Tichys Einblick
„Inakzeptables Risiko“ und „Skandal“

Großbritannien: Regierung verbietet Pubertätsblocker für Minderjährige

Der britische Gesundheitsminister Wes Streeting hat verkündet: Pubertätsblocker sollen im gesamten Königreich auf unbestimmte Zeit verboten werden. Eine Studie soll aber weiterhin stattfinden, wogegen Bürger protestieren. Streeting positioniert sich zum zweiten Mal in auffälliger Weise.

IMAGO / Avalon.red

Es war ein Musterbeispiel dafür, wie eine Nachricht das eine und sein Gegenteil zugleich bedeuten kann. Am 29. Mai hatte die konservative Regierung unter Rishi Sunak Konsequenzen aus dem im April veröffentlichten Cass-Report gezogen und Pubertätsblocker im gesamten Königreich für Minderjährige verboten. Ein Anfang schien gemacht. Aber es gab eine Ausnahme: Im Rahmen einer klinischen Studie sollten die Hormonblocker auch in Zukunft zum Einsatz kommen können. Diese klinische Studie musste offenbar nur groß genug angelegt werden, um sehr viele Anwärter auch weiterhin mit Pubertätsblockern zu versorgen. Außerdem öffnet sie natürlich ein Fenster für eine mögliche neue Freigabe.

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Nun hat der aktuelle Labour-Gesundheitsminister Wes Streeting die Entscheidung der Vorgängerregierung bestätigt und befestigt: Die Verschreibung von Pubertätsblockern soll im gesamten Königreich auf unbestimmte Zeit verboten werden. Die schottische Regierung hat mitgeteilt, dass die Regelung auch für sie gelten werde. Wo es um junge Patienten gehe, müsse man mit besonderer Vorsicht vorgehen und „dem Rat der Experten folgen“, sagte Streeting. Die unabhängige Expertenkommission für Arzneimittel habe aber festgestellt, dass die „derzeitige Verschreibungs- und Behandlungspraxis“ bei Geschlechtsdysphorie „ein inakzeptables Sicherheitsrisiko für Kinder und Jugendliche darstellt“.

In den Jahren zuvor waren tausende minderjährige Patienten in der staatlichen Tavistock-Klinik mit den Blockern behandelt worden. Und die meisten von ihnen setzten ihren Kurs mit der Einnahme richtiggehender Geschlechtshormone und mit Operationen fort. Streeting nannte diese Vorgänge einen „Skandal“.

Eine Studie soll es noch geben

Dass diese Ministerworte noch eine Nachricht sind, belegt zunächst, dass der Kampf hinter den Partei-Kulissen noch nicht beendet ist. Innerhalb beider großen Parteien gibt es Befürworter beider Richtungen, nicht anders als bei dem parallelen Gesetzentwurf zum „assistierten Sterben“, der nach der zweiten Lesung nun in die Ausschussphase eingetreten ist.

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Auch nach der Entscheidung Streetings bleibt es bei der Ausnahme für mindestens eine klinische Studie, die schon im Januar beginnen soll, und zwar in Kliniken des nationalen Gesundheitssystems NHS. Man will es also noch einmal ausprobieren, obwohl längst klar scheint, dass die Wirkung von Pubertätsblockern eben nicht rückgängig gemacht werden kann. Das besagt ja schon die älteste Philosophie, die uns überliefert ist, und auch die Erfahrung: Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen, wusste schon Heraklit etwa 500 vor Christus.

Laut Streeting wissen wir heute noch immer „nicht, welche Risiken die Unterdrückung der Pubertätshormone in dieser kritischen Lebensphase birgt“. Pubertät als kritische Phase – diese Einschätzung hat Streeting mit den Transgender-Aktivisten gemein, die allerdings die normale, natürliche Entwicklung des menschlichen Körpers zur Gefahr für bestimmte Kinder stilisieren. Nur könnte die Gefahr ebenso von Hormongaben und Hormonblockern ausgehen.

Mehr Fronten für Starmer

Dr. Hilary Cass, die Autorin des genannten Reports, betrachtet Pubertätsblocker als „starke Medikamente mit unbewiesenem Nutzen und erheblichen Risiken“. Insofern unterstützt Cass die Einschränkungen für die Vergabe dieser weitgehend sinnfreien Präparate, auch wenn sie die Gabe „nach einer multidisziplinären Bewertung und im Rahmen eines Forschungsprotokolls“ akzeptieren würde. Das ist das Zugeständnis der Ärztin an die medizinische Forschung. Aber an sich möchte man als Laie schlicht sagen: Finger weg davon. Nichts ist gewonnen mit Dämmen gegen die biologische Entwicklung des eigenen Körpers.

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Wes Streeting hatte sich schon bei den ersten Abstimmungen zur Einführung der aktiven Sterbehilfe von Starmer distanziert und könnte so langfristig zu dessen Rivalen um die Macht werden. Streeting mochte die Freigabe des „assistierten Sterbens“ nach kanadischem Vorbild nicht mittragen und hat so zum ersten Mal den richtigen Instinkt bewiesen. Und so ließ er seine Beamten einmal die möglichen Kosten der geplanten Gesetzesänderung durchrechnen. Die waren enorm. Und wenn etwas für den Staat teuer wird, ist das auf der Insel immer ein gutes Argument.

Die Antwort seiner Gegenspieler, dass auch die Ausweitung der Sterbehilfe durch weniger Pflege Kosten senken würde, nannte Streeting ein „erkältendes Argument“, das einen Dammbruch („slippery slope“) darstellen könnte: „Ich würde es hassen, wenn sich Menschen für Sterbehilfe entscheiden würden, weil sie glauben, dass sie damit Geld sparen – sei es für die Angehörigen oder für den NHS.“

Keine Studie „kann ethischen Standard erreichen“

Derweil wird Premierminister Keir Starmer auch von Initiativen wie dem „Family Education Trust“ unter Druck gesetzt, die eine Absage an die Gründung von sechs neuen Gender-Kliniken im gesamten Königreich fordern. Man brauche „nicht noch mehr Gender-Kliniken“, vielmehr solle sich der NHS „mit den Ursachen der Geschlechtsdysphorie befassen, einschließlich psychischer Probleme, Autismus, sexuellem Missbrauch und Problemen innerhalb der Familie“, so Lucy Marsh vom Family Education Trust laut der Daily Mail. Es sei „nicht ‚nett‘, Kinder auf einen Weg zu führen, der zu irreversiblen Schäden führt und Familien zerstört“.

Damit kritisierte Marsh auch die geplante Studie zu Pubertätsblockern. Darum geht es auch Helen Joyce von der Wohltätigkeitsorganisation „Sex Matters“: „Wes Streeting hat Integrität und Mut bewiesen, indem er ein vorübergehendes Verbot durch eine unbefristete Anordnung ersetzt hat.“ Damit sei ein weiterer Schritt „getan, um Pubertätsblocker in ein beschämendes Kapitel der Geschichte zu verbannen, in dem Eltern und Gesundheitsexperten emotional erpresst wurden, um Kindern im Namen des ‚Fortschritts‘ zu schaden“. Nun müssten auch private Transgenderkliniken „unter strenger Beobachtung stehen“. Außerdem müsse Streeting die geplante NHS-Studie zu Pubertätsblockern absagen, weil keine Studie „den erforderlichen ethischen Standard erreichen kann“.

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