Man stelle sich vor: Es gibt eine Krise, und die zuständige Bundesministerin geht nicht hin. Das ist etwa das, was die Bundespolizei, die Landkreise und Kommunen in diesem Herbst in Bezug auf die illegale Migration erleben. Aber die Täuschung begann schon im Sommer: Pünktlich zum Endspurt der Niedersachsenwahl, wo ein SPD-Ministerpräsident zu erhalten war, beschloss das ebenfalls SPD-geführte Innenministerium, die eskalierende Migrationslage an deutschen Grenzen nicht mehr intern aufzubereiten.
Ein Bericht zur Lage an den deutschen Grenzen, der seit Jahren monatlich erstellt und allen Bundespolizei-Dienststellen zur Verfügung gestellt wurde, war plötzlich nicht mehr im Intranet verfügbar. Dabei ist der Migrationsanalyse-Bericht ein entscheidendes Arbeitsinstrument der Bundespolizisten, die daraus Rückschlüsse über aktuelle Wege und Methoden der Schleuser ziehen können, einen Überblick über andere Grenzabschnitte bekommen, kurzum ein breiteres Lagebild erhalten.
Man muss also fragen: Ist es Inkompetenz oder böser Wille? Hat das Ministerium, wie der Polizeigewerkschafter Heiko Teggatz mutmaßte, gar die „Hoheit über die Zahlen“, den Überblick über die Lage verloren? Nichts ist mehr auszuschließen in diesem Haus, dessen Ministerin sich mit Beginn des Ukraine-Kriegs weigerte, die ankommenden Flüchtlinge zu registrieren und nun auch bei der illegalen Migration die realen Zahlen verschleiert – während sie zugleich den Glauben an die Wirksamkeit einer inexistenten Schleierfahndung nährt und sich darauf stützt.
Faeser auf dem Weg in die Wüste: Katar als Ablenkung vom tristen Migrationsalltag
Auch die Kommunen und Kreise werden so erneut im Dunkeln darüber gelassen, was in Kürze im Zuge der bundesweiten Verteilung auf sie zukommt. 56 kahle Notunterkünfte mit gerade einmal 4.000 Plätzen waren bisher alles, was Faeser den Kommunen anzubieten hat. Im ganzen Land rumort es, sind Sozialarbeiter am Ende der Überlastung und Landkreise auf verzweifelter Suche nach Unterkünften. Oder sie haben dieses Geschäft schon aufgegeben und einen Offenbarungseid abgegeben, von dem sie hoffen, dass er ihnen weitere Zuweisungen erspart.
Faeser selbst schwingt sich derweil lieber in einen Flieger, um dem sehr wenig modernen Golf-Emirat Katar einen Besuch abzustatten. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung wollte dann doch lieber nicht mitkommen. Die Grüne Luise Amtsberg hatte im letzten Moment bemerkt, wie schwierig offene und kritische Gespräche über ihre Themen in Katar sein könnten, wo der Islam Staatsreligion ist und die Gesetzgebung sich aus der Scharia speist.
Faeser scheinen diese Fakten egal, sie entstieg dennoch freundlich lächelnd dem Flugzeug und ließ sich dabei filmen. Faeser scheint laut Pressemitteilung eine Art Konversionstherapie für das radikal-islamische Land zu planen: „Menschenrechte gelten immer und überall – und jetzt schaut die ganze Welt besonders hin.“ Nur ihre Regenbogenfahne konnte sie noch nicht mitbringen. Aber der Verdacht bleibt, dass auch andere Interessen in Faesers Sportdelegation eine Rolle spielen, etwa finanzielle. Nicht ganz zufällig scheinen auch die Katar-Elogen eines weiteren SPD-Genossen.
Mauern aus Angst vor dem Karriereloch?
Zugleich kochen erneut Gerüchte hoch, dass schon zum Jahresende eine große Kabinettsumbildung bevorstehen könnte, wie Wolfram Weimer in seiner Kolumne zur „Person der Woche“ Nancy Faeser berichtet (bei dem Ehrentitel kann es sich nur um höhere Ironie handeln). Faeser, das ist schon seit einiger Zeit bekannt, strebt nach Hessen, will dort Spitzenkandidatin und am Ende vielleicht sogar Ministerpräsidentin werden. Aber dem stehen derzeit noch die Umfragezahlen im Wege. Daneben hat Norbert Röttgen gezeigt, wie einen derlei Ambitionen ins Karriereloch führen können. Die Ministerin zögert also, könnte sich dauerhaft im Alt-Moabiter Ministerium einmauern. Und das geht so schön in einem Land, in dem die Regierungskritik zum Orchideenfach geworden ist.
So kann Nancy Faeser auch weiterhin den Dialog mit ihren Kritikern oder auch nur denen, die kritische Fragen stellen, vermeiden. Und solange das so ist, kann man über die Gründe des aktuellen Desasters um die lückenhaften oder gänzlich fehlenden Migrationsanalysen nur rätseln. Ein Gutes könnte es haben: Einer breiteren Öffentlichkeit ist bewusst geworden, dass es noch so etwas wie eine Bundespolizei gibt, die illegale Einreisen an deutschen Grenzen auch mit Zurückweisungen begegnen kann – wenn man sie denn lässt.
Inzwischen hat das Bundespolizeipräsidium die aktuellen Rahmendaten veröffentlicht: Wo es im Juli und August noch unter 7.000 festgestellte illegale Einreisen im Monat gab, da stiegen die Feststellungen im August auf 8.846, im September gar auf über 12.700. Das entspricht einer Verdoppelung im Vergleich zum Vorjahr. Es gab also aus Sicht einer migrations-indolenten Ampelkoalition durchaus etwas zu verheimlichen an dieser Stelle. Die Gesamtzahlen der illegalen Zuwanderung, wie man sie an den Asylerstanträgen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ablesen kann, liegen übrigens regelmäßig um das Doppelte bis Dreifache höher.