Dass Matteo Salvini sich bei der Auflösung der Regierungskoalition verkalkuliert hat, ist bereits Allgemeinwissen nördlich der Alpen. Sein Partner von den linkspopulistischen Fünf-Sternen (M5S) hat kurzerhand die Hand zum sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) ausgestreckt. Das ist in mehrfacher Hinsicht überraschend: denn im Zuge der Wahlen 2018 und der danach erfolgten Koalitionsgespräche hatten beide Parteien ihre unüberbrückbaren Differenzen festgestellt. Zudem ist die linke Koalition für beide Partner eine Hypothek.
Der PD hatte nach einem katastrophalen Wahlergebnis auch deswegen die Opposition bevorzugt, um seine Wunden zu lecken – denn ein großer Teil der eigenen Wählerschaft war zum M5S übergelaufen. Vice-versa hat der PD in den letzten Regionalwahlen und bei Umfragen auf Nationalebene leicht hinzugewonnen, weil Teile der reuigen Wählerschaft nach ihrem Ausflug zum M5S zurückkehrten – mochte es wegen der Koalition mit der Lega, oder wegen der dilettantischen Politik der Grillo-Partei sein. M5S und PD streiten also um dasselbe Milieu.
Für den M5S dagegen ist das Zusammengehen mit den Sozialdemokraten Verrat: jahrelang hatte die gelbe Partei mit ihrer politischen Jungfräulichkeit geworben. Die mangelnde politische Erfahrung war zugleich Beweis dafür, nicht der Kaste anzugehören und Garant „neuer Politik“ und „neuer Gesichter“ zu sein. Wenn auch die Umfragen der letzten Woche einen Einbruch für Salvini zeigen, weil dieser die Koalition grundlos aufs Spiel gesetzt hat, so dürfte sich der Groll der Wähler über eine M5S-PD-Koalition nur kurze Zeit später zeigen.
Kurz gesagt: die Koalition aus Linken und Basislinken ist eine Anti-Salvini-Koalition aus Angst vor Neuwahlen und ihr wird vermutlich eine eher kurze Lebenszeit beschieden sein. Der Machtpoker ist noch in vollem Gange, da bisher nicht klar ist, ob Premierminister Giuseppe Conte und die M5S-Minister im Amt bleiben können, oder der (kleinere) PD sich mit der Forderung durchsetzt, die Regierung neu zu besetzen. Conte hat am Montag dem PD bereits ein Angebot gemacht, dass dieser nicht ablehnen kann: sofortige Rücknahme aller Dekrete, die von Salvini durchgesetzt wurden. Das heißt: Rücknahme des Sicherheitsdekrets; Rücknahme des Rechts auf Selbstverteidigung; Rücknahme der „geschlossenen Häfen“. Mit letzterem Punkt geht auch ein deutliches Signal nach Brüssel aus.
Mit der Rückkehr des europhilen PD an die Macht könnte die paradoxe Situation entstehen, dass Italien eine linke Regierung bekommt, deren wirtschaftliche Positionen weniger aus Brüssel kritisiert werden – obwohl sich an ihrem Handeln wenig ändert. Das Beispiel Macron hat gezeigt, dass eine Regierung sich ein höheres Defizit leisten darf, wenn sie dafür auf dem Brüsseler Parkett komissionskonform auftritt. Anbei: der M5S hat wie der PD bei der Wahl des Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gewählt. Ex-Kommissionschef Romano Prodi schwärmte bereits von einer „Formazione Ursula“, eine Regierung aller Parteien, welche die CDU-Politikerin gewählt haben. Das hieße: inklusive der Forza Italia von Silvio Berlusconi, der in den letzten Monaten vorgibt, als vernünftiger Vermittler mit pro-europäischen Positionen nur das Wohl des Landes im Sinn zu haben. Zusätzlich meldeten sich Vertreter von der linksextremen Kleinpartei Liberi e Uguali (LeU), sie würden einen Premier Conte stützen.
Volten wie diese lassen erahnen, welche politischen Programme Italien zu erwarten hat. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer scheint unter einer gelb-roten Regierung bereits ausgemachte Sache zu sein. Der PD fordert bereits jetzt das Wirtschaftsministerium. Und in Brüssel dürfte die Koalition zwischen Italien und den Visegrad-Staaten bei Migrationsfragen brechen. Um eine gemäßigte Koalition in Rom zu unterhalten, könnten finanzielle Vorteile vonseiten der EU eher erfolgen als unter den Populisten, die der Kommission ein Dorn im Auge waren. Die Hoffnung beruht darauf, dass die eingefleischten Politexperten der PD die anarchischen M5Sler schon zähmen werden. Das kurze Spiel des PD, den linksextremen M5S-Politiker und Präsidenten der Abgeordnetenkammer – Roberto Fico – als Premier zu nominieren, zeigt, wohin die Reise geht. Neben ökonomischen Zugeständnissen dürften auch ideologische „Reformen“ im Familienbereich drohen. Die Medien werden dabei den Rahmen bilden, in welchem steigende Steuerbelastungen, größere Investitionen in den Klimaschutz (inklusive erneuerbare Energien) und ein stärkeres Engagement für eine engere Europäische Union als Wandel Italiens „zum Besseren“ dargestellt werden.
Marco Gallina studierte Geschichte und Politikwissenschaften, Schwerpunkt europäische Diplomatiegeschichte, und schloss mit einer Arbeit über Machiavelli das Masterstudium ab.
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