Würden die Italiener bereits an diesem Sonntag wählen, dann wäre die Sache klar: Giorgia Meloni, die Chefin der nationalkonservativen Fratelli d’Italia (Brüder Italiens, FdI), würde als Ministerpräsidentin das Land in einer Koalition aus FdI, der Lega von Matteo Salvini und der Forza Italia (FI) von Silvio Berlusconi führen. Doch das Ausscheren der rechten Parteien aus Draghis Koalition der „Nationalen Einheit“ hat ihren Preis.
FI und Lega verlieren je einen Punkt, Meloni gewinnt einen hinzu
Die Zerrissenheit über die Regierungsverantwortung schlägt sich in der neuesten Umfrage YouTrend/Agi wieder. Es ist die erste Umfrage nach der Auflösung beider Parlamentskammern. Die FI verliert demnach einen Prozentpunkt. Sie steht jetzt bei 7,8 Prozent. Auch die Lega verliert an Zustimmung: Sie büßt 0,9 Prozent ein und liegt jetzt bei nur noch 13,7 Prozent. Allerdings relativiert sich dieser Verlust im rechten Lager wieder, weil die FdI 0,9 Prozent dazugewinnen. Die „Brüder Italiens“ liegen damit bei 23,3 Prozent und wären im neuen Parlament stärkste Kraft. Mitte-Rechts käme damit auf 44,8 Prozent der Stimmen.
Die zweitstärkste Kraft wäre nach derzeitigem Stand der linke Partito Democratico (PD). Er gewinnt 1,1 Punkte und liegt nun bei 22,8 Prozent. Parteichef Enrico Letta zählte zu den eifrigsten Draghi-Unterstützern. Die linksliberale Italia Viva (IV), eine Abspaltung des PD unter der Leitung des Ex-Premiers Matteo Renzi, der ebenfalls dem Pro-Draghi-Lager angehörte, gewinnt dagegen mit 0,1 Prozent so gut wie gar nicht hinzu. IV liegt nun bei 2,7 Prozent. Das Pro-EU-Bündnis von Azione/+Europa verliert 0,2 Prozentpunkte und erreicht 4,9 Prozent. Insgesamt vereint das Lager der Linken und Linksliberalen damit 30,4 Prozent.
Das rechte Lager hätte selbst bei einer gemeinsamen linken Front die Mehrheit
Der „dritte Pol“, den der linkspopulistische Movimento 5 Stelle (Fünf-Sterne-Bewegung, M5S) einst darstellte, sieht dem Schicksal entgegen, bald nur noch im einstelligen Bereich zu rangieren. Er verliert 1,1 Punkte und liegt nun nur noch bei 10,1 Prozent. Die gemäßigte Abspaltung von Luigi Di Maio, Insieme per il Futuro (Gemeinsam für die Zukunft, IpF), erreicht 2,8 Prozent. Das sind insgesamt 12,9 Prozentpunkte.
Die restlichen Stimmen verteilen sich auf die sonstigen Parteien. Davon am stärksten: die Linksradikalen, die sich mit den Grünen zusammengeschlossen haben. Sie kommen nun auf 4,1 Prozent (-0,1 Prozent). Die Partei Italexit – der Name ist Programm – erreicht 2,8 Prozent.
Damit ergibt sich folgendes Bild: Das rechte Bündnis liegt mit mehr als 14 Prozentpunkten vor dem linken. Selbst wenn sich M5S und IpF wie 2019 bis 2021 mit dem PD verbünden sollten, um ein rechtes Bündnis zu verhindern, reicht das noch lange nicht aus. Eine Projektion von Abgeordnetenkammer und Senat geht selbst bei einer solchen „vereinten Front“ gegen die Rechten davon aus, dass das Mitte-Rechts-Bündnis von Meloni, Salvini und Berlusconi 235 bis 254 Sitze in der Kammer (Mehrheit: 201 Sitze), und 116 bis 136 Sitze im Senat (Mehrheit: 102 Sitze) holt.
Außenminister Di Maio und Ex-Premier Renzi droht ohne Wahlbündnis das politische Ende
Zudem ist es nach dem letzten Koalitionsbruch unwahrscheinlich, dass ausgerechnet PD und M5S eine weitere Zusammenarbeit eingehen – schließlich hat M5S-Chef Giuseppe Conte die Regierungskrise maßgeblich ausgelöst und dabei einen besonders tiefen Graben zum regierungstreuen Draghi-Lager um den PD gezogen. Der PD profiliert sich als deutliche Anti-M5S-Partei und stellt sich als einzige verantwortungsvolle Kraft. Indes hat der M5S sich offensiv mit dem PD angelegt um sich als Alternative zu empfehlen.
Ein weiterer Punkt: In Italien gilt eine Sperrklausel von 3 Prozent für Einzelparteien. Während die Linksradikalen und die Pro-EU-Partei relativ sicher im neuen Parlament vertreten wären, müssen Di Maio und Renzi noch bangen – rund 5 Prozent linke Stimmen, die fehlen können. Andererseits besteht auch für die Italexit-Partei von Gianluigi Paragone noch die Möglichkeit, die 3-Prozent-Hürde zu überspringen.
87 Prozent der Mitte-Rechts-Wähler sähen Meloni als Ministerpräsidentin positiv
Vor wenigen Tagen hat YouTrend überdies einige Fragen gestellt, die über reine Parteiwerte hinausgehen. Während insbesondere Berlusconi immer noch damit hadert, Meloni als Kandidatin des gesamten rechten Bündnisses zu akzeptieren, sagten 86,4 Prozent der Italiener, die Mitte-Rechts wählen, dass Meloni als Ministerpräsidentin eine sehr gute, oder eher gute Sache sei. Nur 8,3 Prozent sagten, dass dies eher negativ oder sehr negativ zu bewerten sei.
Die Italiener wurden überdies befragt, welcher Politiker an der Regierungskrise schuld gewesen sei. 41,1 Prozent geben klar dem 5-Sterne-Chef Giuseppe Conte die Verantwortung dafür. Auf Platz Zwei landet der scheidende Regierungschef Mario Draghi selbst – allerdings mit weitem Abstand. 9,5 Prozent machen sein Handeln für den Verlauf der letzten beiden Wochen verantwortlich. Salvini sehen 7,7 als Schuldigen, womit er auf ähnlicher Höhe mit Luigi Di Maio (7 Prozent) rangiert. Nur 4 bzw. 3,7 Prozent sehen Meloni oder Berlusconi als verantwortlich für die Regierungskrise an. 20 Prozent wollten sich zu dieser Frage gar nicht äußern.