Giorgio Agamben gilt als einer der bekanntesten und einflussreichsten Philosophen Italiens und Europas. Der gebürtige Römer beschäftigte sich vor allem mit dem staatlichen Ausnahmezustand, sowie mit dem Konzept des „homo sacer“ – einer vogelfreien Person, die straffrei getötet, aber nicht geopfert werden durfte. Agamben hat demnach eine besondere Expertise hinsichtlich totalitärer Ideologien und deren Genese.
Der italienische Senat hat den Philosophen deswegen am 7. Oktober zu einer Anhörung als Sachverständigen vorgeladen. Die italienische Version der „3G-Regel“ wurde als Dekret zwar bereits im September durch die Regierung von Ministerpräsident Mario Draghi erlassen. Doch das italienische Parlament muss dieses noch in ein Gesetz umwandeln. Der Notstand, auf dem die Gesetzgebung fußt, gilt noch bis zum 31. Dezember.
„Ist es möglich, frage ich, sich eine rechtlich und moralisch anormalere Situation vorzustellen? Wie kann der Staat diejenigen der Verantwortungslosigkeit beschuldigen, die sich gegen die Impfung entscheiden, wenn es derselbe Staat ist, der formell jede Verantwortung für die möglichen schwerwiegenden Folgen ablehnt… An dieser Stelle möchte ich, dass die Parlamentarier über diesen Widerspruch nachdenken, der meiner Meinung nach eine echte rechtliche Monstrosität darstellt.“
Der andere Punkt, auf den sich Agamben konzentrierte, war nicht medizinischer, sondern politischer Natur. Viele Impfstoffe der Vergangenheit hätten keinen Gesundheitspass benötigt. Wissenschaftler und Mediziner hätten sogar gesagt, dass der Grüne Pass keinerlei gesundheitliche Bedeutung habe, sondern dazu diene, dass sich Menschen impfen ließen. „Ich glaube stattdessen, dass das Gegenteil gesagt werden kann und muss, nämlich dass der Impfstoff ein Mittel ist, um den Menschen einen grünen Pass aufzuzwingen.“ Es handele sich um ein Instrument, um Bewegungen zu kontrollieren und zu verfolgen.
Der Philosoph stellte danach die Frage, wie ein Land nach den Erfahrungen des Rassegesetzes von 1938 erneut zu einer Entscheidung fähig sei, die eine bestimmte Gruppe zu Bürgern zweiter Klasse abgestempelt werden konnte. Aber auch hier lenkte Agamben ein: unter Mussolini hätte die Unterscheidung von Ariern und Nicht-Ariern de facto nur Eheschließungen betroffen. Der Grüne Pass: eine Gesetzgebung, die demnach drakonischer sei als die Gesetze aus Kommunismus und Faschismus.
Trotz Agambens großer Bekanntheit haben seine Aussagen bisher selbst in den großen italienischen Medien kaum Resonanz gefunden, obwohl die Übertragung live über den TV-Sender des Senats erfolgte. Agamben hatte sich bereits im Frühjahr 2020 besorgt über die Entwicklung hinsichtlich der Freiheitsrechte gezeigt. Die Impfung und der Grüne Pass sind demnach nicht Mittel, sondern Zweck. Agamben fasst das derzeitige Geschehen als „Transformation der Institutionen und Paradigmen der Gesellschaftsführung“ zusammen, die „heimtückisch“ begangen werde, weil sie ohne offizielle Änderung der Verfassung stattfinde.