Tichys Einblick
Migration

Bürgermeisterin ruft „Gesundheitsnotstand“ aus: Washington D.C. ist überfordert

Die Republikaner aus dem Süden der USA protestieren gegen den unzureichenden US-Grenzschutz – die Demokraten im Norden wollen nichts mit den Strömen zu tun haben. Ein (fast) allgemeingültiges Sittenbild.

IMAGO / Panthermedia

Man könnte auch verwirrt sein. „Der Gouverneur von Washington gibt seine Notstandsbefugnisse schließlich auf.“ – „Die Bürgermeisterin von Washington erklärt den öffentlichen Notstand.“ Es sind die Nachrichten zweier aufeinanderfolgender Tage. Die Rede ist einerseits vom auslaufenden Covid-Notstand im Staate Washington (an der amerikanischen Westküste), andererseits von einem neuen Notstand an der Ostküste, in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten.

Die Bürgermeisterin von Washington D.C., die Demokratin Muriel Bowser, hat am Donnerstag einen öffentlichen Notstand wegen der hohen Zahl ankommender Migranten ausgerufen. Seit dem April erreichen immer mehr illegale Zuwanderer die Hauptstadt. Sie werden in Bussen aus den Grenzstaaten Arizona und Texas in den Norden gefahren und das durchaus absichtlich – um ein Zeichen zu setzen und gegen die lockere Grenzpolitik der Biden-Regierung zu protestieren. Bald 300 Busse mit mehr als 10.000 illegalen Migranten erreichten so schon Washington D.C. und die Stadt New York.

Der Notstand, den Bowser nun ausrief, wird laut der Texas Tribune allerdings auch als „Gesundheitsnotstand“ etikettiert. Es gehe um einen „Rahmen“, welcher der öffentlichen Verwaltung eine „koordinierte Antwort zusammen mit unseren Partnern“ erlaubt. Man müsse die Busse in Empfang nehmen und, da die allermeisten Migranten weiterreisen würden, sei das Hauptziel, einen „humanen, effizienten Willkommensprozess“ zu organisieren, der es den Menschen erlaubt, zu ihrem „finalen Ziel“ zu gelangen.

„Wir bleiben unseren D.C.-Werten treu“, behauptete Bowser in einer Stellungnahme. Aber gibt es noch eine zweideutigere, fragwürdigere Politikersprache als diese? Man könnte sie mit den Reden der Berliner Politik angesichts der Ukraine-Flüchtlinge vergleichen: ein großes Willkommen, aber bitte auch bald wieder gute Weiterreise zur „final destination“ in deutschen bzw. US-Kommunen.

„Offene Grenzen“ ja, Migranten in der eigenen Nachbarschaft nein

Diese „final destinations“ gibt es übrigens auch anderswo: In Chicago wurden die Migranten unversehens in einem Vorort einquartiert, ohne dass die lokalen Autoritäten informiert worden wären. Auch Chicagos linke Bürgermeisterin, Lori Lightfoot, beklagte sich über die „Handlungen des Gouverneurs von Texas“. Washington D.C. ebenso wie Chicago sind übrigens Zufluchtsstädte (sanctuary cities) und begrenzen als solche die Zusammenarbeit mit föderalen Behörden zum Zweck der Abschiebung von illegalen Migranten – mit anderen Worten, sie betrachten sich als Zufluchtsstätten für Migranten aller Art. Behauptungen, Lori Lightfoot plane eine Mauer um Chicago, um die Busse ab- und Kriminalität aus Chicago fernzuhalten, sind allerdings reine Satire.

Im Verlauf des letzten Monats hatte Bowser zweimal vergebens um die Aktivierung der Nationalgarde angefragt. Das Verteidigungsministerium verweigerte dies. So viel Aufhebens will man im Pentagon offenbar nicht um die Affäre machen. Die Bürgermeisterin hat inzwischen ein „Büro für Migrantenservices“ eröffnet, das für die Versorgung der Ankommenden zuständig ist. Die Anfangskosten von zehn Millionen Dollar möchte Bowser gerne aus einem föderalen Topf zur Notstandsfinanzierung zurückhaben. Und das dürfte auch der tiefere Grund für die Ausrufung dieses neuerlichen „Gesundheitsnotstands“ gewesen sein. Es handelt sich um nichts anderes als ein äußerlich aufgeklebtes Etikett, um willkürliches Verwaltungshandeln zu rechtfertigen.

Kritiker bemerken, dass die US-Demokraten „nie mit den Konsequenzen ihrer eigenen Politik“ leben wollen: „Sie wollen offene Grenzen, aber keine illegalen Migranten in ihren Nachbarschaften. … Sie wollen Polizeimittel streichen, aber ihre eigene Sicherheit erhalten.“

Mehr als zwei Millionen illegale Grenzübertritte im laufenden Jahr

Ranae Eze, die Pressesprecherin des texanischen Gouverneurs, beschied die Washingtoner Bürgermeisterin: „In einer Stadt mit einer Bevölkerung von 700.000, ruft sie einen Notstand aus wegen etwas mehr als 7.900 Migranten, die in ihre Zufluchtsstadt gefahren werden.“ Das entspreche etwa einem Prozent der Einwohnerzahl. „Der wahre Notstand besteht an den südlichen Grenzen der Nation, wo kleine texanische Grenzstädte von hunderten Migranten täglich überrannt und überwältigt werden – nicht in der Hauptstadt.“ Die Biden-Regierung sei dafür verantwortlich, dass die Migranten in texanischen Gemeinden „abgeladen“ werden.

Bowser solle ihren Parteifreund Joe Biden anrufen und ihn auffordern, seine Arbeit zu tun und „die Grenze zu sichern“ – was der Präsident beharrlich verfehle. Die Einladung des texanischen Gouverneurs Greg Abboot an Bowser stehe: Sie könne sich die Krise mit eigenen Augen ansehen.

Ezes Beschreibung der Lage in den Grenzorten scheint dabei keineswegs übertrieben. Selbst auf der linksliberalen Nachrichten-Website von CNN werden die Zeltstädte gezeigt, die in Orten an der US-Grenze entstehen. Laut der konservativen Website The Post Millennial wurden im laufenden Jahr bereits mehr als zwei Millionen illegale Grenzübertritte an der Südgrenze festgestellt. Tausende kommen jede Woche an. 748 Menschen seien beim Versuch des Grenzübertritts ums Leben gekommen. Im gesamten Jahr 2021 waren 557 Opfer verzeichnet worden.

Die texanischen Busreisen in den Norden schlagen übrigens ebenfalls mit über zwölf Millionen Dollar zu Buche. Doch auch sie sind nur das Symptom einer insgesamt verfahrenen Lage, die längst die Aufmerksamkeit des föderalen Washingtons verdient.

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