Es wird interessant sein, welche langfristigen Reaktionen die Umwidmung des byzantinischen Kirchenbaus der Hagia Sophia im früheren Konstantinopel zur Moschee in der orthodoxen Welt, also vor allem in Griechenland und Russland haben wird. In Griechenland mobilisiert der Vorgang das Nationalgefühl vieler Griechen, für die Konstantinopel noch immer so etwas wie eine heilige Stätte des Griechentums, die ehemalige Hauptkirche der Stadt folglich ein verlorenes Nationalheiligtum ist. Die griechische Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou sprach von einem »provokativen Akt«, der die historische Erinnerung beleidigt und die Beziehungen der Türkei zur zivilisierten Welt vergiftet. Sicher scheint bereits jetzt, dass das nachbarschaftliche Verhältnis zwischen Griechenland und der Türkei dadurch weiter belastet wird. Regierungssprecher Stelios Petsas gab sich gewiss, dass man Sanktionen aussprechen werde.
In Russland pflegt man seit je ein ähnliches Bild von Staat und Kirche, das dort aber stärker realpolitisch unterfüttert ist. Für die Großmacht mit Flottenbasen am Schwarzen Meer war die freie Durchfahrt durch die Dardanellen immer ein wesentliches Element ihrer militärischen Strategie. Eben darum ist auch die entsetzte Reaktion des cäsaropapistisch mit dem Kreml verheirateten russisch-orthodoxen Patriarchats von besonderem Interesse. Erdogans Entscheidung könnte langfristig auch die Kluft zwischen Russland und der Türkei vergrößern. Und wer die Schritte Erdogans in den letzten Monaten beobachtet hat, weiß, dass sein Wohl und Wehe in Syrien und Libyen im Grunde von Putin abhängt. Der demütigende Besuch in Moskau auf dem Höhepunkt der Idlib-Krise hat das gezeigt.
Für Griechenland ist das Thema zweifellos eines von nationaler Bedeutung. Außenminister Dendias kündigte umfangreiche Initiativen in der EU, aber auch bei den Vereinten Nationen und deren Kulturorganisation UNESCO an. Am Montag will er das Thema in Brüssel besprechen und von den europäischen Partnern einen Katalog scharfer Maßnahmen fordern für den Fall, dass die Türkei die souveränen Rechte Griechenlands verletzt. Die Regierung Erdogan missachte die Geschichte seines Landes und die Regeln der internationalen Gemeinschaft. Auch das internationale Recht respektiere sie nicht, wie die Theorien über den türkischen Festlandsockel in Ägäis und östlichem Mittelmeer zeigen.
Wird der bald 1500 Jahre alte Bau intakt bleiben?
Premierminister Kyriakos Mitsotakis sagte, die Entscheidung werde nicht nur die Beziehungen der Türkei zu Griechenland, sondern auch zur EU und zur UNESCO beeinflussen. Konkrete Befürchtungen drehen sich – nicht nur in Griechenland – darum, ob die Türkei das geschichtlich gewordene Sosein des Monuments respektieren oder durch bauliche Maßnahmen eine Vereindeutigung hin zur Moschee vornehmen wird. Beispiele dafür existieren bereits in anderen ehemaligen Kirchen am Bosporus.
Eine Zerstörung des geschichtlich einmaligen Monuments Hagia Sophia darf es nicht geben. Denn was die Plünderungen der Lateiner (bei der Eroberung im Jahre 1204) und die Zerstörungen nach der endgültigen Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahre 1453 überstanden hat, bildet ein einzigartiges kulturelles Erbe – etwa die Mosaiken, die Christus als Pantokrator oder mit der Muttergottes zeigen und auch einige seltene Portraits byzantinischer Kaiser enthalten.
Laut der türkischen Zeitung Hürriyet sollen die Mosaiken in Zukunft während der islamischen Gebete verhängt oder überstrahlt werden, damit nicht figurative Darstellungen die Konzentration auf den undarstellbaren Gott behindern. Kunstkonservatoren sträuben sich die Haare angesichts solcher Maßnahmen, die durch resultierende Feuchtigkeit und Lichtintensität die Mosaike schädigen könnten.
Griechenland will alles tun, damit Erdogans Handeln für ihn Konsequenzen hat. Dass dieselben aber über eine UNESCO-Strafaktion wegen der (möglichen) Verschandelung eines Weltkulturerbes hinausgehen, ist unwahrscheinlich. Die EU vertritt wohl die Wirtschaftsinteressen ihrer Mitglieder in der Ostägäis, steht auch in Sachen Grenzschutz noch an der Seite der Griechen, doch wird sie wohl kaum das kulturelle Erbe des Griechentums im Nicht-EU-Ausland mit Sanktionen verteidigen.
Schwer ist es, wider den Stachel zu löcken
Aus den USA melden sich Senatoren der beiden großen Parteien und das State Department mit kritischen Kommentaren. Sie argumentieren allerdings nur mit einem »gemeinsamen Welterbe«, wo man die ursprüngliche Beziehung des Baus zum Christentum hervorheben müsste. Der Erzbischof von Amerika, Elpidophoros, sprach von »religiösem Fanatismus« und befürchtet negative Auswirkungen auf die Beziehungen der Türkei zu dem in Konstantinopel sitzenden Ökumenischen Patriarchat und zu anderen christlichen Minderheiten in der Türkei, also beispielsweise den Armeniern. Erdogans Entscheidung zeige daneben nur Kleinmut und Intoleranz. Das Fenster zur westlichen Welt, das Mustafa Kemal einst geöffnet habe, hätte Erdogan so geschlossen.
Der Erzbischof Hieronymos von Athen, Oberhaupt der autokephalen griechischen Kirche, hatte noch vor einer Woche geglaubt, dass es nicht so weit kommen würde. Nun spricht er von einer »Instrumentalisierung der Religion für die Erreichung geopolitischer und geostrategischer Ziele«, von Beleidigung und Hochmut, die nicht allein die Orthodoxie oder die Christenheit, sondern die gesamte zivilisierte Menschheit beträfen. Es sei schwer, wider den Stachel zu löcken (Apostelgeschichte 26, 14). Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios war schon im Vorhinein etwas vorsichtiger gewesen und hatte Erdogan gewarnt, mit der Umwidmung der Hagia Sophia würde er Christen aus aller Welt gegen sich aufbringen.
In Thessaloniki versammelten sich Gläubige vor der dortigen Hagia Sophia, die dem großen Vorbild nachempfunden ist, und riefen die Parolen: »Wir werden Kerzen anzünden in der Hagia Sophia.« Und: »Ob mit Kreuz oder ohne, die Hagia Sophia bleibt der Thron von Byzanz.« In Griechenland werden die meisten verbliebenen osmanischen Moscheen als Museen genutzt, auch wenn das der türkischen Presse nicht immer gefällt. Gänzlich absurd ist dabei der Verweis auf die römische Rotonda in Thessaloniki, aus der die osmanischen Eroberer die Sultan-Hortac-Moschee gemacht hatten und die noch heute als Denkmal (samt Minarett) an ihre vielfältige Geschichte erinnert.
Doch inzwischen werden auch Stimmen laut, die Vergeltung für die Entscheidung Erdogans verlangen. So fordert man, das Geburtshaus von Mustafa Kemal »Atatürk« in Thessaloniki in eine Gedenkstätte für den Genozid an den Pontos-Griechen zu verwandeln. Der Bau neuer Moscheen solle gestoppt, bestehende geschlossen werden. Trotz aller Zeichen der Toleranz sind viele Griechen bereit, zu reagieren, wenn es um eine »Islamisierung« ihres Landes geht. Diese Bereitschaft dürfte durch die jüngste Entscheidung der Türkei gestärkt worden sein.