Tichys Einblick
Hoffnungen in Donald Trump

Israel: Waffenstillstand – was kommt danach?

60 Tage kein Schuss im Norden Israels: Wird der Waffenstillstand halten? Und was soll danach kommen? Schon mehrfach sind Versuche, Israel vor Attacken aus dem Südlibanon zu schützen, gescheitert. Nun entsteht mit dem Wiederaufflammen des Bürgerkriegs in Syrien eine neue Quelle von Unsicherheit und Instabilität in der Region.

Große Hoffnungen liegen bei Donald Trump, der mit deutlichen Worten die Befreiung der Geiseln bis zu seinem Amtsantritt gefordert hat

picture alliance / Sipa USA | Robyn Stevens Brody

Israels Militär (IDF) hat dieser Tage eine eindrucksvolle Bilanz vorgelegt, wie sie die Hisbollah im Libanon niedergerungen hat, was alles an Waffen erbeutet wurde. Aber die entscheidende Frage lautet: Was geschieht, was muss noch erreicht werden, damit dem 60-tägigen Waffenstillstand, ausgehandelt von den USA und Frankreich, zumindest eine längere, kriegsfreie Phase folgt? Viele der 80.000 Rückkehrer im Norden Israels haben Zweifel.

Eigenen Angaben zufolge beförderten die IDF an 416 Kriegstagen in 14.000 Flugstunden mittels 11.000 Luftschläge 2500 Hisbollah-Terroristen ins Jenseits. Sie waren drauf und dran, den Norden Israels zu überfallen. Unter den Eliminierten ist auch der langjährige Hisbollah-Ober-Terrorist Hassan Nasrallah. Mehr als 12.500 Ziele wurden ins Visier genommen, 1600 Kampfzentren der Hisbollah sind zerstört und 1000 Waffenlager gesprengt. 155.000 Waffen und militärische Ausrüstungs-Teile konnte das israelische Militär beschlagnahmen, darunter 12.000 Granaten, 13.000 Anti-Panzer-Raketen und 121.000 Geräte für die militärische Kommunikation.

Horrende Zahlen. Wäre es der Hisbollah gelungen, all diese Waffen konzentriert und militärisch zielsicher, geordnet gegen Israel einzusetzen, der Judenstaat würde nicht mehr existieren. Da sind sich Experten einig. Waffen und Mannschaften, die im Süden des Libanons über ein Jahrzehnt aufgebaut wurden, in Privathäusern und Tunnels lagerten, sind um ein Vielfaches wirkungsvoller als die Schlagkraft der Hamas, die am 7. Oktober 2023 von Gaza aus losbrach.

Dem aktuellen Waffenstillstandsabkommen zufolge soll die libanesiche Armee und die UNIFIL (United Nations Interim Force in Libanon) – ziemlich unmotivierte Soldaten aus Ländern wie Österreich oder Sri Lanka – dafür sorgen, dass der Norden Israels wieder bewohnbar ist. Berechtigte Zweifel sind angebracht. Denn diese Absichten gab es schon mal. So lange ist es noch nicht her.

Die Oslo-Verträge Anfang der 90er Jahre versprachen vieles. Länger gehalten hat fast nichts. Nach dem Auszug Israels aus dem Gaza-Streifen 2005 war großspurig von einer Null-Toleranz gegenüber Terror die Rede, die die USA garantieren wollten. Es dauerte nur wenige Jahre, da flogen wieder Raketen aus Gaza in Richtung Israel. 2006 musste Israel wieder militärisch im Libanon gegen die Hisbollah intervenieren. Sechs Jahre zuvor hatte die IDF den Süden des nördlichen Nachbars verlassen. Die UN-Resolution 1701 versprach damals genau das, was jetzt wieder gefordert wird: eine Garantie der libanesichen Armee und der UNIFIL. Wie schaute die Realität aus? PLO, Hamas und Hisbollah kümmern Verträge keinen Deut. Sie schlagen zu, wenn sie auch nur eine geringe Chance sehen, Israel zu vernichten oder zumindest schweren Schaden zuzufügen. Am 7. Oktober 2023 war es soweit.

Wen kann es da wundern, dass es in Israel frivol denkende Machtpolitiker gibt, die von einem Groß-Israel träumen, das den Süden des Libanons besetzt, in Gaza wieder breit siedelt und Judäa und Samaria, besser bekannt als „Westbank“, annektiert. Wie und mit wem das gehen soll, kann keiner von ihnen überzeugend darlegen. Außer den Religiös-Orthodoxen, die bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten gerne darauf verweisen: Gott hat vor 3000 Jahren das Meer gespalten und das Volk der Juden vor der ägyptischen Übermacht gerettet. Er wird wieder Wunder vollbringen.

Wunder gab es tatsächlich immer wieder. Aber Juden mussten zuvor als Sklaven über 200 Jahre Pyramiden bauen, bevor ein Moses auftauchte. Staatsgründer David Ben Gurion konnte am 14. Mai 1948 den Staat Israel erst ausrufen, nachdem sechs Millionen seiner Glaubensgeschwister ermordet wurden. Der Preis für Wunder ist historisch belegt zu hoch.

Im digitalen 21. Jahrhundert, in dem vielleicht schon bald eine „Künstliche Intelligenz“ herrschen wird, hätten die überwiegende Mehrheit der Israeli und die friedfertigen Abraham-Accord-Araber gerne eine etwas konkret-handfestere Zukunftsgestaltung. Umso mehr, als im strategisch wichtigen Syrien der brutale Bürgerkrieg unübersichtlicher denn je wieder losgebrochen ist. Überlebt die Dikatoren-Familie Assad, ist die entscheidende Frage. Fällt Assad dieses Mal, weil Putins Russland in der Ukraine eigene Probleme hat? Wer folgt ihm? Im Nahost-Jargon lautet die Antwort: Schlimmer geht immer.

Die Hoffnungen liegen bei „President elect“ Donald Trump, der bereits wilde Drohungen ausstößt – „there will be all hell to pay“ (es wird die Hölle los sein) –, wenn die Geiseln bis zu seinem Amtsantritt nicht frei sind. Das ist die Sprache, die in der Region verstanden, in Europa weitgehend gebrandmarkt wird. Allerdings müssen Taten folgen.


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