Trump hatte Recht. Deutschland hatte Unrecht. Mal wieder. Nicht nur bei der UN hatte Deutschland in der Gestalt des damaligen Außenministers Heiko Maas den US-Präsidenten ausgelacht, weil dieser die Abhängigkeit vom russischen Gas als Problem anprangerte. Trotzig hatte es etwa die Förderung für die Palästinenser erhöht, als die USA ankündigten, diese einzustellen. Und während Trump den Iran-Deal als nutzlos geißelte, verteidigte ihn Deutschland mit allen Mitteln.
Steckte moralisches Traumtänzertum dahinter? Der Anspruch Angela Merkels, das Gegengewicht zu Donald Trump bilden zu wollen? Im Falle des Iran mag man über deutsche Wirtschaftsinteressen spekulieren. Doch im Nachhinein betrachtet zeigt sich eher die typische außenpolitische Linie der Merkel-Ära, zugunsten eines „guten Eindrucks“ symbolträchtige Handlungen zu tätigen, die „Signale“ senden sollen, und die Folgen für Andere zu verdrängen. In der Hoffnung, dass man dann nicht mehr jene Probleme lösen muss, die man selbst verursacht hat. Siehe Euro-Politik. Siehe Energie-Politik. Siehe Migrationspolitik.
Realpolitisch gesehen haben sich die verschiedenen Parteien nunmehr in Zwänge begeben. Kein Staat der Welt kann zusehen, wie mehr als 1.000 seiner Staatsbürger in kürzester Zeit niedergemetzelt werden. Bereits jetzt kursieren Zahlen, die auf mehr israelische Todesopfer in diesen wenigen Tagen schließen lassen als im gesamten Zeitraum der zweiten Intifada. Wenn Israel seine Autorität verliert, wird es zwangsläufig untergehen. Der Existenzkampf ist für dieses Land keine bloße Parole. Die Hamas wird diesen Krieg in seiner Totalität mit Freuden annehmen. Und die Unterstützer der Hamas, ob im Libanon, ob im Iran oder anderswo werden das einkalkuliert haben.
Der iranische Außenminister Hussein Amirabdollahian hat Israel vor einer möglichen Ausweitung des Konflikts mit der islamistischen Hamas gewarnt. Sollte das Bombardement auf den Gazastreifen anhalten, dann könnten sich „andere Fronten“ öffnen. Amirabdollahian sagte das bei einem Besuch in Beirut. Die Hamas, der Islamische Dschihad und libanesische Regierungsvertreter empfingen ihn.
Wie muss man in diesem Zusammenhang die deutsche Iran-Israel-Politik bewerten? Hat die De-Eskalationsstrategie der Bundesregierung in den letzten Jahren gewirkt? Oder hat man nur das Krokodil gefüttert? Das Resümee fällt blamabel aus. Schaukelpolitik zwischen zwei Mächten ist unmöglich, wenn das eine Land das andere auslöschen will. Die vorgebrachte Behauptung, ein ehrlicher Makler im Bismarck’schen Sinne sein zu wollen, ist in Wirklichkeit ein wilhelminischer Hasardeurritt: Man kann hier ebenso wenig eine Mittelposition finden, wie man auch nicht nur ein bisschen schwanger sein kann.
Man sollte historische Konflikte nicht überspitzen. In der historischen Rückschau wird jedoch klar, dass überregionale und globale Großkonflikte als einheitliches Kriegsereignis wahrgenommen werden. Das gilt für den Peloponnesischen Krieg wie auch den Dreißigjährigen Krieg. Deutschland und Europa erleben als Angehörige des westlichen Bündnisses derzeit ein ähnliches Phänomen. Der Ukraine-Krieg, die Unruhe in Westafrika und der neu aufflammende Nahostkonflikt stehen nicht bezugslos nebeneinander. Dasselbe gilt für die Destabilisierung der südlichen Mittelmeerküste.
Und wie ist die Position Chinas zu deuten, dem eigentlichen Gegenpol in dieser neuen Weltordnung? „Der Kern der Angelegenheit ist, dass dem palästinensischen Volk keine Gerechtigkeit widerfahren ist“, sagte Außenminister Wang Yi. China sprach von den „legitimen Rechten“ der Palästinenser. Die Volksrepublik hat den Hamas-Terror bis dato nicht verurteilt. Peking rief stattdessen beide Parteien zur Zurückhaltung auf. Das mag diplomatisch, neutral und abwartend klingen. In Wirklichkeit geben die roten Mandarine Israel zu verstehen, dass es an dem Blutzoll selbst schuld sei. Das ist ein Bekenntnis zu einer bestimmten Gruppe von Verbündeten im Nahen Osten – und darüber hinaus. Wie auch bei der Ukraine wartet der Westen vergeblich auf einen Wink des Drachen. Überraschung!
Von Peter Scholl-Latour stammt ein bemerkenswertes Buch aus dem Jahr 2006. Der Titel lautet: „Russland im Zangengriff“. Politik und Medien wollen heute diese Situation immer noch so sehen. Doch in weiten Teilen Südamerikas, Afrikas und Asiens zeigt sich immer wieder, dass weder Peking noch Moskau isoliert sind. Trifft die Definition wirklich noch auf Russland zu – oder ist es nicht vielmehr der Westen, zu dem auch Israel zählt, der sich isoliert hat und umzingelt sieht? Und wenn dem so ist – welche Konsequenzen zieht der Westen daraus, die über die üblichen Attitüden oder auch die romantische Verklärung möglicher Wirtschaftspartner hinausgeht?
Deutschland hat sich auch nach der angeblichen „Zeitenwende“ in Schlafwandlerei geübt. Bei einer Bundesregierung, die nicht einmal in der Lage ist, die eigenen Leute zu evakuieren oder den Schutz israelischer Einrichtungen in die Verantwortung der Mitbürger stellt, wird es wohl noch lange dauern, bis es aufwacht.