Die Freilassung der Geiseln aus der Gefangenschaft der Terror-Organisation Hamas mag für die Betroffenen und deren Angehörigen ein Moment des Glücks sein. Aber es kommen große Probleme und schmerzhafte Herausforderungen auf sie und Israel zu. Ein dreijähriges Mädchen weiß nicht, dass ihre Eltern tot sind. Wie und wer soll oder kann ihr das beibringen? Das Zuhause ist zerstört, sie können in ihre gewohnte Umgebung nicht zurückkehren. Alle zusammen haben 48 Tage kein Tageslicht gesehen. Wie reagieren Menschen unterschiedlichen Alters darauf?
Das israelische Gesundheitsministerium hat einen Fahrplan veröffentlicht, wie mit den vorerst Geretteten umgegangen wird. Niemand hat Erfahrung oder gar eine zuverlässige Vorgehensweise für Menschen, die durch eine derartige Hölle gegangen sind. Die ersten 13 – 50 sollen es nach vier Tagen sein – werden erst einmal auf mehrere Krankenhäuser verteilt. Dort sollen sie umfänglich untersucht werden. Es muss auch eine kontrollierte Nahrungsaufnahme erfolgen, heißt es in dem Fahrplan des Gesundheitsministeriums. Falsches Essen oder zu viel Trinken nach dieser qualvollen Haft kann gesundheitliche Schäden oder gar tödliche Folgen haben. Niemand weiß, wie die Opfer des Terrors in den letzten Wochen in Gefangenschaft versorgt wurden.
Jede Geisel, die vom Internationalen Roten Kreuz an die Israelische Verteidigungsarmee übergeben wird, bekommt einen betreuenden Soldaten zugewiesen. Diese erste Kontaktperson ist angewiesen, keinerlei Handlungen vorzunehmen, ohne vorher um Zustimmung zu bitten. Das betrifft einfache Berührungen, wie ein Kind bei der Hand zu nehmen oder einen Erwachsenen zu stützen. Es muss damit gerechnet werden, dass simple Berührungen panische Erinnerungen auslösen können.
Es ist ein „Forum für die Geiseln und vermisste Familien“ eingerichtet worden, das ein Professor mit seiner Mannschaft leitet. Aber niemand weiß, was auf die Mitarbeiter des Forums zukommt, die in 4 Tagen 50 schwer geschädigte Menschen aufnehmen und medizinisch-psychologisch behandeln müssen.
Journalisten, Nahost-Experten und Politiker schauen wortreich, intellektuell verbrämt in die Glaskugel, die die Zukunft erklären soll und was nach dem Krieg zu tun sei, damit sich ein derartiger Überfall nicht wiederholt. Sie diskutieren lang und breit eine Ein- oder Zweistaaten-Lösung und wer Gaza führen soll. Die wirklich wichtige Arbeit, die Gesundheit der Freigelassenen wiederherzustellen und zu sichern, findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die Details sind mühsam, langwierig und schmerzhaft. Dafür interessieren sich die wenigsten. Das meiste wird hinter verschlossenen Türen stattfinden. An der Medienfront spielen Gesundheit und Wohlergehen der Geiseln keine oder eine untergeordnete Rolle.