Tichys Einblick
Migranten als Druckmittel

„Die Bilder an der polnischen Grenze werden bereits instrumentalisiert“

Heiko Teggatz, Vorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft, fordert temporäre Kontrollen an der deutsch-polnischen Grenze. Grund ist die vom weißrussischen Staatschef Lukaschenko ausgelöste Migrationswelle. Wie bewertet man die Lage in Polen – und das Verhalten Deutschlands und der EU? TE sprach mit der polnischen Journalistin Aleksandra Rybińska.

IMAGO / NurPhoto

Bundesinnenminister Horst Seehofer hat eine engere Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen in Aussicht gestellt. Grund dafür ist die neue Migrationsroute, die sich über Weißrussland nach Europa gebildet hat und die EU-Außengrenze unter Druck setzt. In Weißrussland finde eine „staatlich organisierte oder zumindest staatlich unterstützte Schleusertätigkeit“ statt. Staatschef Alexander Lukaschenko bediene sich einer Form der „hybriden Bedrohung“, indem Migranten als politische Waffe eingesetzt würden. Der Innenminister stellte mehr gemeinsame Patrouillen an der deutsch-polnischen Grenze in Aussicht. Die Grenzgänger sollten identifiziert und Straftaten, die im Zusammenhang mit Migration stünden, aufgedeckt werden. Seinem polnischen Amtskollegen Mariusz Kamiński habe Seehofer einen Brief geschrieben.

Deutsch-polnische Grenze
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Damit reagierte Seehofer auch auf einen Brief des Vorsitzenden der Bundespolizeigewerkschaft Heiko Teggatz. Teggatz hatte am Montag „temporäre Kontrollen“ an der deutsch-polnischen Grenze gefordert. Nur damit könne man einem „Kollaps“ wie 2015 vorbeugen. Die Zahl der Aufgriffe an der Grenze stiege „explosionsartig“ an. Zuvor hatten mehrere EU-Mitgliedsstaaten „physische Barrieren“ an der EU-Außengrenze aufgrund der steigenden, illegalen Einwanderung gefordert. Darin tauchte ebenfalls die Warnung vor hybriden Attacken eines Drittlandes auf. Außenminister Heiko Maas hatte angesichts des weißrussischen Modells, großzügige Visa an Migranten auszustellen und diese per Staatslinie nach Minsk zu fliegen, am Montag gewarnt: „Wir sind nicht länger bereit zuzusehen, dass es auch Unternehmen gibt wie Fluggesellschaften, die damit auch noch Geld verdienen.“ Maas forderte weitere Sanktionen. Lukaschenko sei „nichts anderes als der Chef eines staatlichen Schleuserrings“.

In einem Gespräch mit dem Nachrichtensender Phoenix betonte Teggatz, dass bei temporären Grenzkontrollen niemand zurückgewiesen werde. Wer bei stationären Grenzkontrollen ein Schutzersuchen äußere, der werde „natürlich rechtsstaatlich behandelt“ und in eine Aufnahmeeinrichtung verbracht. Der Vorteil liege in der Erfassung. Im anschließenden Verfahren könne darauf hingewiesen werden, dass der Aufgegriffene aus einem sicheren Drittland eingereist sei. Seehofer bestätigte diese Vorgehensweise auf der Pressekonferenz am Mittwoch. Zudem würden zusätzliche Sanktionen gegen Minsk erwogen. Eine gemeinsame Lösung sei nur mit der EU möglich.

TE sprach deswegen mit der prominenten polnischen Journalistin Aleksandra Rybińska. Die studierte Politologin ist Expertin des polnischen Thinktanks „Warsaw Institute“ und berichtet unter anderem für das Nachrichtenportal wPolityce, den Nachrichtensender WPolsce und das Wochenmagazin Tygodnik Sieci. Die konservative Publizistin war in der Vergangenheit Ansprechpartner und Talkgast in verschiedenen deutschen Sendungen und galt als die polnische Stimme im deutschen Fernsehen, bis sie mit ihrer Kritik an Angela Merkel und der deutschen Migrationspolitik in Ungnade fiel.

TE: Wie nimmt man in Polen das bisherige Desinteresse Deutschlands in dieser Sache wahr?

Aleksandra Rybińska: Man kann nicht wirklich von Desinteresse sprechen. Zumindest zu diesem Zeitpunkt. Die Anzahl der Migranten, die nach Deutschland gelangen, ist so stark angestiegen, dass die deutsche Regierung offensichtlich keine Wahl mehr hat und handeln muss. Innenminister Horst Seehofer hat angekündigt, dass er beim Grenzschutz mit Polen zusammenarbeiten will. Wie das in der Praxis aussehen soll, ist noch nicht ganz klar. Wir wissen nur, dass die gemeinsamen Streifen verstärkt werden sollen. Grenzkontrollen an der deutsch-polnischen Grenze soll es aber nach wie vor nicht geben.

Lukaschenko versucht mit seiner „Schleuserpolitik“ Druck auf die ostmitteleuropäischen Länder und die EU als Ganzes auszuüben. Wie viel Erfolg hat er damit? Und wie gut kann Polen seine Grenze schützen?

Ich kann nicht für alle ostmitteleuropäischen Länder sprechen, da ich die innenpolitische Lage dort nicht gut genug kenne. Aber im Falle Polens ist diese Strategie recht erfolgreich. Seit Beginn der Krise an der Grenze herrscht Streit in der polnischen Politik über den Umgang mit den Migranten. Die polnische Opposition versucht, aus der Situation politischen Profit zu ziehen, und beschuldigt die Regierung der Recht und Gerechtigkeit eines „Mangels an Humanismus”, die linksliberale „Gazeta Wyborcza” übernimmt kritiklos die weißrussische Propaganda, die die polnische Regierung bezichtigt, Migranten illegal wieder über die Grenze zu „schieben” (illegale Pushbacks) oder sie gar im Grenzstreifen erfrieren zu lassen, obwohl die Migranten sich auf weißrussischer Seite befinden und die polnischen Grenzsoldaten gar keinen Zugang zu diesen Personen haben. Lukaschenko hat auch einen polnischen Hilfskonvoi mit Lebensmitteln und anderen Gütern für die Migranten nicht ins Land gelassen. Kurzgefasst: Linke und liberale Oppositionspolitiker haben einen solchen Zirkus im Grenzstreifen veranstaltet (herumlaufen mit Pizza und Schlafsäcken, Versuche, die Grenze nach Weißrussland illegal zu überqueren, Flucht vor Grenzsoldaten, die sie über die Wiesen gejagt haben), dass die Regierung an der Grenze den Ausnahmezustand eingeführt hat. Dazu kommen linke Aktivisten von Organisationen, die sich mit „Flüchtlingshilfe” befassen und Fakenews verbreiten, sodass eine normale Debatte zu dem Thema nicht mehr möglich ist. Wenn es Lukaschenko also um innere Destabilisierung ging, hat er sein Ziel, zumindest teilweise, erreicht. Dank der nützlichen Idioten unserer Opposition.

vorrangig aus dem Irak, Syrien, Jemen
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Die polnisch-weißrussische Grenze ist fast 400 km lang und es ist unmöglich, sie vollständig zu überwachen. Das sind dichte Wälder, Sümpfe, schwieriges Terrain. Die polnische Regierung plant einen verstärkten Grenzzaun zu errichten. Bisher ist da niedriger Stacheldraht (130 km lang), der aber leicht überwunden werden kann, und 2.5 Meter hohe Absperrungen (Zaun) mit zusätzlichen drei Schichten Stacheldraht (Concertina), auf 90 km Länge. Der Bau begann Ende August. Der neue Grenzzaun wird um die 2 Milliarden Zloty kosten. Es sollen zuerst 150 km Zaun entstehen und dann in einer zweiten Phase 97 km. Verstärkt mit Stacheldraht.

Der polnische Grenzschutz wird von etwa 2.000 Soldaten der Armee unterstützt. Die Frontex Agentur, obwohl sie ihren Sitz in Warschau hat, hat keine eigenen Funktionäre, die sie an die Grenze schicken kann. Laut unserer Regierung wird Frontex erst 2027 vollständig operationsfähig sein und befindet sich im Augenblick im Aufbau. Wenn sie also helfen wollte, müsste sie Grenzsoldaten aus anderen europäischen Ländern zu Hilfe ziehen.

Mehrere EU-Mitgliedsstaaten haben in einem Brief an die EU-Kommission „physische Grenzen“ an der gemeinsamen Außengrenze gefordert, die zudem von der EU finanziert werden sollen. Ist das nicht vergebene Liebesmüh? Was kann Warschau von Brüssel erwarten?

Polen kann es sich durchaus leisten, einen Grenzzaun zu errichten und den aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Es gibt Parteien in Polen wie die Bauernpartei (PSL), die der Meinung sind, Brüssel sollte bei der Errichtung eines solchen Grenzzauns helfen und ihn auch finanzieren, aber solche Pläne gibt es, soweit ich weiß, bisher nicht. Dagegen haben wir viele Solidaritätsbekundungen, von der EU-Kommission und dem EU-Parlament, unter anderem.

Welche Rolle spielen die Spannungen zwischen Polen und der EU in diesem Konflikt? Haben Sie die Befürchtung, die Medien könnten die „unschönen Bilder“ an der polnisch-weißrussischen Grenze instrumentalisieren?

Zur Mehrheit fehlen nur zwei
Zwölf EU-Staaten fordern Mauern an der Außengrenze
Die Bilder werden bereits instrumentalisiert, ganz ähnlich wie während der Flüchtlingskrise 2015. Fakenews machen die Runde, mit falschen Fotos versehen, auf denen zum Beispiel bosnische Kinder aus Zeiten des Krieges im ehemaligen Jugoslawien zu sehen sind. „Aktivisten” reisen in „Flüchtlingsunterkünfte” an der Grenze, wo sie Kindern über den Zaun hinweg Bonbons zuwerfen und das filmen. Es wird dabei völlig ausgeklammert, dass die Migranten oft Tausende von Euro bezahlt haben für die Fahrt nach Weißrussland, mit Bussen an die Grenze gekarrt werden und alle ein Aufenthaltsvisum von Lukaschenka erhalten haben. In den letzten Tagen hat Lukaschenko sogar einige Hundert wieder deportiert – die Zahl soll ja überschaubar und kontrollierbar bleiben. Im Augenblick sind in Weißrussland noch etwa 15.000 Migranten, die fast alle nach Deutschland wollen. Polen wird von der europäischen Presse kritisiert, gar angegriffen, mit dem Argument, die „rechts-nationale” Regierung würde sich nicht um die Migranten kümmern (das ist nicht wahr, alle die in Polen aufgegriffen wurden, wurden in Unterkünfte gebracht und werden versorgt), deren Schicksal ihr egal sei. Ähnliche Argumente kommen auch von der EU-Kommission.

Ist mit dem Winter ein Abebben des Zustroms zu erwarten, ähnlich wie bei der Mittelmeerroute?

Ja und nein. Es gab schon einige Todesfälle im Grenzstreifen auf weißrussischer Seite und das wurde propaganda-technisch vom Regime in Minsk ausgeschlachtet. Ich bin mir sicher, Lukaschenko hätte nichts gegen ein paar Todesfälle mehr. Das würde den Druck auf Warschau erhöhen und somit auf die EU. Diese Menschen sind dem weißrussischen Diktator völlig egal, sie werden instrumentalisiert für seine politischen Ziele. Einige von ihnen kommen übrigens direkt aus Russland, wo sie vorher gelebt haben. Hinter Minsk, da bin ich mir absolut sicher, steht in diesem Falle auch Moskau. Es ist ein hybrider Krieg, der da geführt wird, und selbst wenn die Migrantenzahl im Winter sinken wird, wird Minsk versuchen, den Druck aufrechtzuerhalten, auch wenn es Menschenleben kostet. Auf der einen Seite Migranten, auf der anderen Seite eine radikale Erhöhung des Gaspreises vor dem Winter – das ist sicher kein Zufall. Der Druck kommt aus Minsk und Moskau, und Europa in seiner Dummheit (Nord Stream 2) zahlt den Preis.

Vielen Dank für das Gespräch.

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