Tichys Einblick
Die BBC sieht schwarz

Geschichtsklitterung im britischen Staatsfernsehen

Großbritanniens staatliche Medienanstalt entdeckt gerade ein neues Betätigungsfeld: Historische Tatsachen werden an ideologische Vorgaben angepasst. In einer BBC-Produktion über das Jahr 1066 wird so getan, als habe es damals viele dunkelhäutige Menschen auf der Insel gegeben. Spoiler: Gab es nicht.

IMAGO

Fiktion ist Fiktion, so viel ist mal sicher, und da ist alles erlaubt. Bei „Alice im Wunderland“ können Hasen sprechen, bei „Herr der Ringe“ können Zauberer auf Adlern fliegen. Die Kunst setzt dem Erfindergeist keine Grenzen, Gott sei’s gedankt.

Freiheit im Kopf war schon den englischen Puritanern unheimlich. Das begann im 16. Jahrhundert. Etwas später, unter dem Zwangsneurotiker Oliver Cromwell, wurde daraus eine maximal intolerante, lustfeindliche und freudlose Militärdiktatur. Von der hatten die Leute irgendwann einfach die Nase voll, und dann war der Spuk wieder vorbei.

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Die heutigen Wiedergänger der Puritaner sind nicht nur so lustfeindlich und freudlos wie ihre ideologischen Vorfahren, sondern auch mindestens so intolerant. Vor allem, wenn es um ihre quasi-religiösen Glaubenssätze geht, verstehen sie überhaupt keinen Spaß. Eines ihrer wichtigsten Axiome ist die Behauptung, dass Minderheiten in unserer Gesellschaft überall und in jedem Winkel „systemischer Diskriminierung“ ausgesetzt seien.

Diese angeblich allgegenwärtige Intoleranz bekämpfen die Neo-Puritaner mit – nun ja, mit Intoleranz. Und wie vor 500 Jahren, so ist auch heute wieder die Kunst ein bevorzugtes Ziel ihres Kampfes.

Um angeblich diskriminierte Minderheiten zu beschützen, verlangen die neo-puritanischen Echokammern deren massive Förderung. Daher kommt zum Beispiel der Satz in Stellenausschreibungen, dass Bewerbungen von Behinderten bevorzugt behandelt werden. Das Konzept hat inzwischen allerdings seltsame Blüten getrieben, weil es auf Gruppen ausgeweitet wurde, die man nun beim besten Willen nicht als gesellschaftliche Minderheit bezeichnen kann – Frauen zum Beispiel. Aber auch sie (die in Deutschland die Bevölkerungsmehrheit haben) sind der Sage nach „systemisch diskriminiert“ und brauchen deshalb besondere Förderung – wobei damit immer Bevorzugung gegenüber allen anderen gemeint ist.

In der Kunst führt dieser ganze Ansatz zu der recht skurrilen Debatte darüber, welche Schauspieler im Kino welche Rollen spielen dürfen.

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Exemplarisch dafür steht die heftige Kritik am britischen Mimen Eddie Redmayne. Der geriet ins Visier der Neo-Puritaner, weil er im Film „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ den schwerbehinderten, quasi bewegungsunfähig an den Rollstuhl gefesselten Physiker Stephen Hawking darstellte (und dafür einen Oscar gewann). Behindertengruppen warfen dem Film allen Ernstes vor, dass Hawking nicht von einem Schauspieler verkörpert wurde, der tatsächlich auch im richtigen Leben an derselben Krankheit litt wie der Wissenschaftler.

Der Film war ein sogenanntes „Biopic“, also quasi eine Verfilmung von Hawkings Biografie. Nun war der Mann bis zu seinem 21. Lebensjahr kerngesund und saß erst mit 26 im Rollstuhl. Die Frage drängt sich auf, wie dieses erste Vierteljahrhundert in Hawkings Leben von einem real Rollstuhl fahrenden Schauspieler hätte dargestellt werden sollen. Der britische Komiker Ricky Gervais schlug als Lösung für dieses objektive Problem sarkastisch „Marionettentheater“ vor, um die Absurdität der Forderung bloßzustellen.

Wie weit neben der Spur die Neo-Puritaner hier sind, wird deutlich, wenn man den Gedanken zu Ende denkt, dass nur noch Schauspieler Figuren darstellen dürfen, wenn sie im richtigen Leben genauso sind wie die Figur. Können dann nur noch kannibalistische Serienmörder als „Hannibal Lecter“ besetzt werden? Das wird eine neue Herausforderung beim Casting.

Können nur noch schwule Schauspieler für schwule Figuren besetzt werden? Und, schlimmer noch, auch umgekehrt? Die Prognose sei gewagt: Wenn in den Filmen aus der sogenannten US-Traumfabrik nur noch heterosexuelle Schauspieler auch heterosexuelle Rollen spielen dürften, wäre wohl ein recht großer Teil Hollywoods schlagartig arbeitslos.

Und derselbe Irrweg geht nun auch in die entgegengesetzte Richtung.

Es ist unsinnig zu verlangen, dass Schauspieler exakt dieselben körperlichen Voraussetzungen erfüllen müssen wie die Figuren, die sie darstellen. Genauso unsinnig ist es aber zu glauben, dass Schauspieler überhaupt keine körperlichen Voraussetzungen erfüllen müssen, um eine ganz bestimmte Rolle spielen zu können.

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Denn natürlich gibt es elementare körperliche Merkmale einer Figur, durch die bestimmte Schauspieler einfach aus dem Rennen sind: Der Zwerg aus den „Game of Thrones“-Büchern funktioniert nur als Kleinwüchsiger. Der kann unmöglich von, sagen wir: Dwayne „The Rock“ Johnson (1,93 m groß) gespielt werden, sondern eben nur vom im realen Leben kleinwüchsigen Peter Dinklage. Umgekehrt ist es für die ganze Figur des Roman-Helden Jack Reacher sehr wichtig, dass er weit überdurchschnittlich groß ist. Als ausgerechnet Tom Cruise die Rolle spielte – mit 1,70 m einer der kleinsten Stars des großen Kinos – ging die Reacher-Fangemeinde zurecht auf die Barrikaden.

Die Oscar-Gewinnerin Tilda Swinton wird kritisiert, weil sie eine durch und durch asiatische Figur aus den „Dr. Strange“-Superhelden-Comics gespielt hat. Der fernöstliche Charakter ist tatsächlich zentral zum Verständnis dieser Rolle. Da kann man sich schon fragen, ob es unbedingt nötig war, von den Maskenbildnern aus der Schottin einen asiatischen Mönch machen zu lassen – statt gleich einen asiatischen Schauspieler zu engagieren. Auch ein schwarzer James Bond würde einfach der Romanvorlage widersprechen, künstlerische Freiheit hin oder her. Genauso albern wäre es, den Kapitän Ahab aus „Moby Dick“ von einer Frau spielen zu lassen. Oder Anna Karenina von einem Mann.

Besonders krass kann man aus ideologischen Gründen danebengreifen, wenn es um die Besetzung von Rollen geht, für die es reale historische Vorbilder gibt.

Damit sind wir bei der einstmals zurecht weltweit hochangesehenen BBC. Die produziert gerade eine achtteilige Serie mit dem Titel „König und Eroberer“. Darin geht es um die Eroberung Englands durch die Normannen im Jahr 1066 (Menschen, die ihr Abitur außerhalb von Berlin gemacht haben, werden sich an das Datum aus dem Geschichtsunterricht erinnern).

In der TV-Serie gibt es die Figur des Morcar. Das ist der Earl (Graf) von Northumbria, und er kämpft sowohl gegen die normannischen Eindringlinge als auch gegen die Wikinger. Darsteller der Rolle ist der dunkelhäutige Schauspieler Elander Moore.

Da fangen die Probleme an.

Denn Morcar, Earl of Northumbria, ist eine historische Figur. Es gab den Mann wirklich. Er ist keine Erfindung eines Autors. Keine fiktionale Geschichte, sondern echte. Und er war nicht schwarz. Natürlich gilt die künstlerische Freiheit auch für eine Fernsehproduktion, die historische Ereignisse nachzeichnet. Wenn schwarze Schauspieler erfundene Figuren darstellen, ist das kein Problem. Aber so wenig, wie es sinnvoll wäre, einen Weißen die Rolle von Martin Luther King spielen zu lassen, so wenig ist es sinnvoll, dass ein Schwarzer den durch und durch weißen Grafen von Northumbria gibt.

Schon seit längerem versuchen die BBC und vor allem auch Netflix, in historischen Stoffen England eine multiethnische Vergangenheit anzudichten. Das ist allerdings grober Unfug. Aufwändige DNA-Untersuchungen zeigen, dass die Römer zwar durchaus einige schwarze Söldner aus den afrikanischen Kolonien mitbrachten. Sie hinterließen aber fast keine genetischen Spuren in der keltisch-germanischen (walisischen) Bevölkerung. Noch im 18. Jahrhundert hatten weniger als 0,2 Prozent der Briten eine schwarze Hautfarbe, die meisten von ihnen lebten in den Hafenstädten. Dunkelhäutige Adlige wie in „Bridgerton“ gab es schlicht nicht. Selbst Inder gab es auf der Insel vor dem Zweiten Weltkrieg nur ungefähr 7.000 – etwa tausend von ihnen waren Ärzte.

Die Masseneinwanderung begann überhaupt erst so richtig nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Erzählung einer Jahrhunderte alten schwarzen Tradition in England ist eine Erfindung.

Man darf rätseln, ob die BBC bei der Besetzung nur farbenblind war – oder ob sie etwas über die moderne Gesellschaft aussagen will. Oder etwas über eine völlig falsche Vorstellung von der mittelalterlichen Gesellschaft. Jedenfalls sollte „König und Eroberer“ vielleicht mit einem dieser heutzutage so beliebten Warnhinweise ausgestrahlt werden: „Achtung! Die in dieser Serie dargestellten Ereignisse haben keinen Bezug zur historischen Realität.“

Dann wäre auch die Auswahl der Schauspieler völlig wurscht.

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