Tichys Einblick
Stabil labil

Italien: Politische Entscheidungen stehen an

Protestierende Bürger in den Provinzstädten, aber auch in der Hauptstadt Rom, oder den größeren Städten wie Mailand, Turin, Florenz oder Verona und weiter im Süden mit Palermo, stören Draghis Politik in der Pandemie sehr.

IMAGO / Independent Photo Agency Int.

Mit Fug und Recht kann man beim Bel Paese, Italien, auch vom Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten reden. Und das obwohl mit Premier Mario Draghi ein Weltökonom der nüchternen Zahlen und Fakten regiert. Als ehemaliger EZB-Präsident arbeitete und wirkte der gebürtige Römer (und bei den Jesuiten ausgebildete) Premier eher im Hintergrund. Die große Bühne mochte er noch nie, und sich rechtfertigen sowieso nicht.

Mario Draghi, ein Mann der EU und des Euro, sieht jetzt, wie sich das politische ‚Kleinklein‘ im Alltag auswirkt, und was man als Ministerpräsident eines Vielparteienkabinetts aushalten muss, in dem sich das linke (PD-Flügel) sowie rechte Lager, hier mit der Lega von Matteo Salvini, ständig gegenseitig beharken und bekriegen.

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Bei jeder neuen Gesetzesvorgabe und Änderung, oft gekoppelt mit Vertrauensfragen, hatte Draghi stets eine Mehrheit erringen können. Keine der Koalitionsparteien möchte dafür verantwortlich sein, dieses Kabinett zu sprengen, die Akteure beißen oft mit den Zähnen auf die Zunge. Denn seit Draghi die Geschicke des Landes lenkt, ist Italiens Standing innerhalb bei der EU-Kommission stabiler, ja, man könnte auch sagen, der Respekt ist groß, denn Draghi garantiere, dass Ital-Exit-Strömungen klein gehalten werden. Und auch in der Afghanistanfrage hat Draghi das Zepter übernommen, ein G-20-Treffen in Rom zu organisieren, irgendwann im Oktober.

Was vielen Bürgern innerhalb der EU nicht sonderlich gefallen dürfte, ist, dass sie wie so oft, die Renten und Pensionen der Italiener mitfinanzieren. Es ist quasi durchgegangen, das neue Rentengesetz, wie auch zahlreiche Medien berichten, wonach Hunderttausende Italiener dann zwar mit 62 Jahren, aber noch viel mehr Italienerinnen sogar schon mit 58 Jahren in Rente gehen können. Jedoch vorausgesetzt, dass sie zwischen 35 und 38 Beitragsjahre vorweisen können. Italiens Rentner können sich freuen. Aber Experten ebenso wie Draghi fragen sich, wie lange das noch gut gehen dürfte? Seit dem vergangenen Jahr hat die italienische Rentenkasse enorme Liquiditätsprobleme.

Das muss Draghi wissen, doch an dieses goldene Kalb möchte auch der Premier nicht heran – und schon gar nicht die nächsten Kommunal- und Bürgermeisterwahlen negativ beeinflussen. Das Geld kommt schließlich weiter aus der EU und somit aus Deutschland. Italien bleibt damit ein Paradies für Rentner.

Draghi selbst spekuliert und liebäugelt insgeheim damit, Sergio Mattarella als Staatspräsident abzulösen, so wird kolportiert – dann stünden wohl Neuwahlen an. Alles vage momentan.

Der Greenpass wird ernst

Protestierende Bürger in den Provinzstädten, aber auch in der Hauptstadt Rom, oder den größeren Städten wie Mailand, Turin, Florenz oder Verona und weiter im Süden mit Palermo, stören Draghis Politik in der Pandemie sehr. Die Regelungen für den Greenpass, entweder auf dem Handy oder in Papierform vorzuzeigen, also, ob getestet oder geimpft, wird ab dem 15. Oktober verschärft. Die Kontrollen der Beamten der Ordnungsämter und der Carabinieri sollen zunehmen.

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Noch vor wenigen Wochen, während der Sommerferien, als der Autor dieses Beitrags durch vier Regionen des Landes reiste – der Kollege Alexander Wendt beschrieb es ähnlich – , spielte der Greenpass kaum eine Rolle. Ganz selten, dass das Personal in Hotels und in Lokalen danach fragte. Der Aufwand wäre ja auch immens, und nichts scheint den Italienern wichtiger, als dass die Wirtschaft am Laufen bleibt und Geld verdient wird.

Nun heißt es jedoch, wer kein Zertifikat vorweisen kann, soll vom 15. Oktober an nicht mehr zur Arbeit in Büros, Behörden, Geschäften oder in die Gastronomie dürfen.

Dagegen stemmte sich zwar auch Salvinis Lega bis zuletzt, aber letztendlich wollte die Lega Draghi dann doch weiter unterstützen. Es entbrannten Diskussionen, Salvini selbst blieb einer Abstimmung fern, und aufgrund gewalttätiger Aktionen militanter No-Vaccine Demonstranten, distanzierte sich die Lega von diesen. Die italienischen Sozialdemokraten der PD wiederum witterten Morgenluft, denn sie möchten noch rigoroser agieren, ähnlich wie in Deutschland, und meinten, die zerstrittene Lega müsse aus der Koalition austreten. Der Lega-Vorsitzende Matteo Salvini entgegnete wiederum: „Das zeichne die Lega eben aus, dass bei uns eine freie Meinungs- und Debattenkultur herrscht …“

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Und auch auf den zahlreichen und gut gefüllten Piazze, zwischen Varese, Padova und Bologna oder Ravenna bis hinein nach Assisi, bekommt Salvini immer noch sehr viel Zuspruch. Und nach Außen demonstriert die Lega mit all ihren Kandidaten auch festen Zusammenhalt, den die anderen Parteien gerne sprengen würden. Matteo Salvini möchte das Land nicht mehr im Lockdown sehen, und ja, er habe sich impfen lassen, weil er viel unterwegs sei, und nicht ständig hinter einer Maske reden wolle. Die Impfung sei und bleibe aber reine Privatsache.

Salvini erwähnt auch überall, dass es die Lega gewesen sei, die das Dekret etwas abschwächen konnte. Auch die Industrie lief Sturm, dass man für Tests selbst aufkommen müsse. Es könne nicht sein, dass man bezahlen müsse, um arbeiten zu gehen, hieß es, auch von Salvini – immerhin, Kündigungen sind nicht mehr im Gesetz.

Auch auf Einwirken der Lega beschloss Draghis Kabinett dann lediglich Preisdeckelungen: Erwachsene dürfen nun pro Test höchstens 15 Euro zahlen, Kinder noch acht Euro. Das kann immer noch ins Geld gehen, zählt es doch auch für den Schulbesuch. Aber, Gruppierungen und Anwälte haben bereits Klagen gegen diese Diskriminierung eingelegt. Es bleibt wirklich ein fader Beigeschmack. Salvinis Lega intervenierte auch dagegen, dass die gebeutelten Familien einen zu hohen Strom- und Gaspreis bereits im Vorfeld als Abschlagszahlung zahlen müssen, es sei nicht die Zeit, den Bürgern zu tief in die Taschen zu greifen, so Salvini mit Draghi unisono.

Salvinis Prozess in Palermo

Anwälte braucht Matteo Salvini dennoch, am 23. Oktober findet dann doch noch der jüngst verschobene Prozess in Palermo gegen Salvini statt. Die NGO Open Arms lässt nicht locker, natürlich soll das Salvini als ehemaligen Innenminister politisch diskreditieren. Matteo Salvini habe einfach nur seine „Pflicht getan“, und zwar Italiens Grenzen zu schützen. Verpflegt wurden die Migranten auf dem Schiff auch, von wegen Freiheitsberaubung und Festsetzung einer Schiffsbesatzung. Die EU kam damals nicht mit der Verteilung zu Potte.

Damals, TE berichtete, war sogar US-Schauspieler Richard Gere an Bord, medienwirksam beim Austeilen von Essen an Bord fotografiert. Damals meinte Salvini nur süffisant, Gere könne ja ein paar illegale Migranten in seiner Villa aufnehmen.

In Palermo, siehe da, wird auch Richard Gere vor Gericht aussagen. Salvini meinte dazu ironisch, nun mischen sich sogar Schauspieler ein, vielleicht sollte auch sein Verteidigungsteam ein paar italienische Akteure einberufen, darunter die Legende des italienischen Fernsehens Lino Banfi, ein offenkundiger Sympathisant Salvinis, besonders während der Pandemie und den willkürlichen Lockdownregeln. Die NGO und deren Ankläger lassen nichts unversucht. Finanzielle Mittel scheinen in ungeahnten Mengen vorhanden.

Auch Carola Rackete zeigt sich in Mailand

Auch in Mailand wird demnächst der Bürgermeister und der Stadtrat gewählt. Diese Kommunalwahlen gelten unter Experten als richtungsweisend. Nun lädt gerade der Bürgermeister Giuseppe Sala von der Green European Party für die kommende Woche Carola Rackete nach Mailand ein im Rahmen der Umweltbewegung.

Der verweigerte Grenzschutz
Wunschziel Deutschland: Die sekundäre Asylmigration aus Osten und Süden zieht an
Sala ist bekannt als absoluter NoCovid-Maßnahmen-Verfechter, viele Maßnahmen waren ihm nicht rigoros genug. Ein Dorn im Auge waren für Sala auch die Meisterschafts-Feierlichkeiten von Inter Mailand im vergangenen Mai, als 30.000 Tifosi spontan den Domplatz belagerten. Nun reist Carola Rackete an und hilft Sala quasi im Wahlkampf gegen Salvini und alle Souveränisten.

Unmittelbar vor der Wahl bemüht der Erste Bürger Mailands eine Frau, die weder Regeln noch Werte sowie Rechte respektiert, und Europa zum Migrationszentrum, Italien als Anlandehafen und Deutschland zur Bleibe illegaler Migranten machen möchte.

Auch innerhalb der EU drückt man wohl sämtliche Augen zu, wenn es gegen die Souveränisten wie Salvini geht. Hauptsache, so äußern sich viele Anhänger Salvinis, die Green-Transformation und Migration nimmt wieder an Fahrt auf. Europa solle sich endlich verändern.


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