Schützenhilfe vor der Wahl am Sonntag: Enrico Letta besucht die sozialdemokratischen Genossen in Berlin. Wussten Sie nicht? Kein Wunder. Außer der Parteiseite der SPD hat darüber niemand im Voraus berichtet. Die Auslandsberichterstattung zu Italien fällt in Deutschland selbst dann flach, wenn sie vor der Haustüre stattfindet. In Deutschland hatten von den größeren Medien nur das Handelsblatt und n-tv den Vorgang wahrgenommen.
In Italien sah das anders aus. Denn das Treffen in Berlin mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Co-Parteichef Lars Klingbeil sorgte gestern wie heute in den Zeitungen für große Aufmerksamkeit. Linke Zeitungen wie die Repubblica sahen die Konferenz mit Wohlwollen – und nutzten den Auftritt, um den deutschen Unmut über eine mögliche Mitte-Rechts-Regierung zu unterstreichen. Rechte Medien dagegen sahen darin einen Kotau, wenn nicht gar das letzte Mittel, um sich das Wohlwollen der EU zu sichern.
Enrico Letta trifft seinen „Freund“ Olaf Scholz
Freilich: Der Partito Democratico (PD) von Enrico Letta und die Kanzlerpartei SPD sind Schwesterparteien und sitzen in der sozialistischen EU-Fraktion S&D zusammen. Insofern wäre nichts daran auszusetzen, hätte Letta einen Freundschaftsbesuch bei den SPD-Parteivorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken abgestattet. Dass aber Letta vom Bundeskanzler empfangen wurde, der bekanntlich in der eigenen Partei kein höheres Amt bekleidet, sorgte nicht zuletzt für den Eindruck, der linke Spitzenkandidat bekomme Rückenwind aus Berlin – eine Interpretation, die lagerübergreifend war. Es war die deutliche Rangerhöhung eines Kandidaten über den anderen.
Letta nannte bei seinem Besuch den Bundeskanzler einen „Freund“, um neuerlich sein europäisches Profil zu betonen. Er sei „hier, um eine klare Botschaft auszusenden“. „Italiens Platz ist in Brüssel“, erklärt er später. Und Klingbeil stärkte dem Genossen den Rücken: „Mit Meloni als Postfaschistin begibt sich Italien auf einen falschen Weg.“ Ein Wahlsieg Lettas wäre daher auch für die EU ein „wichtiges Zeichen“.
Salvini: „Berlin soll sich um Berlin kümmern“
Letta gab sich trotz schlechter Umfragewerte für das linke Lager siegesgewiss: Er gehe mit viel Optimismus zurück nach Italien. Den haben die Linken dringend nötig. Nach der Wahl in Schweden gibt es außerhalb Deutschlands nur noch in Spanien, Portugal, Finnland und Malta einen Regierungschef aus den Reihen der S&D. Letta machte überdies den Anwesenden in Berlin weis, dass seine Partei gegenüber Meloni aufholen und stärkste Einzelpartei werden könnte; die Wahlen würden eine klare Mehrheit für ihn bringen. Das Prinzip Hoffnung regiert eben nicht nur bei den deutschen Linken. Dann die obligatorische Warnung: „Wenn wir gewinnen, wären die Demokratien zufrieden. Wenn die Rechten gewinnen würden, wäre Putin der erste, der sich darüber freuen würde.“
Meloni: Ausverkauf italienischer Interessen an Deutschland
Der Auftritt Lettas in Deutschland war aber nicht nur für das Mitte-Rechts-Lager ein Affront. Auch der linksliberale Kandidat Carlo Calenda kritisierte die Visite. „Letta hat einen weiteren Fehler gemacht. Man geht nicht ins Ausland, um sich den Segen einer Partei aus einem anderen Land abzuholen“, sagte Calenda am Dienstag im Radiosender RTL 102.5. Davon ab: Dass Letta und Scholz sich im Geheimen 40 Minuten besprochen hatten, über Themen wie Energie- und Ukraine-Politik, aber eben auch die deutsch-italienischen Beziehungen im Besonderen, gab genug Stoff für Spekulationen, was dort im Hinterzimmer wirklich gesprochen wurde – und ob nicht der Auftritt mit Klingbeil eher die Ablenkung von der harten Politik war, die tatsächlich zwischen Kanzler und Spitzenkandidaten verhandelt wurde.
Letta: Wahl Melonis käme einem „Brexit“ gleich
Giorgia Meloni, die große Rivalin Lettas, fragte indes zynisch, ob Letta nach Deutschland gegangen sei, um Berlin davon zu überzeugen, eine Obergrenze für den Gaspreis durchzusetzen, gegen den sich das Land wehre. „Wenn nicht, dann ist er drei Tage vor der Wahl dorthin gegangen, um sich Unterstützung zu sichern.“ Sie fände es „wenig erbaulich“, sollte Letta nationale Interessen für seine eigenen verkauft haben. „Er geht zu den Deutschen und sie sagen, es wäre gut, wenn Letta gewinnt und nicht Giorgia Meloni. Ich (dagegen) bitte die Italiener um Zustimmung.“
Der Vorwurf, fremden Interessen zu dienen, ist bereits seit Tagen der linke Vorwurf gegen die Rechte, ein Vorwurf, den auch Letta in Berlin wiederholte. Dort gab er die unheilvolle Prognose ab, dass eine Wahl Melonis einem Brexit gleichkäme, Italien wolle dann lieber mit Ungarn und Polen gehen. Es ist vielleicht eine der wenigen Prognosen, für die sich Linke wie Rechte erwärmen können, wenn auch aus ganz anderen Gründen.