Tichys Einblick
Aharon Haliva

Israels Geheimdienstchef zurückgetreten

Aharon Haliva, der Chef des Militärischen Geheimdienstes in Israel, hat seinen Rücktritt erklärt. Dabei hat er eingeräumt, der eigenen Aufgabe nicht gewachsen und den Schutz Israels am Tag der Hamas-Terrorattacke nicht gewährleistet zu haben. Es war ein überfälliger Schritt.

Aharon Haliva

Screenprint via Twitter / @SkyNews

Eine Überraschung ist diese Meldung nicht. General Aharon Haliva, langjähriger Chef des Militärischen Geheimdienstes, hat sein Rücktrittsgesuch eingereicht. Damit wurde seit dem 7. Oktober gerechnet. Denn der General hat an jenem Morgen, als 3000 Terroristen in den Süden Israels einfielen, mordeten, vergewaltigten und Geiseln nahmen, geschlafen. Im wahrsten Sinn des Wortes.

Ein Mitarbeiter hatte seinen Chef, der sich zu diesem Zeitpunkt in dem beliebten Ferienort Eilat am Roten Meer aufgehalten hat, gegen drei Uhr früh telefonisch geweckt und ihn darauf aufmerksam gemacht, dass an der Grenze zu Gaza Auffälliges zu beobachten sei. Der Chef wiegelte ab und schlief weiter. Dreieinhalb Stunden später begann die größte Heimsuchung Israel seit seiner Staatsgründung. Mit dem katastrophalen Ergebnis kämpft Israel bis heute. Ohne Aussicht auf ein Ende.

In seinem Rücktrittsschreiben heißt es: „Die Führung des Geheimdienstes unter meinem Kommando war der Aufgabe, die uns anvertraut wurde, nicht gewachsen. Ich trage den schwarzen Tag seither mit mir, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Ich werde diesen schrecklichen Schmerz für immer mit mir tragen.“

Die Israel Defence Forces (IDF) veröffentlichte den Brief zu Beginn des einwöchigen Pessach-Festes, offensichtlich in der Hoffnung, die Diskussion darüber in Politik und Medien möglichst gering zu halten – und damit eine Rücktrittswelle zu verhindern. Denn seit Monaten fordern weite Teile der Öffentlichkeit, allen voran Angehörige und enge Freunde der 133 noch immer Verschleppten – viele davon vermutlich bereits tot – die Abdankung der Regierung Netanyahu. In den Ballungszentren wie Tel Aviv hängen haushohe Plakate mit Texten wie „Du bist unser Anführer – Du bist schuld“ neben einem unvorteilhaften Porträt des Regierungschefs. Bibi, wie Freund und Feind ihn nennen, hat zwar die Verantwortung für den 7. Oktober übernommen, aber an Rücktritt denkt er nicht. Er verspricht eine Untersuchung der Umstände, die zum 7.-Oktober-Desaster führten – aber erst nach dem Krieg, wenn sich Israel wieder stabilisiert haben wird. Wann das sein wird, weiß jedoch niemand.

Es gibt keine überzeugenden Antworten der politischen Führung auf die vielen Fragen, die Israel rund um die Uhr beschäftigen. Wann beginnt der zweite Teil der Bodenoffensive im Süden des Gaza-Streifens, wo sich vermutlich noch immer die Hamas-Führung versteckt hält? Wie reagieren die Mullahs im Iran und ihre Vasallen im Libanon auf den kürzlich erfolgten israelischen Gegenangriff auf militärische Einrichtungen in Isfahan? Und wann kommen die Geiseln nach Hause, die bald 200 Tage in Gaza in Gefangenschaft gehalten werden?

Kopfzerbrechen bereiten auch der wachsende Antisemitismus, der sich weltweit hinter einem Israelhass verbirgt und auch grundsätzlich befreundete Staaten wie die USA und Deutschland angesteckt hat. Fragen, die die israelische Volksseele tief verletzt haben. Der Heilungsprozess – wenn überhaupt – steht am Anfang. In den Krankenhäusern des Landes spielen sich immer wieder tragische Szenen von Schwerstverletzten und Verwundeten ab, die Krieg und Terror täglich verursachen.

Ein aktueller Fernsehbericht, der von 50 Hamas-Patienten erzählt, die in Israel medizinisch versorgt werden, erhitzt die Diskussion zusätzlich. Demonstranten vor den Krankenhäusern fordern deren Entfernung aus den Zimmern und umgehende Bestrafung. Sicherheitskräfte müssen verletzte Terroristen und ihre Ärzte gleichermaßen schützen. Ein schwer zu ertragender Preis, den Israels Demokratie seinen schwer geprüften Bürgern abfordert. Vorgänge, die die internationalen Medien freilich weitgehend verschweigen.

Vor diesem Hintergrund verschwinden die durchaus respektablen Leistungen des zurückgetretenen Geheimdienstchefs, der 38 Jahre als Soldat und Kommandant dem Land und seinem Volk gedient hat. Haliva bezeichnet in seinem Schreiben den 7. Oktober als „mörderischen Überraschungsangriff, der kritische Fehler des Geheimdienstes unter meiner Führung offenbarte“. Für Oppositionschef Yair Lapid ein aktueller Anlass, den Rücktritt Netanyahus zum wiederholten Mal zu fordern.

Das am Montagabend begonnene Pessach-Fest erinnert an den Auszug der Juden aus Ägypten von vor 3000 Jahren, das den Slogan, „Lass mein Volk ziehen“ über Jahrhunderte geprägt hat. Auf den Marktplätzen in vielen Gemeinden steht ein symbolischer Tisch mit 133 Stühlen, die an die aktuelle Plage Israels erinnern soll. Sie nährt die Hoffnung, dass sich ein Wunder wie damals möglichst bald wiederholt.

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