Selbstverständlich prangt das Logo des Globe Theatre London heuer in Regenbogenfarben. Dennoch lässt der Warnhinweis auf der Homepage ungetrübtes Theatervergnügen vermuten, perfekt für einen lauen Sommerabend: Shakespeares Midsummer Night’s Dream enthalte gewalttätige, ableistische, misogyne und rassistische Sprache und zudem Szenen sexueller Natur. Das klingt doch ganz gut. Ohne eine Warnung vor werkverzerrender Wokeness geht der Zuschauer also von einer ideologiefreien und unverbogenen Vorstellung aus – eine Hoffnung, die Elle Whiles Inszenierung durchkreuzt.
Wenn das Motto Diversität ist, dann darf sich diese keinesfalls in Hautfarben und Geschlechtsidentitäten erschöpfen. Zum ethnisch moderat diversen Cast und einigen They-Pronomina in den Künstlerbiographien trat daher mit Francesca Mills eine kleinwüchsige Schauspielerin als Hermia auf. Wer mit der Handlung des Werkes vertraut ist, ahnt sogleich Übles – denn im Zuge des Zwists zwischen den beiden Hauptakteurinnen Hermia und Helena beschimpfen sich diese gegenseitig: Während Helena als die offenbar höhergewachsene als „Maypole“ – Maibaum – bezeichnet wird, piesackt diese Hermia mit dem Hinweis auf ihre geringe Körpergröße: „Though she be but little she is fierce“, lautet ein bekannter Vers des Werkes.
Der Sinn dieser Zänkerei ist, sich über den Kampf zwischen zwei Frauen zu amüsieren, nicht, kleinwüchsige Menschen zu verspotten. Die harmlose Beschimpfung so zu interpretieren, wirkt äußerst mühsam. In Michael Hoffmans Verfilmung von 1999 artet sie in eine Slapstick-artige Schlammschlacht aus. Hier dagegen wird Shakespeare die Diffamierung Kleinwüchsiger unterstellt, der er sich im Originalwerk gar nicht schuldig macht – dem Zuschauer wird der Lacher genommen: Wer würde es wagen, eine Kleinwüchsige lauthals auszulachen? Stattdessen beklommene, schuldbewusste Stille, als sich Hermia bei Helena über die Beleidigung beschwert. Ja, auch wir sind ableistisch, nostra maxima culpa, scheint es wortlos aus den Rängen zu schallen. Keine Unterhaltung, sondern Gottesdienst, der dem Gott der Wokeness gilt: Wir bekennen unsere Schuld.
Dieses Auseinanderdriften von beabsichtigter und tatsächlicher Wirkung ist symptomatisch für die woke Agenda: Mit #Metoo will man Frauen eine Stimme geben – und setzt echte Opfer dem Misstrauen der Öffentlichkeit aus. Mit Critical Race Theory wird Rassismus „bekämpft“, indem man rassistische Motive bedient und untermauert. Mit der Regenbogenflagge will man zeigen, dass unterschiedliche Lebensmodelle und Identitäten in die Mitte der Gesellschaft gehören, und schreckt doch gerade jene Homosexuellen ab, die tatsächlich einfach nur normal leben wollen, abseits von grotesken Fetischen und ausufernder Vulgarität. Diese Liste ließe sich fortführen, und die aktuelle Inszenierung des Mittsommernachtstraums im Globe fügt sich hier nahtlos ein.
Noch folgenreicher ist die Entscheidung, nicht nur genderfluid zu besetzen, sondern Gender im Stück zu implementieren: Nick Bottom wird nicht nur durch die Schauspielerin Mariah Gale dargestellt – eine mit historischen Konventionen vereinbare Besetzung, da damals Usus war, sämtliche Rollen von Männern spielen zu lassen –, sondern als Frau, inklusive der Anpassung der Pronomen des Originaltextes an eine weibliche Figur.
Mit dieser Entscheidung stolpern die Dramaturgen ein weiteres Mal über das Bein, das sie sich selbst gestellt haben. Was bleibt übrig von der gefährlich-komisch-absurden erotischen Spannung zwischen einer Elfenkönigin und dem in einen Esel verwandelten Bottom, wenn dieser eine Eselin ist und hier einfach nur zwei Frauen übereinander rollen und einander kraulen (so viel zum eher enttäuschenden Level von „Szenen sexueller Natur“, für die es doch extra einen Disclaimer gegeben hatte)? Mehr noch: Die Übergriffigkeit Oberons, der diesen Zauber wirkt, um seine Frau zu strafen, wirkt völlig harmlos. Titania steht nun nicht mehr in der Zange zwischen einem gewissenlosen Elfenkönig und einem flegelhaften Gecken. Oberons Mitleid mit ihr wirkt nicht mehr glaubwürdig. Die Regieentscheidung eliminiert potenziell gegen männlichen Machtmissbrauch gerichtete Kritik.
Sicher: Shakespeares Genius, sein zeitloser Witz, seine Frische, scheinen auch durch eine ideologisierte Inszenierung hindurch. Umso bitterer, hat man doch beständig vor Augen, was hier verschenkt wird: niedrigschwelliges, relevantes, existenzielles Theater.
Diese Inszenierung steht symptomatisch für den Versuch, unser eigenes Kulturgut zu entwurzeln, aus jedem Kontext zu reißen. Der Zuschauer wird seinem kulturellen Erbe entfremdet. Er bleibt mit dem Eindruck zurück, dass ihm der Zugriff auf die in diesem Erbe enthaltenen Werte, Bedeutungsebenen und Inhalte verwehrt wird. Im Milieu der Shakespeare-Liebhaber wird es noch eine geraume Zeit lang genügend Menschen geben, die um der Atmosphäre willen auch solches Theater auf sich nehmen, um das herauszusieben, was noch wahrhaftig ist. Mittel- und langfristig aber verspielt Theater, das derart arrogant an der Mehrheit der Menschen vorbeiinszeniert, und gegen das Werk ideologische Befindlichkeiten bedient, seine Relevanz.