Am Montagmorgen bot sich Lesern ungarischer Webseiten, die der Orbán-Partei Fidesz nahe stehen, ein seltsamer Anblick. Auf den Homepages von Nemzeti Sport („Nationaler Sport“), Metropol, Figyelő („Beobachter“), Szabadföld („Freies Land“), 888.hu und Mandiner war eine Warnung zu lesen: „Diese Website ist Teil der staatlichen Propagandamedien! Wir haben Ihnen die Wahrheit gebracht. Unabhängige Presse statt Propaganda! Hier können Sie erfahren, wie die Propagandamedien Sie täuschen!“
Danach waren diese Seiten für einige Zeit nicht mehr erreichbar. Laut der deutschsprachigen Website Ungarn heute gaben die Angreifer an, „Mitglieder der Gruppe Anonymous zu sein, obwohl noch nicht bekannt ist, ob die Gruppe tatsächlich hinter den Hacks steckt“. „Nach Angaben von RTL Klub“, so Ungarn heute weiter, „machten die Hacker schon am Sonntag ihre Absichten deutlich und argumentierten: „(…) Wir glauben, dass es in dieser Situation das einzig moralische ist, jegliche Unterstützung für Wladimir Putins Krieg zu beenden. Jedes Unternehmen oder Land, das Russland weiterhin unterstützt, unterstützt dessen Kriegsverbrechen und die Tötung unschuldiger Zivilisten in der Ukraine. (…) In der Zwischenzeit agieren die ungarische Regierung und Ministerpräsident Viktor Orbán weiterhin wie das trojanische Pferd des Kremls in Europa und blockieren jegliche Maßnahmen zur Unterstützung des ukrainischen Volkes und Sanktionen gegen Russland. Sie müssen selbst entscheiden, auf wessen Seite Sie stehen. Zögern Sie nicht, ob Sie Sanktionen verhängen wollen oder nicht. Zögern Sie nicht, ob Sie den Handel mit Russland einstellen sollen oder nicht. Es gibt keine Zeit zum Zögern. (…)“
Olaf Scholz hat vor Kurzem bei Anne Will erklärt, welche Bedeutung die nationalen Interessen haben. Nicht anders sieht das Ministerpräsident Viktor Orbán. Seine Haltung ist eindeutig, Ungarn hilft den Ukrainern und nimmt Flüchtlinge auf. Aber Ungarn wird alles unterlassen, wodurch das Land in den Krieg hineingezogen wird. Der ungarische Ministerpräsident sagte dazu am 27. März in Radio Kossuth: „In der Diskussion in Ungarn geht es darum, und diese läuft zwischen der Linken und der Regierung, nach welchen Grundsätzen man hier verfahren will. Müssen wir der Bitte der Ukrainer entsprechen oder müssen wir schauen, auf welche Weise wir so den Ukrainern helfen können, dass wir dabei nicht die ungarischen Interessen beschädigen? Zum Beispiel sollten wir uns nicht in den Krieg hineinziehen lassen, es soll kein einziger ungarischer Mensch in diesem Krieg sterben. Wir sollten unsere Wirtschaft nicht zerstören, doch sollten wir natürlich den Ukrainern helfen. Also sei die Alternative, die ich hier von Ferenc Gyurcsány oder irgendeinem anderen Chef der Linken gehört habe, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt, dass wir uns entweder moralisch selbst beschimpfen oder unsere Interessen auf dem Altar der ukrainischen Interessen opfern und das tun, was der ukrainische Präsident sagt.“ In der Frage der Sanktionen und der Schließung des Luftraums sind die deutsche und die ungarische Haltung übrigens sehr ähnlich.
Ungarn besitzt eine hohe Abhängigkeit von Gas- und Ölimporten. Deutschland übrigens auch. Deshalb formulierte Orbán sehr klar: „Unsere Gegner versuchen uns natürlich von dort wegzubewegen, uns dazu zu bringen, die nationalen Positionen aufzugeben, indem sie unsere Position negativ bewerten. Doch ist die ungarische Politik nicht ukrainefreundlich und nicht russenfreundlich, sondern es ist eine ungarnfreundliche Politik.“
Die ungarische Justizministerin, Judit Varga, kommentierte laut Ungarn heute den Hacker-Angriff in einem Facebook-Post wie folgt:
„Die weltberühmte linke Pressefreiheit wird hier manifestiert. Heutemorgen wurden mehrere ungarische rechtsgerichtete Nachrichten-Websites angegriffen und unzugänglich gemacht, nur weil sie es wagten, etwas anderes zu sagen als die internationalen liberalen Mainstream-Medien“. Es scheint, dass wir von dem Konzept ‚Ich missbillige, was du sagst, aber ich werde dein Recht, es zu sagen, bis zum Tod verteidigen‘ zu dem Dogma ‚Wenn du nicht auf unserer Seite bist, werden wir dich zum Schweigen bringen‘ übergegangen sind. Die Ministerin stellt die Frage, „ist es das, was uns erwartet, wenn die Linke am 3. April an die Macht kommt? Die Schließung von Websites und die Schikanierung von Journalisten?“