Italiens neuer alter Ministerpräsident Giuseppe Conte vermittelt zwischen Rom und Brüssel, wo der ehemalige Jura-Professorr ein gern gesehener Gast ist. Denn: Auftrag erfüllt, die Gelbroten regieren, die Lega mit Salvini wurde verhindert – ein wahres Abwehrbollwerk, jedoch zu einem hohen Preis – und Unzufriedenheit überwiegt nicht nur in Italien, wenn nun die neuen Regeln der EU in Kraft treten sollen.
Giuseppe Conte, die Abgesandten von Emmanuel Macron und Ursula von der Leyen möchten wohl, so lange das Dublin-Abkommen nicht reformiert wurde, die Migranten auf dem Meer (von den NGO-Schiffen abgeholt) auf EU-Länder verteilen, und, hört, hört, nicht aufnahmewillige Staaten, hier wird explizit auf die Visegradstaaten hingewiesen, sollen deftig zur Kassen gebeten werden, falls sie sich weigern sollten. Einmal mehr schimmert hier die ganze Naivität des EU-Führungspersonals durch. Denn es ist ja nicht nur so, dass sich ein paar Länder wie Ungarn, Slowakei, Polen oder Tschechien nach wie vor weigern, und das mit triftigen Gründen, nein – selbst wenn sie illegalen Einwanderer aufnehmen würden: diese wollen doch gar nicht in diese Länder hinein verteilt werden. Was wäre also, wenn die Einwanderer sich auf den Weg gen Deutschland und Österreich machten? Sollen sie dann mit Gewalt zurückgehalten oder -geführt, eventuell sogar unter Arrest gestellt oder auch zur Kasse gebeten werden? Nur: wovon sollen sie dann die Strafe bezahlen? Mittellos, wie die meisten anscheinend zu sein vorgeben? Alles nicht zu Ende gedacht. Aber, Ursula von der Leyen mittendrin.
Was ist derweilen in Italien sonst noch los, wie ist die Stimmung? Neulich, die deutschen Medien blieben auffallend still, sah man ein riesiges grün-weiß-rotes Fahnenmeer. Nein, Italien ist weder Fußballweltmeister geworden, noch hat es sich für die Europameisterschaft qualifiziert. Die Tricolori in dieser Vielfalt, hat man auch in der Ewigen Stadt, Rom, schon länger nicht mehr gesehen, und das vor dem Palazzo, dem „Montecitorio“, in dem sich die Senatskammer mit den Abgeordneten und Senatoren zu Beginn der Woche traf. Fast 30.000 Bürger hatten sich aufgemacht, der neuen Regierung ihre Meinung zu geigen.
Es war kein geringerer Anlass als das Vertrauensvotum für die neue gelbrote PD-M5S-Regierung in der Kammer, im ehrwürdigen Palazzo. Die konstituierende Sitzung. Ministerpräsident Giuseppe Conte sprach fast anderthalb Stunden vor dem Abgeordnetenhaus, ja, er schwor das neue, mit dem Segen der EU implementierte, Kabinett regelrecht ein, während draußen etliche Tausende von Bürger friedlich skandierten, „gebt uns Wahlen, zu den Wahlen“.
Natürlich wussten Giuseppe Conte und an seiner Seite die neue Innenministerin Luciana Lamorgese (parteilos), sowie der neue Außenminister und ehemalige Vize-Premier Luigi Di Maio, was vor den Toren des Palastes los war. Da steppte der Bär. Ja, selbst die Hymne wurde intoniert, von den Bürgern – dass aber ausgerechnet die Partei Fratelli d’Italia (auch der Anfangssatz der italienischen Hymne zudem) schon seit Tagen für diese Kundgebung getrommelt hatte, war irgendwie noch schwerer zu verdauen für die Politiker der neuen und ungeliebten Regierung.
Im Lauf des späten Abends wurde Contes Regierungserklärung dann abgesegnet mit 343 Ja-Stimmen zu 263 mit Nein, es folgt die Abstimmung des Senats. Während in der Abgeordnetenkammer die Fratelli-Abgeordneten genauso wie die Masse draußen für Neuwahlen plädierten, einem Abgeordneten wurde das Mikro einfach abgestellt, als dieser die Redezeit überschritten hatte, wollte Conte mit seiner Forderung die frechen Geister vertreiben: „Genug mit den Proklamationen und kriegerische Äußerungen …“, und dessen neuer PD-Koalitionär Franceschini rief auf, die Saison des „Hasses“ zu beenden. Komisch nur, dass es eigentlich die Fünfsterne-Bewegung gewesen war, die ziemlich laut und angriffslustig gegen die PD vor einem Jahr Politik machte: „Niemals mit dieser korrupten Elite“, und später, ja, vor wenigen Wochen noch, „Nie mit der PD, nie mit dieser Bibbiano-Partei …“ – die Gemeinde Bibbiano steht als Synonym für Kinderhandel, organisiertem Kindesentzug von Familien durch soziale Institutionen, bis hin zur psychischen Manipulierung der Kinder – und, etliche regionale PD-Funktionäre unterstützten wohl das infame System.
Diese „Bibbiano-Affäre“ ist übrigens noch nicht ausgestanden. Die Fratelli d’Italia, mit ihrer Frontfrau Giorgia Meloni, wie schon einmal beschrieben, könnte für die Lega um Matteo Salvini noch sehr wichtig werden. Melonis Fratelli und sie selbst hatten die Masse Bürger mobilisiert – die Lega und die Bewegung „Cambiamo“ (lasst uns verändern) von Giovanni Toti hatten sich der Großkundgebung in Rom angeschlossen.
Natürlich hat Salvini viel Kritik einstecken müssen, ob es denn so klug gewesen wäre, die Regierung zu kippen, wenn ein gelbrotes Bündnis folge. Doch einmal mehr scheint Salvini genau das gewollt zu haben, die Unzufriedenheit der Bürger auf den Straßen zu mobilisieren, weil an ihnen vorbei – und ohne Neuwahlen – eine neue Regierung installiert wurde. Eine Regierung mit dem abgewatschten Verlierer, den Sozialdemokraten. Ja, und wo die deutsche Kanzlerin und Macron ihre Hände im Spiel hatten?
Nein, ein bisschen „Restwürde“ wollen Italiens Bürger schon. Matteo Salvini hatte hingeworfen, weil die Cinque Stelle plötzlich alles blockierten, was beschlossen war. Giorgia Meloni von den Fratelli insistierte sogar bei Präsident Mattarella während der Sondierungsgespräche, dass ihre Partei, die Lega und Berlusconis Forza Italia, in Umfragen auf satte 47 % kämen – was auch bestätigt wurde. Bella Roma also in die tricolori eingetaucht, Parteifahnen und Flaggen sah man jedoch nicht, aber die Bürger riefen uns skandierten ihren freien Willen und Signale an die Sessel-Funktionäre der PD und Cinque Stelle: „Raus aus dem Tanzsaal, raus aus den Sesseln, wir wollen freie Wahlen. Wir wollen unsere Souveränität zurück …“.
Und so manch einer von der neuen Koalition fragte sich wohl wirklich, wie wollen wir so gegen das Volk Politik machen und bestehen? „Di Maio, Renzi und Boschi, raus aus den Sesseln … gebt uns unsere Souveränität …“ war ein gängiger Slogan. Natürlich bekamen die Politiker in der Kammer die Spannungen und Unruhen der Demonstration draußen „bei Hofe“ mit, auch die Polizei musste Bürger ein wenig zurückhalten, die in Richtung des Palastes marschieren wollten.
Es waren so viele Bürger anwesend, dass am Pantheon sogar eine Leinwand aufgebaut wurde, für die Übertragung vom Palast. Im Plenarsaal forderte der Präsident der Abgeordneten der FDI, Francesco Lollobrigida, daraufhin das Eingreifen von Roberto Fico, dem Präsidenten der Abgeordnetenkammer von den Fünfsternen: „Tausende Menschen werden blockiert, und es hat bereits Spannungen gegeben“, sagte der Abgeordnete, und weiter: „Die Menschen dort draußen sind nur friedlich mit der italienischen Flagge unterwegs, um für sich für ihre Rechte Gehör zu verschaffen“, was ihnen auch zustehen würde. Fico hingegen blockte ab, es stehe weder ihm, noch der Kammer zu, hier eine Entscheidung zu fällen. Dort draußen dagegen, sprach Giorgia Meloni, eine so genannte charismatische „Schwertgosch“, und eine ehemalige Journalistin, die pointiert zuspitzen kann: „Lasst uns alle Straßen füllen, lasst uns zu diesen Herren Nein in meinem Namen sagen“, betonte die gebürtige Römerin, und fügte hinzu, „Wir haben nur einen Fehler gemacht: wir hätten leicht die Piazza del Popolo füllen können, nicht nur die Piazza Montecitorio.“
Die blonde Vorsitzende von Fratelli d’Italia entschied sich, erst am Ende von Contes Rede zu sprechen. „Heute rebellieren die Leute gegen den Betrug, den sie vollzogen haben“, rief sie von der Bühne und lud auch die Lega von Salvini ein, knallharte Opposition gegen dieses Kabinett zu machen. Dann ging sie Giuseppe Conte hart an, ob er sich denn wohlfühle mit dieser PD? Ein Ministerpräsident, nicht der Bürger, sondern der Banken, der Finanzwelt und der von Merkel und von Macron. Ja, Angela Merkel, so will Il Giornale wissen, habe schon in Biarritz beim G7-Gipfel interveniert und sogar bei PD-Funktionären telefonisch interagiert. Prodi und Gentiloni, zwei EU-Politiker schlechthin, soll die Kanzlerin kontaktiert haben, um jeden Preis sollte die PD mit den Fünfsternen mitregieren, Neuwahlen seien zu vermeiden.
Giorgia Meloni und der Lega-Abgeordnete Riccardo Molinari nahmen das neue Kabinett mit Conte und den neuen alten Politikern verbal auseinander, sie würden ein Bündnis ohne die Legitimation der Bürger und Wähler eingehen. Meloni weiter, nein, es sei gar nicht ordinär zu sagen, „Sie würden ihre Hintern in den Sesseln festsitzen“, ordinär sei viel mehr, dass „Sie es tatsächlich ohne Scham auch tun …“.
Im Gegensatz zur 42-jährigen Meloni, die die Bürger anfeuerte, sprach Salvini zwar enthusiastisch, aber dann fast schon melancholisch, beide standen nun auf der Bühne. Unisono sagten sie, weil diese Regierung „bei den Wahlen keinen freien Wettbewerb gewinnen konnte“, würde sie deshalb den Bürgern freie Wahlen stehlen, also seien sie, „die Diebe der Demokratie, Diebe der Souveränität“. Neuwahlen seien das Ziel.
Demokratie funktioniere nur so. Matteo Salvini zeigte auf die Bürger auf dem Platz und rief, „auf dem Platz gibt es ein Stück Italien, von dem ich denke, dass es die Mehrheit im Land repräsentiert, die zur gerechten Abstimmung auffordert“, und heute, so Salvini, könne man „die Trennung“ zwischen den Politikern im geschlossenen Palast, also der Kammer, und den freien Bürgern Italiens, auf der Piazza, „plastisch spüren“ und wahrnehmen. Sie haben uns als Faschisten und Diktatoren beschimpft, wir seien gefährlich, so Matteo Salvini – nun gut, dann sind wir die ersten Diktatoren, die freie Wahlen wollen für die Bürger. Wir und gefährlich?, fragte Salvini schauspielernd, wo doch hier so viele Mütter auf dem Platz sind. Nein, schüttelte Salvini den Kopf und zeigte wie ein Tribun auf den Palazzo, es scheint so, als würden die Diktatoren dort drin sitzen.
Der Lega-Führer richtete danach seine Worte hinein in Richtung Palast Montecitorio, der Abgeordnetenkammer, „Wenn die Herren dort versuchen werden, bestehende Gesetze zurück zu nehmen, oder wenn sie auch nur überlegen, das Gesetz der Fornero (Renten- und Arbeitslosenpläne sowie Erhöhung des Rentenalters) wieder einzuführen oder die Häfen wieder zu öffnen, dann verdienen sie es, im Palast eingeschlossen zu werden …“, Jubel brandete auf, und Salvini wirkte wieder so, wie man ihn kennt: angriffslustig.