Tichys Einblick
ZWEI JAHRE ABNUTZUNGSKRIEG IN DER UKRAINE

HUR gegen FSB: Der schmutzige Krieg der Geheimdienste

Zwei Jahre nach Beginn der russischen Invasion steckt die Ukraine in einem mühseligen Stellungskrieg, der von niemandem zu gewinnen ist und dennoch nicht endet. Kiew kann keine größeren Geländegewinne erzielen. Die Ukrainer haben aber erkannt, dass der Feind auf eigenem Territorium weitaus verwundbarer ist als gedacht.

Ungeklärt ist der Flugzeugabsturz einer russischen Iljuschin Il-76, in der sich 65 ukrainische Kriegsgefangene zum Austausch an Bord befunden haben, Aufnahme vom 26. Januar 2024

IMAGO / SNA

In den letzten Wochen ist die russische Grenzregion Belgorod Ziel größerer ukrainischer Angriffe geworden. Im Dezember sind durch den Beschuss des Zentrums der gleichnamigen Gebietshauptstadt mehrere Dutzend Menschen getötet worden. Schon seit geraumer Zeit kommt es auf russischem Gebiet zu diversen Störaktionen, Drohnenangriffen und Anschlägen auf die dortige Logistikinfrastruktur.

Putins Soldaten wirken oft desorientiert, können nicht rechtzeitig reagieren, stehen an den falschen Posten. Es ist kein Wendepunkt im bisherigen Kriegsverlauf, jedoch eine Phase, die neue Erkenntnisse bringt, ja gleichsam einen Tabubruch bedeutet: Russland ist auf eigenem Territorium verwundbar. Der Kremlchef hat Vergeltung angekündigt, doch die befürchtete Eskalation ist bislang ausgeblieben.

Russische Schreckensszenarien

Wladimir Putin malt seit zwei Jahren regelrechte Schreckensszenarien an die Wand. Russische Atomstreitkräfte seien in Alarmbereitschaft, ein taktischer Nuklearschlag nur eine Frage der Zeit. Spätestens dann, wenn ein anderes Land Russland angreife, würde er den roten Knopf drücken. „Unsere nuklearen Fähigkeiten würden keiner Nation auf der Welt eine Überlebenschance lassen“, so der russische Präsident. Immer wieder hatte er seine Kriegsrhetorik verschärft und damit auch in anderen europäischen Hauptstädten Ängste geschürt. Nun aber hören wir regelmäßig von „zivilen Opfern“ im russischen Grenzgebiet und trotzdem scheint die berüchtigte „kritische Linie“ nicht überschritten worden zu sein.

Selbstredend sind die ukrainischen Sabotageakte nichts im Vergleich zu den massiven Raketenangriffen, mit denen Moskau seinen Gegner seit nunmehr 23 Monaten zermürbt. Indem die Ukraine gezielt russisches Territorium angreift, ist aber auch die Gültigkeit des Arguments umstritten, sie sei nur das Opfer und führe einen reinen Verteidigungskrieg. Awdijiwka und Lugansk gehören zu der Ukraine, Belgorod nicht. Ungeklärt bleibt zudem der Flugzeugabsturz einer russischen Iljuschin Il-76, in der sich 65 ukrainische Kriegsgefangene zum Austausch an Bord befunden haben. Kiew ist noch nicht gänzlich von der Verantwortung freigesprochen.

Die deutsche SPD streitet mit den Koalitionspartnern und der Opposition um die Auslieferung der Taurus-Marschflugkörper, doch angesichts der letzten Ereignisse an der russisch-ukrainischen Grenze sieht sich der Kanzler im Recht: Kann man wirklich darauf hoffen, dass mit den zuverlässigen Luft-Boden-Lenkflugkörpern keine Ziele in Russland angegriffen werden?

Anschläge in Großstädten

Die Ukraine greift übrigens nicht nur in der Nähe des Frontverlaufs an. Die von den Vereinigten Staaten unterstützten ukrainischen Militärgeheim- und Sicherheitsdienste HUR und SBU verüben regelmäßig Anschläge in den bevölkerungsreichsten Städten Russlands. Ein hochrangiger Beamter hatte jüngst in einem plötzlichen Anflug von Ehrlichkeit erwähnt, dass ukrainische Agenten nicht nur von den USA geschult, sondern gleichfalls mit finanziellen Mitteln versorgt werden. Das soll allerdings nicht gleich bedeuten, dass sich Kiew an die Vorgaben Washingtons hält. Und es sind wohl diese ukrainischen Alleingänge auf dem Gebiet der Russischen Föderation, die das Weiße Haus dazu verleiten, eine weitere Aufstockung der Waffenlieferungen abzulehnen.

Der ukrainische Generalleutnant und HUR-Chef Kyrylo Budanow hatte in einem Interview mit der britischen Wochenzeitung „The Economist“ zugegeben, dass sein Militärnachrichtendienst zu einem „Giganten“ heranwachse, der darauf ausgerichtet sei, Feinde im Ausland zu lokalisieren. Auch der Inlandsgeheimdienst SBU mischt fleißig mit, wobei manch eine verdeckte Operation besser zu gelingen scheint als die seit Monaten stockende ukrainische Gegenoffensive.

Als im August 2022 die russische Kriegsunterstützerin Darja Dugina einem Mordanschlag zum Opfer fiel, wies Kiew jegliche Beteiligung zurück. Doch als einige Tage später die US-amerikanischen Medien unter Berufung auf namentlich nicht genannte Geheimdienstquellen behaupteten, die ukrainische Regierung hätte den Mord genehmigt, schwieg der danach befragte Premier Denys Schmyhal beredt. Dass Regierungsvertreter in Washington ihn wegen des Attentats auf Dugina ermahnt haben, ist unbestreitbar.

Nachdem im April vergangenen Jahres der bekannte russische Kriegsblogger Wladlen Tatarski in einem Petersburger Café bei einer Explosion ums Leben kam, schossen die Spekulationen erst recht ins Kraut. Während Kiew erneut schwieg, verdächtigten russische Oppositionelle wie Alexei Nawalny den Moskauer Geheimdienst. Ganz abwegig ist diese Vermutung nicht, wenn wir bedenken, dass der Mordanschlag in einem Lokal verübt wurde, der dem Intimfeind des Kremlchefs Jewgeni Prigoschin gehörte, der bald zu einem Militärputsch aufrufen sollte. Man munkelte, es sei eine erste „Vorwarnung“ gewesen, die – wie wir heute wissen – der Wagner-Gründer zu seinem Bedauern überhören sollte.

Flügelkämpfe und Spott

Dugina und Tatarski waren Kriegspropagandisten, die zu der massenhaften Ermordung von Ukrainern aufgerufen haben. In Kiew wird ihnen kaum jemand eine Träne nachgeweint haben. Und im Kreml? Es mag verwunderlich sein, aber übereifrige russische Patrioten sind auch Putin ein Dorn im Auge. Ähnlich wie einst Prigoschin unterstützen sie Russlands Krieg gegen die Ukraine zwar vorbehaltlos, decken aber zugleich die Inkompetenz der kremlnahen Beamten auf, verspotten den Verteidigungsminister Sergei Schoigu.

Einer von ihnen ist der Schriftsteller und Putin-Verehrer Sachar Prilepin, der permanent beklagt, dass der Staat zu wenig die „Z-Kunst“ unterstütze oder dass keine Theaterstücke aufgeführt werden, in denen die „Heldentaten“ der russischen Streitkräfte besungen werden. Vor einigen Monaten schrieb er aus diesem Grund sogar einen offenen Brief an den Präsidenten.

Als Prilepin im Mai 2023 von einer Autobombe verletzt wurde, gerieten deshalb nicht nur die Kiewer Geheimdienste in Verdacht. Der 48-jährige „Z-Patriot“ ist in der Region Nischni Nowgorod haarscharf dem sicheren Tod entronnen, sein Fahrer starb noch im Wagen. Prilepin konnte sich rasch erholen, nur wenige Tage später veröffentlichte er wieder kriegsverherrlichende Propagandaschriften. Interessant: Kiew bekannte sich in diesem Fall recht schnell (wenn auch indirekt) zu dem mutmaßlichen Anschlag. „Der Tod ist die einzige Option, die wir rechtslosen Okkupanten anbieten können“, hieß es in einer Erklärung der SBU.

Das Bild eines von Flügelkämpfen geprägten russischen Staates ist für die ukrainischen Regierungsvertreter jedoch weitaus willkommener, weil es eine Destabilisierung des Putin-Lagers ankündigt, die den Krieg früher beenden könnte. Deshalb hielten sie sich bedeckt, als Russlands Generalstabschef Waleri Gerassimow vor einiger Zeit nur knapp einem Attentat entging. Die US-amerikanischen Nachrichtendienste haben von den Plänen der Ukrainer Wind bekommen und versuchten noch, sie davon abzuhalten. Doch es war zu spät: Bei dem Anschlag auf der annektierten Krim seien einige Gefolgsleute Gerassimows getötet worden, der Oberbefehlshaber selbst überlebte.

Dies war beim ehemaligen U-Boot-Kommandanten der Schwarzmeerflotte Stanislaw Rschitzki nicht der Fall. Der 42-jährige Russe ist Mitte letzten Jahres in der Stadt Krasnodar beim Joggen erschossen worden. Er war unter anderem für die Mobilmachung von Rekruten verantwortlich, jedoch auch für den Beschuss ukrainischer Städte und damit für den Tod vieler Zivilisten. Schnell wurden Gerüchte in Umlauf gesetzt, er sei von den eigenen Leuten eliminiert worden, weil er sich geweigert haben soll, die Befehle der russischen Militärregierung weiter auszuführen. Der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes Kyrylo Budanow dementierte eine Beteiligung an dem Attentat, schwieg jedoch, als westliche Medien ihn daran erinnerten, dass er kurz zuvor Rschitzki als Kriegsverbrecher bezeichnete, den man zur Verantwortung ziehen müsse.

Ähnlich ergeht es einigen Verrätern und Deserteuren, die sich für Moskau entschieden haben. Vor einigen Wochen wurde der ukrainische Überläufer Ilja Kiwa, der Wolodymyr Selenskyj für den Krieg verantwortlich machte, in der Nähe der russischen Hauptstadt aufgespürt und getötet. Diesmal bekannte sich der ukrainische Geheimdienst offen zu dem Anschlag. Mit gewaltigen Geheimdienstapparaten ringen Kiew und Moskau um eine Entscheidung im Krieg. Der Erfolg lässt auf sich warten.

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