Der französische Philosoph Alain Finkielkraut ist sicher kein unbeschriebenes Blatt. Er ist bekannt für seine Thesen über den radikalen Islam, manche sehen ihn als rechtslastig an, weil er sich mit Überfremdung und Identitätsverlust beschäftigt. Finkielkraut gilt als störrisch und brilliant, manche wollen einen gnadenlosen Nationalisten am äußersten rechten Rand in ihm erkennen. In letzter Zeit muss er schwer einstecken: Am 23. April war er von einer euroskeptischen, souveränistischen Studentenorganisation zu einem Vortrag an der renommierten „Science Po“ in Paris eingeladen. Doch wer da einen gelassenen akademischen Austausch zum Thema „Modernität, Erbe und Fortschritt“ erwartet hatte: weit gefehlt.
Die Veranstalter hätten einen renommierten Intellektuellen eingeladen, der hinter seiner Fassade einen „fremdenfeindlichen Diskurs“ betreibe, der die Gelegenheit auch bei dieser Veranstaltung nicht auslasse, „rückfällig“ zu werden. Außerdem bezichtigten sie ihn des „Rassismus“, der „Fremdenfeindlichkeit“ und des „Sexismus“. Die fakultätsübergreifenden Sittenwächter stellten die gesamte Institution Science Po in Frage: Sie habe daran teil, den Nährboden für die extreme Rechte zu bereiten, die „unsere Existenz bedroht“. Worte und Akte seien nicht voneinander zu unterscheiden, man wehre sich dagegen, dass hier „Debatten von Polemikern auf der Basis von Kadavern“ stattfänden.
Schließlich kann sich Finkielkraut mit Hilfe einer Polizei-Eskorte einen Weg durch die Demonstranten bahnen, die Konferenz beginnt – nun doch wieder im Gebäude von Science Po. „Ich kann die Nase nicht mehr herausstrecken“, sagt Finkielkraut. Auch bei den Protesten der „Nuit Debout“, den Protesten gegen das neue Arbeitsrecht 2016, habe man ihn vertreiben wollen. So wie jetzt. Das sei heute aber nicht gelungen. Entnervt meint er: „Der Faschismus, das seid ihr. Die 30er-Jahre, das seid ihr, der Antisemitismus. Das ist alles, was ich antworten kann. Sie sind genau das, was sie anklagen, sie kämpfen gegen die Freiheit des Geistes. Sie wollen verhindern, dass ich spreche, ich hindere Niemandem daran. Ich empfange jede Woche in meiner Radiosendung auf France Inter auch Intellektuelle und Schriftsteller, die ganz anderer Meinung sind als ich.“
Finkielkraut bereits bei den Gelbwesten-Protesten beschimpft
Finkielkreut erstatte gegen ihn keine Anzeige. In einem Interview mit der „Zeit“ sagte Finkielkraut später, der neue Antisemitismus gebe sich als Anti-Rassismus aus. „In manchen Milieus wird der Davidstern inzwischen mit dem Hakenkreuz gleichgesetzt. Also nützt es nichts, sich im Gedenken an den Holocaust zu schämen. Die neuen Antisemiten wollen nämlich, dass wir uns schämen: und zwar für Israel, das ihnen zufolge einen neuen Holocaust an den Palästinensern begeht.“ Wem auch immer man in der Sache folgen mag: Eine Grenze ist wohl eindeutig überschritten, wenn ein Dialog nicht mehr möglich ist.