Weil Israel und der Nahe Osten sonst keine Probleme haben: Der ökologisch fundierte Regierungsplan, die Wüste Negev mittels eines Baum-Pflanzungsprogramms zu begrünen, löste die größte Krise der 200 Tage jungen Acht-Parteien-Koalitionsregierung in Jerusalem aus. Einen teilweise gewaltsamen Protest gegen die Bepflanzungsaktion haben Hunderte von Beduinen ausgerufen: Ihre Jahrhunderte alte Tradition kennt keine moderne Ökologie des 21. Jahrhunderts.
Im Süden Israels leben 210.000 Beduinen, ein Drittel der regionalen Bevölkerung, von denen über die Hälfte bereits sesshaft geworden sind. Mindestens 30.000 leben noch immer als Nomaden nach dem ungeschriebenen Grundsatz ihrer Vorfahren: Das Land, auf dem meine Schafe weiden, gehört mir. Das widerspricht nicht nur geltenden Gesetzen, sondern auch dem Recht des Osmanischen Reiches, das 400 Jahre lang bis zum Ersten Weltkrieg und auch während der britischen Mandatszeit bis 1948 galt. Aus dieser Zeit stammt auch der Tabo-Begriff, der aus der Zeit der türkischen Herrschaft das Grundbuch beschreibt und heute noch im Sprachgebrauch verwendet wird.
Seit 73 Jahren ist Israel eine Demokratie, also ein Rechts- und Sozialstaat. Das hat sich in dem kleinen Land am Ostrand des Mittelmeeres noch nicht bei allen 9,4 Millionen Bürgern herumgesprochen. Seit Jahrzehnten versuchen Regierungen aller Couleur das Beduinen-Problem zu lösen. 2007 hat die Regierung ein Milliarden-Programm aufgelegt, mit dem Ziel, die Beduinen als Bürger gleichzustellen. Teilweise ist es gelungen, aber noch leben zu viele in der alten Tradition ihrer archaischen Gesetze. Gesetze, die auch in keinem anderen arabischen Land gelten, weiß Naomi Kahn, die die internationale Abteilung der Nicht-Regierungs-Organisation Regavim leitet.
Die vorwiegend als Schafzüchter Tätigen merken dabei nicht, dass sie politisch missbraucht werden. Die arabische Ra´am-Partei, Zünglein an der Waage in der Bennett-Regierung, nutzt die Gelegenheit, mit geballter Faust aus der Lage politisches Kapital zu schlagen. Menschen seien wichtiger als Bäume, tönen sie, und ihre Clan-Tradition ist ihnen allemal wichtiger, als das Welt-Klima zu retten. Man braucht nicht viel Phantasie zu erkennen, dass dieser neue Versuch, Beduinen und die Südregion Israels zu befrieden, sozialen Sprengstoff enthält. Das findet auch Ausdruck in den 2900 Klagen, die von 12.000 Beduinen-Familien eingereicht auf eine Gerichtsentscheidung warten.
Mit geltendem Recht und einem Hinweis auf die Rechtsgeschichte kommt man in dieser Region Israels ohnehin nicht weit. Die Regierung hat das Baumpflanz-Programm erstmal gestoppt. Andernfalls hätten die arabischen Koalitionspartner die dünne Regierungsmehrheit aufgekündigt. Die Drohung ihres Anführers Mansour Abbas liegt seit Tagen auf dem Tisch.
Tumultartige Diskussion in der Knesset, im Israelischen Parlament, hat vor einer Woche bereits das Elektrizitäts-Gesetz ausgelöst. Mehrere Beduinen-Dörfer sollten nach einer Wasser-Anbindung auch an das Stromnetz angeschlossen werden. Der Regierungsplan sah vor, auch jenen Beduinen, die illegal gebaut hatten, die Möglichkeit zu geben, ihre Hütten zu beleuchten und im wüstenkalten Winter elektrisch zu heizen. Das rief die Juristen auf der rechtsnationalen Seite auf den Plan, die einen klaren Verstoß gegen die staatliche Rechtsordnung lautstark beklagten. Die Diskussion geriet vollständig aus den Fugen und selbst Ministerpräsident Bennett verlor dabei erstmals die Contenance, musste von Parteifreunden beruhigt werden.
Recht haben und Recht bekommen sind zwei Seiten der gleichen Medaille, die sich bisher noch keine Regierung umhängen konnte. Die Bennett-Regierung hat aber zumindest ein Datum festgelegt: Bis 2035 soll eine Lösung gefunden werden.