Mitte Juli konnte der griechische Minister für Asyl und Migration Notis Mitarakis zumindest einen Teilerfolg seiner Arbeit melden: Die irreguläre Migration nach Griechenland stelle heute nicht mehr dasselbe Problem dar wie noch vor kurzem. Auf der nach Rhodos zweitgrößten Ägäis-Insel Lesbos verbleiben heute noch rund 5.000 Asylbewerber. Einst war es ein Vielfaches. Dazu beigetragen haben laut Mitarakis sechs Strategien der Regierung, die er allerdings nicht genauer benannte.
Natürlich gehört auch die Abreise aufs Festland – und von da aus weiter – zu den Lösungsmitteln des Ministers. Das ist insofern nicht verwunderlich, als die wohlhabenden Staaten Nordwesteuropas mit ihren ausgebauten Sozialsystemen das eigentliche Ziel der Einwanderer darstellen.
Diese Bemühungen tragen in unterschiedlichem Maße Erfolg, auf den Inseln noch etwas besser als am Evros. Trotzdem wurde es dem zuständigen Minister jetzt wieder einmal zu viel. Angesichts von Vorwürfen aus verschiedenen Ecken, vor allem aus westlichen Medien, holte er zum medialen Gegenschlag aus und richtete einen Appell an wesentliche Akteure in der EU – darunter den stellvertretenden Kommissionschef Margaritis Schinas und Frontex-Chef Fabrice Leggeri, aber auch Innenkommissarin Ylva Johansson.
In seinem Brief verlangt Mitarakis, dass die Türkei sich endlich an die 2016 unterzeichnete gemeinsame Erklärung hält und die illegale Migration an ihren Grenzen ausreichend kontrolliert. Aktuelle Bilder aus dem Istanbuler Stadtteil Zeytinburnu und aus dem Badeort Cesme an der Westküste zeigen leider, dass genau das Gegenteil passiert: Man sieht Afghanen zuhauf, teils in Zelten oder unter freiem Himmel schlafend, teils in Tarnkleidung auf den Straßen der Stadt (s. Tweets am Ende des Artikels). Sie sind, wo sie sind, aufgrund einer völlig unkontrollierten Grenze im Osten des Landes. Bald werden sie vermutlich versuchen, in die EU zu gelangen. Im griechischen Migrationsministerium weiß man, dass die türkischen Behörden dabei systematisch wegschauen: »Die Türkei tut so, als sähe sie die Illegalen nicht.«
Derweil kann Zypern illegale Migrantenboote ganz regulär zurück in den Libanon eskortieren, wie RTL meldet. Das würden die Griechen in der Ägäis auch gern tun. Dass es nicht möglich ist, zeigt das ganze Scheitern der gemeinsamen Erklärung von EU und Türkei. Zypern hat ein bilaterales Abkommen mit dem Libanon abgeschlossen, das die Abweisung irregulärer Migranten ermöglicht. Das Land steht heute unter starkem Druck durch Migrantenzahlen, die die Kapazitäten der Inselrepublik bei weitem überschreiten.
Der ständig verrutschende Diskurs über die irreguläre Migration
Ungewöhnlich ist es also nicht, wenn Athen auf der Erfüllung der EU-Türkei-Erklärung von 2016 besteht. Auf der anderen Seite dürfte Notis Mitarakis der letzte sein, der Illusionen über die türkische Führung hegt. Man könnte seinen Appell daher vor allem symbolisch nennen. Denn die Rücknahme der knapp zweitausend irregulären Migranten durch die Türkei ist kaum zu erhoffen, wohl aber eine erneute Eichung des öffentlichen Diskurses über die EU-Außengrenzen. Der droht immer wieder von neuem zu verrutschen durch das Agieren und Agitieren von No-Borders-Aktivisten und ihren diffusen Verbündeten in Redaktionen und andernorts.
Der griechische Journalist nimmt bald auch das Leid der Illegalen in den Blick: Auf unsicheren Schlauchbooten würden sie auf das Meer ausfahren, nachdem man ihnen ihre letzte Habe abgenommen habe – obwohl die Schlepper doch auch von anderer Seite bezahlt würden. Gemeint sein kann eigentlich nur der türkische Staat, der ja als erster ein Interesse daran hat, die überzähligen Gäste wieder loszuwerden. Oder gibt es noch andere Geldgeber im Dunkeln?
Mitarakis: Schlepperringe müssen Rechenschaft ablegen
Angesichts solcher Berichte gab sich Mitarakis kämpferisch: »Griechenland will nicht das Einfallstor nach Europa für Schleppernetzwerke sein.« Illegale Einreisen seien »außerordentlich gefährlich«. Durch die Schlepperei würden solche Reisen ermutigt und erleichtert. Daraus folge wiederum die Ausbeutung durch kriminelle Gruppen – also die Schlepper selbst –, die endlich Rechenschaft für ihre Taten ablegen müssten. Diese Aussage müsste in ihrer Allgemeinheit jeden erschrecken, der irgendwie mit der Erleichterung der illegalen Migration zu tun hat.
Der Minister geht noch weiter ins Detail: Die gegen Griechenland erhobenen Vorwürfe seien »vollkommen unbegründet« und stützten sich auf Bildmaterial und Zeugenaussagen, die vom Abreiseland – also der Türkei – bereitgestellt würden. Diese angeblichen Beweismittel stammen also von einer der Konfliktparteien. Die türkischen Grenzer seien anscheinend mehr mit der Erstellung von Videos als mit dem Grenzschutz beschäftigt.
Dagegen kann Mitarakis keinerlei Verletzung der europäischen Grundrechte auf Seiten Griechenlands erkennen. Das hätten auch die zahlreichen Untersuchungen von Einzelfällen durch die EU ergeben. Im übrigen sei es wichtig, dass alle Mitgliedsländer der EU, aber auch die Kommission, Frontex und die neu entstandene EU-Asylbehörde EASO in diesen Fragen zusammenstünden und bei der Bewältigung der Migrationskrise zusammenarbeiten. Eine ziemlich lange Krise ist das, das ließe sich hier allenfalls einwenden.
Die Erklärung der Türkei zum sicheren Drittland zeigt erste Wirkungen
Doch für Mitarakis bleibt die Aufgabe seiner Regierung klar: »Griechenland hat sich zum Schutz seiner Landesgrenzen verpflichtet und wird damit fortfahren, so wie es die Verpflichtung jedes souveränen Staates ist, auch gemäß internationalem und EU-Recht.« So habe Griechenland gemäß der EU-Richtlinie zu den Seeaußengrenzen (Nr. 656/2014) jedes Recht, »derartige Ströme zu unterbrechen«.
Im Juni hat Athen die Türkei im Alleingang als sicheres Drittland klassifiziert. Die zuständigen Minister der konservativen Regierung haben verabredet, dass Einwanderer aus fünf mehrheitlich muslimischen Ländern – Somalia, Pakistan, Afghanistan, Syrien und Bangladesch – in der Türkei in Sicherheit seien. Und natürlich waren die europäischen Partner über die Entscheidung informiert. Ein hochrangiger Mitarbeiter des Migrationsministeriums erzählt, dass es zunächst keinen Widerstand bei den Partnern gegeben habe. Wohl aber gab es bald einzelne Stimmen, die sich um die Achtung der Menschenrechte sorgten.
Es ist wie immer bei solchen Fällen: Staatliche Behörden und berichtende Presse sind in vielem auf die Aussagen der Betroffenen selbst angewiesen. Doch die griechischen Behörden sahen trotz der erschwerenden Faktoren keinen Grund für Asyl, da die Familie über die Türkei, einem für sie sicheren Land, eingereist war. Im übrigen war die afghanische Familie dort zweimal von staatlichen Behörden aufgegriffen worden, wobei sie aber nicht über die Möglichkeit eines Asylantrags informiert wurden. Nur einen Zettel händigte man ihnen aus, der sie aufforderte, das Land zu verlassen. Das türkische Verhalten lässt viele Fragen offen. Fragen nach einem funktionierenden Grenzschutz in Ost und West, doch auch solche nach der Ordnung im Inneren.