Tichys Einblick
Sunak verweigert Rücknahmen

Irische Regierung wirft London Anheizen der illegalen Migration vor

Folgt man der destabilisierten irischen Regierung, dann zeigt der Ruanda-Plan der britischen Konservativen schon jetzt Wirkung. Treibt er vermehrt illegale Migranten nach Irland? Rishi Sunak will jedenfalls keine Migranten zurücknehmen, bevor Frankreich das nicht auch tut.

Zelte in der Nähe des Dubliner Büros für internationalen Schutz, die als vorübergehende Unterkünfte für Asylbewerber dienen, Dublin, Irland, 30.04.2024

picture alliance / Anadolu | Artur Widak

Nun kommen die Migranten also vermehrt in Irland an, und das genau soll die Schuld Londons sein wie so vieles seit dem EU-Austritt der Briten. Das sagte der stellvertretende Premierminister Irlands Micheál Martin letzten Mittwoch. Da war das Sicherheit-von-Ruanda-Gesetz noch nicht in Kraft, das kam erst am Donnerstag. Und doch wirkte es angeblich schon.

„Ich glaube, der Ruanda-Effekt wirkt sich auf Irland aus“, sagte Martin wörtlich. „Es gibt jetzt echte Auswirkungen auf Irland, weil Menschen im Vereinigten Königreich Angst haben.“ Und da sind sie auch wieder, die namenlosen, herkunftslosen „Menschen“ (im Englischen „people“). Tatsächlich ist die Rede von Migranten, die sich illegal über den Ärmelkanal nach Großbritannien begeben haben, um dann weiter nach Nordirland und über die grüne Grenze illegal nach Irland einzureisen. Es erweist sich: Nicht nur die EU exportiert ins UK, auch von dort gehen Reexporte von illegalen Migranten zurück in die EU, nur eben in ein anderes Land.

Man darf zusammenfassen: Aufgrund der gerade erst sattelfest gemachten Ruanda-Gesetzgebung werden angeblich schon heute Migranten dazu gebracht, illegal von Großbritannien über Nordirland nach Irland einzudringen und dort vermutlich ihren x-ten Asylantrag (nach dem in Italien, Frankreich und England) zu stellen. Mehr als 80 Prozent der Antragsteller seien zuletzt über die britisch-irische Grenze gekommen, schätzt Justizministerin Helen McEntee die Lage ein. In zunehmendem Maße gibt es mehr oder minder wilde Zeltsiedlungen. Rund um das Dubliner Amt für internationalen Schutz leben so angeblich rund 1.700 obdachlose Asylbewerber.

Bisher wollten die EU-Iren eine offene Grenze

Nun ist die britische Ruanda-Gesetzgebung schon seit einem guten Jahr im Gespräch. Insofern könnte sie sich auch auf Migrationsströme auswirken. Realistischerweise müsste die Hauptroute der illegalen Migration nach Irland aber schon immer über Großbritannien geführt haben. Diese Art Einwanderung nach Irland ist schon seit einiger Zeit außer Kontrolle. Hat sie zuletzt noch stärker zugenommen? Diese Zahl ist vorerst nicht öffentlich.

In dem Berichtsjahr, das im April 2023 zu Ende ging, gab es 140.000 illegale Einreisen und damit so viele wie seit 16 Jahren nicht mehr. Irland hat gut fünf Millionen Einwohner. Auf diese Bevölkerung gerechnet, sind 140.000 „Asylsuchende“ in einem Jahr sicher eine besonders hohe Belastung.

Ironischerweise waren es bisher immer die Iren gewesen, die im Rahmen der Brexit-Verhandlungen auf einer offenen Grenze bestanden hatten. Lange Schlachten waren während der Brexit-Verhandlungen geschlagen worden, um die irisch-nordirische Grenze offenzuhalten, um so das Karfreitagsabkommen zu „ehren“ und zu erhalten. Nun könnten es die Iren zu sein, die eine feste Grenze mit Kontrollen bevorzugen.

Eigentliches Problem: High Court macht UK zum Schurkenstaat

Das eigentliche Problem für die Iren ist ein Urteil ihres eigenen High Court, gemäß dem Großbritannien nun nicht mehr als sicheres Drittland eingestuft werden darf. Durch die Sunak-Gesetze wäre Großbritannien also zu einem Schurkenstaat an der Seite der EU geworden. Verrückter geht es kaum, aber so werden sicher noch andere Gerichte in der EU urteilen. Insofern ist eben doch der Ruanda-Plan der Briten schuld. Durch ihn bestehe das Risiko einer Abschiebung in einen weiteren – wenn auch aus Londons Sicht sicheren – Drittstaat, was den irischen Richtern nicht zumutbar schien.

Trotzdem zeigt der neue irische Premierminister (Taoiseach) Simon Harris einige Zurückhaltung, was Kritik an London angeht. Man wolle kein „Schlupfloch für die Migrationsprobleme anderer bieten“, hieß es allerdings im eindeutigen Vorwurfsmodus. In diesem Fall scheint Irland wieder Nationalstaat zu sein und weniger der sicher mitverantwortlichen EU. Ob der Ruanda-Plan der Briten hier seine ersten Auswirkungen zeige, wollte Harris nicht kommentieren. Seine Justizministerin Helen McEntee hat er um einen Gesetzentwurf für eine neue Rückführungspolitik gebeten, durch die Migranten wieder nach Großbritannien zurückgeschickt werden sollen. Harris nennt das ein „Notstandsgesetz“. Doch was soll es im Umgang mit dem souveränen Großbritannien nützen? Es kann nur die inner-irischen Hindernisse ausräumen.

Der konservative Abgeordnete Jacob Rees-Mogg schlug – scherzend? – vor, Busse mit Migranten an die irische Grenze zu fahren, damit Irland sie vor dem „gefährlichen“ Vereinigten Königreich retten kann.

Sunak: EU könnte britischem Vorbild folgen

Auch der demoskopisch ausgehungerte Rishi Sunak – kann man es ihm verdenken? – nutzte die irischen Regierungs-Unruhen umgehend zu einem ziemlich frühen Loblied zugunsten seines Gesetzespakets, aus dem daneben noch nichts gefolgt ist. Die Zunahme der Asylanträge in Irland zeige, dass der Ruanda-Plan der Konservativen funktioniere, sagte Sunak am Wochenende im Interview auf Sky News. Der Abschreckungseffekt der neuen Regelung zeige sich daran, dass „die Menschen Angst haben, hierher [= ins UK] zu kommen“. Die illegalen Migranten meiden also Großbritannien, und der konservative Premier macht kein Geheimnis daraus, dass dies sein Ziel war.

Sunak fügte hinzu: „Illegale Einwanderung ist eine globale Herausforderung, und deshalb sprechen viele Länder über Partnerschaften mit Drittländern und suchen nach neuen Wegen zur Lösung dieses Problems, und ich glaube, sie werden dem Beispiel des Vereinigten Königreichs folgen.“ Das heißt wohl vor allem, auch die EU könnte dem britischen Vorbild folgen und Asyleinwanderer in Drittländer deportieren. In Frankreich stimmen 67 Prozent einer Übernahme entsprechender Regeln zu.

Die Londoner Regierung hat nun gemäß dem ersten Ruanda-Gesetz die Pflicht, illegale Einwanderer nach Ruanda zu schicken – wenn nichts anderes dazwischenkommt, etwa eine ganz spezifische Gefährdung eines einzelnen Migranten durch die ruandesischen Umstände. Diese Regelung verdanken die Briten vor allem den One-Nation-Tories der südenglischen Blue Wall. Erste Flüge werden ohnedies erst im Sommer erwartet, bis dahin will die Regierung das eigene Vorgehen wasserdicht machen.

Proteste in Irland spitzen sich zu

Dass Asylmigranten den Weg des geringsten Widerstandes gehen und eher dort ihre Anträge stellen, wo sie ohne viele Hindernisse auf deren Annahme oder eine andere Form von Akzeptanz rechnen können, dürfte schlicht der Realität entsprechen. Aus Verschärfungen des Asylrechts in einem Land folgen verstärkte Asylströme in die Nachbarländer.

In Irland kann man sehen, wohin es führt, wenn Nachbarn beginnen, gegen die rechtlose Invasion vorzugehen, wie es etwa auch Dänemark tut. In der Kleinstadt Newtownmountkennedy, 20 Kilometer südlich von Dublin, fand eine schon größere Demonstration gegen ein geplantes Asylbewerberheim statt. Auf den Transparenten war etwa auch zu lesen: „Irish Lives Matter“ – offenbar in Anspielung auf die lebensgefährlichen Umstände der illegalen Massenmigration.

Auch daneben schrecken die Iren nicht vor Drohungen zurück, die allerdings unter das Strafgesetz der Insel fallen. Tatsächlich gab es Bilder und Berichte von brennenden Gebäuden, die für Asylbewerber vorgesehen waren. Es folgten Festnahmen.

Daneben häufen sich die Polizeieinsätze gegen Dörfler, deren Protest angeblich von der „extremen Rechten“ unterwandert wurde. Allerdings sind 79 Prozent der Iren der Auffassung, dass das Land eine zu hohe Migration erleide. Hierbei handelt es sich also um eine Mainstream-Ansicht, nicht um etwas Extremes.

London will keine Rückkehrer akzeptieren

Was nun die in Dublin angedachten Rückkehren oder Rückführungen nach Großbritannien angeht, hat Sunak dem eine klare Absage erteilt. „Wir werden keine Rückführungen aus der EU über Irland akzeptieren, wenn die EU keine Rückführungen nach Frankreich akzeptiert, wo die illegalen Migranten herkommen“, sagte der Premier gegenüber dem Fernsehsender ITV, und setzte trotzig hinzu: „Natürlich werden wir das nicht tun.“

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