreibt, dass es einen „Nazi-Skandal“ um Giorgia Meloni gebe. Da heute nur noch Schlagzeilen im Kopf der Internetkommunikation sitzen bleiben, ist das Werk getan. Dass es sich um ein Parteimitglied handelte, das eine solche Äußerung im Jahr 2014 (!) tätigte, erfährt der Leser in Absatz zwei. Dass die Repubblica dieses Fundstück nach acht Jahren ausgrub und dem FdI-Mitglied Pisano deswegen jetzt ein Verfahren angehängt wird, kann man nur als Posse bezeichnen. Die Geschichte sagt weniger etwas über den Faschismus bei den FdI aus, als über die Verzweiflung, irgendetwas zu finden, was man Meloni anhängen kann. Es ist ein pars pro toto für einige aktuelle Meldungen.
Dass das italienische parlamentarische Kontrollgremium COPASIR zügig mitteilte, dass nach ersten Erkenntnissen keine italienischen Parteien – egal ob rechts oder links – von dem Skandal betroffen seien, verpuffte in der Luft. Team Wissenschaft revidiert seinen Kurs nie, wenn die eigenen Fakten nicht stimmen. Selbst das gewichtige Wort des geschäftsführenden Ministerpräsidenten Mario Draghi, sonst doch verehrtes Idol eben jener Parteien und Medien, die mit Vorliebe gegen Salvini und Meloni schießen, hatte bereits am 16. September verkündet, dass er nach einem Gespräch mit Anthony Blinken bestätigen könne, dass keine italienische Partei Gelder aus Russland erhalten hätte. Doch auch das war und ist Medien wie Parteien, ob italienisch oder nicht, schlichtweg egal.
Man muss es so deutlich ausformulieren: auch platte Lügen werden ausgepackt, um Meloni und Salvini an der Ziellinie ein Bein zu stellen, weil die Linke nur noch das Mittel des Rufmords zur Verfügung hat. Doch ähnlich wie Lettas Besuch bei Scholz könnte sich auch dieses Manöver als Bumerang erweisen. Ein Großteil der Italiener ist vor der Wahl unentschieden und das laute Getöse soll sie offenbar neuerlich ängstlich zur Linken treiben. Doch auch diesmal ist ein Effekt wahrscheinlich wie bei Trump und wie beim Brexit: wer mit solch billigen Mitteln versucht, Stimmungen zu schüren und Wähler zu beeinflussen, erreicht das Gegenteil dessen, was er beabsichtigt. So wenig, wie jemand als „deplorable“ bezeichnet werden will, will jemand „Faschist“ geschimpft werden.