Tichys Einblick
Alain Finkielkraut attackiert

„Ich kann die Nase nicht mehr herausstrecken“

Bei Alain Finkielkraut ist es wie Hamed Abdel-Samad bei Susanne Schröter feststellt: Linke und muslimische Studenten missverstehen Unis als „safe spaces“ für ihre Gefühle und Ideologien und erhalten dabei von linken Professoren, Journalisten und Politikern Unterstützung.

ERIC FEFERBERG/AFP/Getty Images

Der französische Philosoph Alain Finkielkraut ist sicher kein unbeschriebenes Blatt. Er ist bekannt für seine Thesen über den radikalen Islam, manche sehen ihn als rechtslastig an, weil er sich mit Überfremdung und Identitätsverlust beschäftigt. Finkielkraut gilt als störrisch und brilliant, manche wollen einen gnadenlosen Nationalisten am äußersten rechten Rand in ihm erkennen. In letzter Zeit muss er schwer einstecken: Am 23. April war er von einer euroskeptischen, souveränistischen Studentenorganisation zu einem Vortrag an der renommierten „Science Po“ in Paris eingeladen. Doch wer da einen gelassenen akademischen Austausch zum Thema „Modernität, Erbe und Fortschritt“ erwartet hatte: weit gefehlt.

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„Wenn es nicht um die Zensur eines Intellektuellen ginge, könnte man glauben, eine Posse vor sich zu haben“, schreibt das französische Wochenmagazin „Marianne“. Losgegangen sei es bereits vor Beginn der Veranstaltung, als die Gruppe selbsternannter Antirassisten „Science Po im Kampf – Institut Clément Méric“ die Konferenz mit Finkielkraut zu verhindern versuchte. Sie hatte am Vorabend zu einer Protest-Versammlung vor der Fakultät aufgerufen. Auf ihrer Facebook-Seite bezeichneten sie den jüdischen Philosophen als „gefährlich und nicht tolerierbar“.

Die Veranstalter hätten einen renommierten Intellektuellen eingeladen, der hinter seiner Fassade einen „fremdenfeindlichen Diskurs“ betreibe, der die Gelegenheit auch bei dieser Veranstaltung nicht auslasse, „rückfällig“ zu werden. Außerdem bezichtigten sie ihn des „Rassismus“, der „Fremdenfeindlichkeit“ und des „Sexismus“. Die fakultätsübergreifenden Sittenwächter stellten die gesamte Institution Science Po in Frage: Sie habe daran teil, den Nährboden für die extreme Rechte zu bereiten, die „unsere Existenz bedroht“. Worte und Akte seien nicht voneinander zu unterscheiden, man wehre sich dagegen, dass hier „Debatten von Polemikern auf der Basis von Kadavern“ stattfänden.

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Die einladenden Souveränisten sorgen sich um die Sicherheit ihres Gastes und beschließen, die Veranstaltung in eine benachbarte Wirtschafts- und Managementschule zu verlegen. Dorthin begeben sie sich auch vorübergehend, das Katz- und Maus-Spiel mit den „Antifas“ geht weiter. „Marianne“ zitiert einen der Besucher der Konferenz mit den Worten: „Finkielkraut ist ein polemischer Intellektueller, der für Hysterik in der Debatte sorgt. Ein Denker ist nicht unbedingt jemand, mit dem man einverstanden sein muss. Aber für diese Leute ist man schlecht, wenn man nicht ihrer Meinung ist.“

Schließlich kann sich Finkielkraut mit Hilfe einer Polizei-Eskorte einen Weg durch die Demonstranten bahnen, die Konferenz beginnt – nun doch wieder im Gebäude von Science Po. „Ich kann die Nase nicht mehr herausstrecken“, sagt Finkielkraut. Auch bei den Protesten der „Nuit Debout“, den Protesten gegen das neue Arbeitsrecht 2016, habe man ihn vertreiben wollen. So wie jetzt. Das sei heute aber nicht gelungen. Entnervt meint er: „Der Faschismus, das seid ihr. Die 30er-Jahre, das seid ihr, der Antisemitismus. Das ist alles, was ich antworten kann. Sie sind genau das, was sie anklagen, sie kämpfen gegen die Freiheit des Geistes. Sie wollen verhindern, dass ich spreche, ich hindere Niemandem daran. Ich empfange jede Woche in meiner Radiosendung auf France Inter auch Intellektuelle und Schriftsteller, die ganz anderer Meinung sind als ich.“

Finkielkraut bereits bei den Gelbwesten-Protesten beschimpft

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Schon im Februar war Finkielkraut beim 15. Akt der Gelbwesten-Proteste in Paris massiv antisemitisch beleidigt worden. Der 69-Jährige war zwar nicht direkt als Jude beschimpft worden, sondern als „dreckiger Scheiß-Zionist“. Die Rede sei von „Drecksrasse“, „Frankreich gehört uns“ und „Wir sind das Volk“ gewesen. Wie sich später herausstellte, war der 36-jährige Hauptverdächtige der Polizei bekannt. Benjamin W. kommt aus Mulhouse und ist zum Islam konvertiert, er gilt als Sympathisant der islamistischen Salafisten. Benjamin W. verbrachte 48 Stunden in Polizeigewahrsam, am 22. Mai wird ihm der Prozess wegen „öffentlicher Beleidigung und religiösen Hasses“ gemacht. Wegen seiner Nähe zu den Salafisten war Benjamin W. erstmals 2014 auf dem Radar der Geheimdienste aufgetaucht.

Finkielkreut erstatte gegen ihn keine Anzeige. In einem Interview mit der „Zeit“ sagte Finkielkraut später, der neue Antisemitismus gebe sich als Anti-Rassismus aus. „In manchen Milieus wird der Davidstern inzwischen mit dem Hakenkreuz gleichgesetzt. Also nützt es nichts, sich im Gedenken an den Holocaust zu schämen. Die neuen Antisemiten wollen nämlich, dass wir uns schämen: und zwar für Israel, das ihnen zufolge einen neuen Holocaust an den Palästinensern begeht.“ Wem auch immer man in der Sache folgen mag: Eine Grenze ist wohl eindeutig überschritten, wenn ein Dialog nicht mehr möglich ist.

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