Tichys Einblick
Sieben Erkenntnisse nach dem 7. Oktober

Die Botschaft der Barbaren

Der historische Terroranschlag der Hamas auf Israel hat klare Botschaften. Wir sollten sie aufmerksam registrieren und uns gut merken. Sieben Erkenntnisse nach dem 7. Oktober

IMAGO

Der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hätte auch so verlaufen können: Bei dem militärisch brillant vorbereiteten und durchgeführten Überfall werden alle grenznahen israelischen Militärposten ausgelöscht, drei Dutzend Soldaten und Israelis im wehrfähigen Alter, vielleicht auch Bürgermeister der Grenzorte, entführt.

Neben der weltweit bewunderten militärischen Glanztat der Kampforganisation und dem damit verbundenen, enormen Propagandaerfolg für die Forderung nach einem „freien Palästina“ wäre es ein Leichtes gewesen, Israel zur Freilassung von hunderten, wenn nicht tausenden arabischen Gefangenen zu zwingen, die wegen terroristischer Taten in den Gefängnissen Israels sind. Schließlich hatte Israel 2008 sogar für die Überführung der Leichen von zwei Soldaten hochgefährliche Terroristen freigelassen. Fast 5.000 palästinensische Häftlinge musste Israel 1983 im Austausch für sechs von der Fatah entführte Soldaten entlassen. 2011 hatte Jerusalem für den entführten Soldaten Gilad Shalit 1.027 arabische Gefangene an die Hamas übergeben, 280 von ihnen waren zu lebenslanger Haft verurteilt gewesen.

Aber die Hamas hat sich bei ihrem jüngsten Überfall auf Israel für eine andere, eine zutiefst barbarische Strategie entschieden: die Bilder der Gräueltaten an Mädchen, Frauen, Babys und Greisen, alles gezielt gefilmt und lustvoll in der Welt verbreitet, sind so entsetzlich wie grauenvolle, sadistische Gewaltpornos und blutrünstige Horrorstreifen – mit dem Unterschied, dass die Filmszenen vom 7. Oktober 2023 Realitäten dokumentieren und Dokumente der Zeitgeschichte sind.

Der historische Terroranschlag der Hamas hatte allerdings klare Botschaften. Wir sollten sie aufmerksam registrieren und gut merken. Denn bald sind wir dran.

1. Terrorismus funktioniert
Die Hamas hat mit ihrem Terroranschlag mehrere Ziele gleichzeitig erreicht. Die weitere Normalisierung der Beziehungen Israels zu arabischen Staaten wurde jäh gestoppt. Nach einem Moment des Schocks über die Hamas-Barbarei ist Israel in ihrem jetzt existenziell notwendigen Kampf gegen die Hamas mit jedem Tag mehr am Pranger der Weltöffentlichkeit; die UN ebenso wie die Mehrheit der Staaten machen keinen Hehl aus ihrer tiefen Abneigung gegen den jüdischen Staat. (Dabei würde fast jeder dieser Staaten, sofern er das denn militärisch könnte, mit weit größerer Brutalität und Gnadenlosigkeit reale oder mutmaßliche „Todfeinde“ verfolgen.)

Die Mehrheit der westlichen Intelligenzija wird ihrem völlig verdorbenen Ruf als erbärmliche, linke Salon-Rebellen gerecht und wendet sich derzeit mit Leidenschaft und Wortgewalt gegen den Staat der Juden. Weltweit zeigt ein blühender Antisemitismus seine furchterregende Fratze. „Eine Orgie des Antisemitismus“, schrieb die NZZ. Auf den Straßen westlicher Metropolen dominieren die Feinde Israels und der Juden, geben der islamische Mob, die irre Linke aller Schattierungen und Intellektuelle ohne Geschichtsbewusstsein, ohne Gewissen und mit den verschrobenen Werten der Identitätspolitik und des Postkolonialismus den Ton an.

Der Hamas ist es gelungen, einen „Frozen Conflict“ aufzutauen, das Nahostthema und das scheinbar legitime „Recht auf Rückkehr“ der „Palästinenser“ wieder auf die Tagesordnung der Weltpolitik zu rücken. Dabei steckt die von den Arabern als „Nakba“ (deutsch: Katastrophe) bezeichnete Flucht und Vertreibung der Araber aus dem israelischen Kernland Ende der 40er Jahre ebenso wie die Siedlungspolitik voller Verfälschungen und Lügen – aber um historische Hintergründe scheint sich die Welt wenig zu kümmern. Schließlich ist sogar die Selbstbezeichnung der Araber in der Region als „Palästinenser“ eine reine PR-Schöpfung von Jassir Arafat Ende der 60er Jahre.

2. „Freiheitskämpfer“ und „Gotteskrieger“ müssen sich nicht um Moral und Menschlichkeit kümmern
Die ganze Welt ist Zeuge der ungeheuren Grausamkeit und Unmenschlichkeit der Hamas geworden. Weder die Geiselnahme kleiner Kinder noch die entsetzlichen Gewalttaten an Säuglingen, Mädchen und Frauen führen in der westlichen Welt zu nachhaltigem Entsetzen oder gar zu ernsthaften politischen Konsequenzen. Die Mullahs in Iran oder der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, die in Hamas eine Befreiungsbewegung und in Israel einen „Terrorstaat“ sehen, sind respektierte Gesprächs- und Verhandlungspartner des Westens.

Während die Hamas hemmungslos ihre eigene Bevölkerung als Schutzschilder, Hospitäler, Schulen und Kindergärten als Tarnung ihre Stützpunkte missbraucht, muss sich Israel ununterbrochen rechtfertigen, dass es einen Krieg unter extremen Bedingungen führen muss. Niemand könnte logisch erklären, warum die Israelis Krankenhäuser angreifen sollten, wenn sie nicht wüssten, dass dort wichtige Kommando-Zentralen und Waffenlager sind.

Trotzdem wird so getan, als ob die Israelis, offenbar blutdürstig und niederträchtig, möglichst viele Kranke, Babys und andere wehrlose Zivilisten umbringen wollen. Dabei weiß jeder, dass es in der Geschichte wohl kaum eine Kriegsmacht gab, die dermaßen viel für eine humane Kriegsführung leistet, die ihre Angriffe vorher ankündigt, Araber an heiklen Orten direkt telefonisch kontaktiert, um die Zivilopfer so gering wie möglich zu halten.

Es gibt in der Welt gut und böse, human und unmenschlich, ehrlich und verlogen – aber die Hamas kann sich sicher sein, dass diese Wertungen in der modernen Welt alles keine große Rolle spielt. Israel muss sich ununterbrochen rechtfertigen, die Hamas kann ungestraft lügen und verfälschen. Denn die „Palästinenser“ sind immer Opfer, die Israelis immer „Täter“.

3. Die arabisch-islamische Welt will keine Kompromisse und keinen Frieden
Ziel keineswegs nur der Hamas bleibt ein Palästina vom „Fluss bis zum Meer“, vom Jordan bis zum Mittelmeer, also die Auslöschung Israels. Eine Zwei-Staaten-Lösung ist eine Phantasie realitätsfremder Politiker im freien Westen und machthungriger Strategen in Metropolen wie Moskau, Peking oder Brasilia sowie friedenssehnsüchtiger Israelis.

Die überwältigende Unterstützung des barbarischen Hamas-Anschlags in der arabisch-islamischen Welt, angefangen von Nahost-Terrorgruppen über islamische Organisationen bis hin zu militärisch hochgerüsteten Staaten wie Iran und Pakistan lässt keinen Zweifel an dem Unwillen in diesem Teil der Welt zu einem Frieden mit Israel.

Israels zahllose Friedens- und Kompromissangebote für eine Zweistaatenlösung – angefangen von der Akzeptanz der UN-Lösung 1949 bis hin zu den Camp David II-Verhandlungen im Jahr 2000 oder der freiwilligen Räumung des Gaza-Streifens 2005 – spielen in den politischen Debatten des Westens kaum eine Rolle. Die Geschichte Israels zeigt, dass Friedensgespräche bezüglich einer Zwei-Staaten-Lösung letztendlich in eine neue Welle terroristischer Angriffe der Palästinenser auf Israel mündeten.

4. Die Hamas nimmt den Tod und das millionenfache Elend der eigenen Bevölkerung in Kauf
Wie andere arabische und islamistische Organisationen auch ist für die Hamas im Kampf gegen „Imperialisten“, „Besatzer“ und „Ungläubige“ der Blutzoll der eigenen Leute nicht nur egal, sondern sogar ein wichtiges strategisches Instrument, um vor allem den Westen zu spalten. Die Spekulation, dass die „humanitäre Katastrophe“ im Gaza-Streifen durch Israels entschlossenen Kampf gegen die Hamas nur den Terroristen in die Hände spielt, ist auch diesmal voll aufgegangen. Nicht einmal die unbestreitbare Tatsache, dass die Hamas Kinder, Frauen und Kranke als menschliche Schutzschilde benutzt, mindert die Hassgefühle in aller Welt auf den wehrhaften Judenstaat.

5. Die Mehrheit der Muslime hasst Israel und unterstützt Hamas
In den allermeisten 57 Staaten der Organisation islamischer Staaten steht die jeweilige Bevölkerung hinter dem „bewaffneten Kampf“ gegen Israel. Der jüngste Hamas-Terroranschlag wird weitgehend als Erfolg umjubelt. Das belegen Massen-Proteste, Umfragen und Berichte. Auch im Gaza-Streifen und im Westjordanland gibt es laut Umfragen massive Unterstützung der „Palästinenser“ für die Hamas und für andere arabische oder islamistische Terrororganisationen.

Massaker an israelischen Zivilisten oder die gnadenlose Strategie der Hamas, die eigene Zivilbevölkerung als Kanonenfutter zu benutzen, spielen in der arabisch-islamischen Welt so gut wie keine Rolle. Überhaupt scheinen sehr viele Muslime wenig Probleme mit Grausamkeit und Unmenschlichkeit zu haben, wenn es denn gegen „Ungläubige“ und „Imperialisten“ geht. Aus ihrem Hass gegen den Judenstaat machen sehr Viele in der islamischen Welt keinen Hehl.

Man muss nur genau hinhören, wenn in arabischen Sendungen Mütter stolz berichten, dass ihre Kinder mit Selbstmordattentaten zu „Märtyrern“ wurden. Auch in Europa zeigen Umfragen und Untersuchungen, dass es unter den Muslimen hohe Zustimmungsraten für islamistische Ziele, für den bewaffneten Kampf der „Palästinenser“, aber auch für Terrororganisationen wie Hamas und Hisbollah gibt. Gleichzeitig lehnen viele Muslime, auch die, die schon in der zweiten oder dritten Generation in Europa leben, westliche Freiheitswerte und demokratische Grundwerte ab.

6. Der Hass auf Israel ist auch der Hass auf den Westen
Es ist kein Zufall, dass auf den anti-israelischen Demonstrationen in Europa und Amerika die grüne Fahne des Islam und die Parolen der Islamisten einen prominenten Platz haben. Der offene Ruf nach dem Kalifat in Deutschland, Schweden, Großbritannien oder Frankreich mag derzeit erst von einer Minderheit der Muslime in diesen Ländern unterstützt werden; aber nicht nur die Geschichte des Nahen Ostens, auch die Geschichte des Islam im vergangenen Jahrtausend belegt das enorme Sendungsbewusstsein und den aggressiven Expansionsdrang dieser Ideologie, die gerne als „Religion des Friedens“ erscheinen möchte.

Der Alltag in Iran und Afghanistan zeigt besonders drastisch, was der Islam, einmal an der Macht, aus einem Land macht. Vor allem westliche Intellektuelle sehen auch in den islamischen Staaten nur Opfer von Kolonialismus, Imperialismus und Kapitalismus – während realiter in den meisten islamischen Staaten Menschen- und Frauenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie keine große Rolle spielen. Dagegen blühen dort Korruption, Machtmissbrauch und Ausbeutung.

Trotz aller üblen Erfahrungen vor allem in Schweden, Frankreich und Großbritannien mit großen muslimischen stellen sich woken, linken und geschichtsvergessenen Eliten in der westlichen Welt, die vor allem Kultur und Wissenschaft dominieren, taub und blind, wenn es um den aggressiven Islam geht. Identitätspolitik definiert Muslime als Opfer des christlich geprägten Kolonialismus, wirklich gefährlich seien angeblich „islamophobe“, rechte Kräfte. Hamas und Hisbollah können sich fest auf westliche Intellektuelle als nützliche Idioten verlassen – daran ändert ein 7. Oktober nichts.

7. Die Juden sind letztendlich allein in der Welt
Mit großer Zufriedenheit beobachtet die Hamas den Mangel an Unterstützung für Israel weltweit. Zwar beschwören vor allem die USA und Deutschland ihre unverbrüchliche Solidarität mit dem jüdischen Staat. US-Präsident Joe Biden (ebenso wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und zahlreiche andere westliche Staatschefs) gehört inzwischen zu den vehementen Befürwortern einer tagelange Feuerpause, die Israel nur Nachteile, der Hamas nur Vorteile bringen würde.

Aber sowohl in der jeweiligen Bevölkerung und auch in der Politik gibt es in so gut wie allen westlichen Staaten massive Sympathien für die „Palästinenser“, die viele vor allem als Opfer israelischer Kolonial- und Siedlungspolitik ansehen. Dass die Vorwürfe von „Apartheid“ in Israel oder von angeblich systematischen Menschenrechtsverletzungen in „besetzten Gebieten“ (Westjordanland mit – zutiefst korrupter – palästinensischer Selbstverwaltung) einer nüchternen Überprüfung nicht standhalten, interessiert gerade in den „gebildeten“ Schichten westlicher Staaten kaum.

Die Regierung in Berlin darf sich zwar rühmen, in Erklärungen und mit Besuchen in Jerusalem deutlich Position zugunsten Israels bezogen zu haben. Aber gleichzeitig konnten sich Kanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock nicht dazu durchringen, sich in der UN klar zu Israel zu bekennen – und mit anderen 14 Staaten (wie die USA, Ungarn und Österreich) in der UN-Vollversammlung eine zutiefst israel-feindliche Resolution abzulehnen. Darin wurde eine Feuerpause in Gaza gefordert, ohne auch nur ein Wort über die Hamas-Massaker und die Entführung von mehr als 200 Menschen zu verlieren.

Zudem bewilligten Berlin und die EU erneut hunderte von Millionen Euro Hilfsgelder für den Gazastreifen – verwaltet letztendlich vor Ort von Behörden und Hilfsorganisationen, die schon bisher nicht verhindert haben, dass enorme Geldbeträge aus dem Westen für die militärische Ausstattung der Hams verwendet wurden.

Israel mit seinen neun Millionen Einwohnern und die sechs Millionen Juden in aller Welt haben nicht viele Freunde. In Kriegszeiten wie jetzt wird das besonders spürbar. Für den winzig kleinen jüdischen Staat – inmitten einer riesigen islamischen Welt mit fast zwei Milliarden Einwohnern – kann das „Nie wieder“ nur bedeuten, auf die eigenen Kräfte zu vertrauen, hochgerüstet und kampfbereit die Heimat zu verteidigen, in der einst schon Abraham, Moses und Jesus lebten.

Hoch über dem Toten Meer ragen die Ruinen der Festung Masada, wo etwa 70 nach Christus hunderte Juden nach monatelanger Belagerung schließlich kollektiv Selbstmord verübten, um nicht der römischen Armee in die Hände zu fallen. „Nie wieder“ bedeutet für die Juden heute nicht nur, nie wieder Opfer zu werden wie beim Holocaust. Nie wieder bedeutet auch, nie wieder ohne eine Heimstatt zu sein – und alles zu tun, um die Stärke zu haben, selbst diese Heimat verteidigen zu können.

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