Der Sieger heißt Matteo Renzi. Richtig gelesen. Mario Draghi wird von Staatspräsident Sergio Mattarella zum Regierungschef ernannt – aber nicht zuletzt von Renzis Gnaden. Die einstige Regierungskoalition aus der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), sozialdemokratischem Partito Democratico (PD) und Renzis linksliberaler Italia Viva (IV) zerbrach vor allem deswegen, weil der Ex-Premier aus der Reihe tanzte. Die Krise begann mit dem Abzug seiner Minister aus der Regierung. Als offiziellen Grund nennt der einstige Bürgermeister von Florenz Uneinigkeiten bei der Verwendung von Geldern des EU-Aufbau-Planes und der Einrichtung des EU-Stabilitätsmechanismus ESM. Die IV hatte diesen befürwortet, die Sterne stellten sich quer. Die einstigen Koalitionspartner werfen ihm dagegen vor, die Eskalation bewusst provoziert und das Land in eine Krise gestürzt zu haben – um den ungeliebten Premierminister Giuseppe Conte loszuwerden. Eine Kleinpartei, die in Umfragen keine fünf Prozent erreicht, hatte entscheidenden Anteil daran, den ehemaligen EZB-Präsidenten in Stellung zu bringen.
Schon da kursierte das Gerücht in Rom, dass der Präsident die Einsetzung einer Übergangsregierung vorbereite. Aber Mattarella gab Conte eine letzte Chance, indem er ihn mit der Bildung eines neuen Kabinetts beauftragte. Plötzlich stand sogar die Re-Integration Renzis auf dem Programm. Der hoffte offensichtlich auf das Wirtschaftsministerium – entweder für eine Ministerin oder für ihn selbst. Daraus wurde nichts. Mattarella zog das draghische Kaninchen aus dem Hut. Es ist bereits der zweite „Super Mario“ nach Mario Monti, der von 2011 bis 2013 eine technische Übergangsregierung leitete. Monti war von 1999 bis 2004 EU-Kommissar und sitzt heute als „Senator auf Lebenszeit“ im Parlament.
Das Wort einer Regierung der „nationalen Einheit“ macht die Runde. Doch was für eine nationale Einheit soll es sein, wenn die zwei größten Fraktionen in den beiden Kammern – der M5S und Matteo Salvinis Lega – Draghi nicht unterstützen werden? Einige Abweichler bei den Sternen sprechen sich zwar für eine Unterstützung aus. Aber der jahrelange Kampf gegen die EU, den ESM und die „Kaste“ geriete zu Farce, würden die Linkspopulisten nun plötzlich den Beelzebub persönlich zum Regierungschef wählen. Parteigründer Beppe Grillo hat seine Verbundenheit mit Conte unterstrichen, Außenminister Luigi Di Maio schweigt, und andere sprechen von einer „Verantwortung“, die man mit der Wahl Draghis zeige. Die Sterne bleiben ein gärender, unkontrollierbarer Haufen. Giorgia Melonis Nationalisten von den Fratelli d’Italia schließen jede Zusammenarbeit aus, Silvio Berlusconis Forza Italia zögert wegen ihrer pro-europäischen Position, will sich derzeit enthalten. Fest hinter Draghi stehen nur PD, IV und einige Kleinparteien. Das ist bedeutend weniger als das, was Conte noch an Unterstützung hatte. Selbst mit Berlusconi hätte Draghi keine Mehrheit.
Dabei sollte die Monti-Regierung den Eliten ein Schreckgespenst sein. Kaum eine Regierung hat in Italien einen solchen Hass auf sich gezogen. Das Gefühl, Vasall der Brüsseler Zentrale zu sein, die Reformen gegen Geldzahlungen einfordert, hat sich tief eingegraben. Die Spaltung der italienischen Gesellschaft und die instabilen Mehrheitsverhältnisse im italienischen Parlament seit 2013 sind ein Erbe dieser Zeit. Italiens Albtraum war damals eine Verwaltung durch die Troika, die damals Griechenland an die Leine legte. Nun ist mit Draghi die Personifikation eben jener Troika der neue Chef im Ring. Für viele kündigt sich keine Regierung der nationalen Einheit, sondern eher eine Regierung von Brüssels Gnaden an.