Für viele Menschen ist Irland ein zentraler Sehnsuchtsort Europas. Von der bedeutenden Missionierungsarbeit irischer Mönche im Frühmittelalter, über die tapfere Selbstbehauptung gegenüber dem großen Bruder Großbritannien, bis hin zu kultureller und landschaftlicher Romantik in Form endloser Hügellandschaften, irischer Pubs und einiger der schönsten Leuchttürme der Welt. Die Iren sind ein widerspenstiges und freiheitsliebendes Völkchen, zumindest in der populären Wahrnehmung, doch in den letzten Jahren mehren sich die Anzeichen, dass auch diesem Freigeist endgültig der Garaus gemacht werden soll.
Der bisherige Höhepunkt dieser Entwicklung ist die nunmehr geplante Verabschiedung eines neuen Gesetzes gegen Hassrede, das international neue Standards setzt und den endgültigen Abschied vom Konzept freier Meinungsäußerung darstellen könnte. Zur Relation: Selbst die Regelungen der EU bleiben bislang dahinter zurück, wobei zu befürchten ist, dass Brüssel nach 1500 Jahren schon bald wieder von Irland aus missioniert wird.
Auch in den Medien herrschte lange Schweigen angesichts des geplanten Gesetzes, doch der irische Journalist Keith Woods schlug auf Twitter Alarm, als er auf den gravierendsten Passus des neuen Gesetzes hinwies, das den bloßen Besitz von Materialien, die Hass oder Gewalt gegen eine Person oder Personengruppen auslösen könnten, unter Strafe stellt. Wer also auf seinem Handy noch ein altes Meme von Pepe dem Frosch gespeichert hat, könnte theoretisch nach dieser Gesetzgebung mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 2 Jahren rechnen.
Rechtlich besonders bedenklich ist die daran verbundene Beweislastumkehr, denn anstatt im Zweifel für den Angeklagten zu urteilen, müssen Beschuldigte im Besitz der strafrechtlich relevanten Materialien den Beweis erbringen, dass diese nicht zur Veröffentlichung und Anstiftung von Hass, sondern lediglich für private Nutzung bestimmt waren.
Auf der Flucht vor der fehlenden Definition von Hassrede
All dies geschieht vor dem traditionell schwammigen Definitionshintergrund der Hassrede, deren Auslegung seit jeher komplett politisch motiviert ist, ebenso wie die Definition der Opfergruppen, die sich mittlerweile im Monatsrhythmus erweitert. Otto-Normal-Ire muss künftig also noch aufmerksamer die Nachrichten verfolgen, um gut zu wissen, welche Randgruppe nun wieder plötzlich Opferstatus erlangte, um danach alle Festplatten, Handyspeicher und sonstigen Medien auf potenziell anstößiges Material mit Bezug zu dieser Gruppe zu untersuchen und dieses schnellstmöglich zu löschen, bevor der große Bruder unangenehme Fragen stellt. Wer hinter dieser Ungeheuerlichkeit die neuesten Auswüchse tiefroter Politik erwartet, täuscht sich zumindest teilweise.
Freilich, die Grünen sind mittlerweile auch in Irland ein fast unvermeidlicher Bestandteil der Regierung, sind aber auf dem Papier nur der Juniorpartner der beiden stärkeren „konservativen“ bzw. „christlich-demokratischen“ Parteien Fine Gael und Fianna Fáel. Schwarz-Schwarz-Grün also auf Irisch, auch hier biedern sich sogenannte Konservative lieber dem grünen Zeitgeist an, als mit der zweitstärksten Partei Sinn Féin zu koalieren. Selbst ein Antrag der ökosozialistischen Oppositionspartei People before Profit, den Passus über freie Meinungsäußerung aus der UNO-Menschenrechtskonvention in das Gesetz aufzunehmen, scheiterte im Parlament! Merkel hat in Europa viele eifrige Schüler hinterlassen, auch wenn Mutti den Grünen nur im Geiste und nicht in der Koalition verbunden war.
Auf Twitter explodierte die Meldung von Keith Woods. Selbst Elon Musk meldete sich zu Wort und bezeichnete das Gesetz als einen „massiven Angriff auf das Recht auf freie Meinungsäußerung“. Auch Jordan Peterson teilte die Meldung von Woods und spätestens als Donald Trump Jr. schrieb, es wäre „Wahnsinn, was in der sogenannten freien Welt“ vorgänge, fühlten sich die Mainstream-Medien gerufen, ihr Schweigen zu brechen und eine Lanze für das neue Gesetz zu brechen.
Neusprech ermöglicht die sprachliche Verkehrung von Freiheit zu Hass und vice versa
Dabei vermieden sie tunlichst, auf den Skandal des strafbaren Besitzes von potenziellem Hassmaterial einzugehen, ebenso wie auf die damit verbundene Beweislastumkehr. Stattdessen wurde über den Hass und die Ablehnung geschrieben, die bestimmten Menschen im Internet Tag für Tag entgegenprallt. Gemeint sind damit, wohlgemerkt, Transpersonen und andere Opfer-du-jour, auch wenn die verwendete Definition mittlerweile verblüffend gut auf den Lebensalltag Konservativer und klassischer Liberaler anwendbar wäre. Folgt man dem Mainstream, werden hier lediglich arme Verfolgte endlich geschützt, ja sogar die Freiheit geschützt, denn – so zitierte Euronews die irische Justizministerin Helen McEntee – Hassrede und freie Meinungsäußerung sind zwei verschiedene Dinge, wobei die Hassrede dazu dient, Menschen mundtot zu machen und ihnen Angst einzujagen.
Genau das allerdings, so der Vorwurf, den viele Menschen im Debattenraum auf Twitter erheben, ist Sinn und Zweck des neuen Gesetzes: Zensur ohne eindeutige Definitionen und Einschüchterung. Weit verbreitet ist das Argument, dieses Gesetz würde wohl kaum in voller Härte gegen die gesamte Bevölkerung eingesetzt werden, doch besteht wenig Zweifel daran, dass das neue Hassrede-Gesetz den Behörden noch nie dagewesene Möglichkeiten verleiht, unliebsame Stimmen – zum Beispiel von Journalisten oder anderen Kritikern der neuesten woken Entgleisungen – zum Schweigen zu bringen. Auch alternative Medien könnten unter diesem Druck schweren Zeiten entgegenblicken, wenn das Lesen und Teilen von Artikeln im Internet bereits eine potenzielle Straftat darstellen könnten.
Angesichts der Tatsache, dass nun selbst Harry Potter oder Winnetou Romane mit entsprechender argumentativer Akrobatik zum Corpus delicti umgedeutet werden können, bleiben kaum noch Auswege, sich selbst bei tadelhaftem Benehmen vor einer Anklage zu schützen. Im Einklang mit der Beweislastumkehr kann man feststellen, dass dieses Gesetz den letzten und endgültigen Schritt hin zum Orwellschen Gedankenverbrechen darstellt.
Auch wenn die Durchsetzung sich zunächst auf die abschreckende Wirkung und einige wenige Exempel, die man statuiert, konzentrieren wird, so bleibt dem Staat in Irland die Möglichkeit, jederzeit die Daumenschrauben anzuziehen und somit weiter und tiefer in die Privatsphäre der Menschen einzudringen als je zuvor. Elon Musk nannte das Gesetz einen massiven Angriff auf die freie Meinungsäußerung; es ist jedoch mehr, es ist ein Angriff auf die Freiheit der Gedanken. Dass solche Dystopie erstmals im Land der freiheitsliebenden Iren, die eine der Wiegen der abendländischen Kultur bildeten, Fuß fasst, entbehrt nicht einer pechschwarzen Ironie.