Tichys Einblick
Klage gegen JP Morgan: Willige Bankiers?

Die Einzelkämpferin gegen das Verschwiegenheitsnetzwerk von Jeffrey Epstein

Die US-Generalstaatsanwältin Denise George hat die Bank JP Morgan Chase wegen Ermöglichung und Unterstützung von Jeffrey Epsteins Menschenhandel angeklagt – wenige Tage später wurde sie ihres Amts enthoben.

Jeffrey Epstein (1953-2019) und seine Partnerin Ghislaine Maxwell

IMAGO / ZUMA Press

Korrupte Politiker, korrupte Medien, korrupte Institutionen – all das nimmt man fast schon als Gegebenheit hin. Dass irgendwelche Regionalpolitiker lukrative Bauaufträge an Freunde vergeben und Intendanten Beraterposten an Verwandte verteilen, ist zwar empörend, versprüht aber im Vergleich zum Dämonischen, das im Verborgenen lauert, fast schon den Charme einer Lappalie.

Manchmal dringen verstörende Teile dieser Schattenwelt an die Oberfläche. Großes Aufsehen erregte in den 90er Jahren der Fall des Sexualstraftäters und Kindermörders Marc Dutroux. Die Hinweise auf etwaige Verbindungen in die Brüsseler Politik wurden nie vollständig entkräftet, stattdessen wurden zum Beispiel Reporter der Berliner Morgenpost, die noch 2012 weiteren Untersuchungen nachgehen wollten, vom Berliner Landeskriminalamt mit Hausdurchsuchungen schikaniert.

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Aber der wohl bekannteste Fall der letzten Jahre ist der Fall von Jeffrey Epstein, ein Aufsteiger in der Welt des Investmentbanking, der in der amerikanischen High Society aufstieg und minderjährige Mädchen an die Reichen und Mächtigen der Welt prostituierte. Auch im Fall von Epstein bleibt vieles im Verborgenen und Spekulativen, sein als Selbstmord eingestufter Tod 2019 rief zwar weltweite Zweifel an der kolportierten Todesursache hervor, sorgte aber dennoch dafür, dass die primäre Informationsquelle ihre Geheimnisse mit ins Grab nahm und sich eine weitere Tür, die Licht ins Dunkel bringen könnte, für immer schloss.
Verschwiegenheitsnetzwerke und das tröpfchenweise Auslaufen des Informationsflusses

Doch es hätte im Fall Epstein auch weitere Anhaltspunkte geben können. Als 2020 Epsteins Komplizin Ghislaine Maxwell festgenommen wurde, keimte neue Hoffnung auf, dass die Kunden und Hintermänner von Epstein ans Tageslicht gelangen könnten. Maxwell selbst gab zu Protokoll, dass sie, wohl in der Hoffnung auf vermindertes Strafmaß, die Namen von acht „Kunden“ von Epstein nicht länger geheim halten würde. Veröffentlicht wurde bisher allerdings nur sehr wenig. Zwar enthüllte die Richterin Preska, die Maxwell bereits im Sommer zu 20 Jahren Haft verurteilt hatte, im November 2022 einige der zuvor anonym behandelten Namen, diese offenbarten aber nicht so sehr nachweisliche Kunden von Epstein als vielmehr die Namen einiger weiterer Opfer, einiger Personen aus dem Dunstkreis Epsteins, sowie einer Assistentin von Maxwell.

Die Zurückhaltung der Justiz bei der Veröffentlichung der Namen wird mit der Wahrung der Privatsphäre von nicht direkt in die Klage der Epstein-Opfer involvierten Parteien begründet, da diese nicht zwingend namentlich bekannt gemacht werden müssen und sie eine Verbindung zu Epstein aus nachvollziehbaren Gründen vermeiden möchten. Angesichts der Tatsache, dass die in dieser Klage versammelten Opfer aber nur die Spitze des Eisbergs der Missbrauchsaktivitäten darstellen, ist die Frage legitim, inwiefern damit nachvollziehbare Persönlichkeitsrechte gewahrt bleiben – oder mächtige Hintermänner gedeckt werden sollen.

Leider umgibt solche Überlegungen immer auch ein Hauch des Verschwörungstheoretischen, weswegen viele Menschen darauf konditioniert sind, berechtigte Skepsis ihrerseits anzuzweifeln. Dabei ist es dem regelmäßigen Versagen der Justiz in solchen Missbrauchsskandalen zu verdanken, dass solche Zweifel an der Wirkungsweise der Judikative sich manifestieren. Nirgendwo wird das deutlicher, als bei einer objektiven Betrachtung des Falls Epstein, denn die einzige Person, die momentan im Gefängnis für ihre Verstrickungen in den jahrelangen Missbrauch minderjähriger Mädchen durch reiche und mächtige Männer einsitzt, ist eine Frau: Ghislaine Maxwell. Man muss kein Feminist sein, um zu erkennen, dass das nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann.

Die Hoffnung aber stirbt zuletzt und die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Gewappnet mit diesen zwei Phrasen pocht man nun darauf, dass womöglich doch noch etwas ans Tageslicht kommt, auch wenn uns die Erfahrung etwas anderes lehrt. Der Nachteil langjähriger Rechtsstreitigkeiten liegt oftmals darin, dass sich zum Schluss kaum noch jemand für den Fall interessiert. In gewisser Weise droht auch hier ein ähnliches Vergessen. Während Maxwells Verurteilung noch ein gewisses Medienecho erfuhr, wurde die unvollständige Veröffentlichung einiger Namen im November 2022 medial kaum noch wahrgenommen. Tröpfchenweise versiegt so der Informationsstrom und mit ihm das Interesse der Öffentlichkeit.

JP Morgan: Epsteins willige Bankiers?

Es gibt aber bis heute mutige Menschen, die sich nach wie vor dem Verschwiegenheitsnetzwerk entgegenstellen und weitere Nachforschungen anstellen. Der Mut dieser Leute darf, angesichts ihrer potenziellen Feinde, nicht unterschätzt werden. Eine solche Person ist die – nunmehr ehemalige – Generalstaatsanwältin der amerikanischen Jungferninseln, Denise George.

Nachdem George sich bereits im November des Vorjahres nach jahrelangen Rechtsstreitigkeiten mit den Nachlassverwaltern Epsteins auf einen Ausgleich in Höhe von 105 Millionen Dollar geeinigt hatte – das Geld soll zur Gänze in die Entwicklung lokaler Projekte auf den armutsgeplagten Jungferninseln fließen –, machte die Generalstaatsanwältin kurz vor Jahresende noch einmal auf sich aufmerksam, als sie eine Klage gegen niemand geringeren als die größte Bank der USA, JP Morgan Chase, einreichte, in der sie die Bank beschuldigte, Epsteins Menschenhandel durch bewusstes Wegsehen „ermöglicht, unterstützt und verborgen“ zu haben.

Keine unbedeutenden Anschuldigungen, die George in ihrer 30-seitigen Anklageschrift gegen den Finanzgiganten erhebt. Anschuldigungen, derer sie sich nach fast dreijähriger Recherche in dem Fall wohl auch ziemlich sicher sein muss, angesichts der Tatsache, dass die Verteidigung von JP Morgan wohl kaum am Budget scheitern dürfte.

In der Anklage behauptet George, dass JP Morgan über zehn Jahre lang Beweise für Menschenhandel auf Epsteins Konten bewusst ignorierte. Der Grund? Sein „finanzieller Fußabdruck“, sowie die „Deals und Kunden“, die er der Bank brachte. Die diesbezüglichen Entscheidungen wurden auf höchster Führungsebene abgesegnet, obwohl der Bank das nahe Verhältnis einiger Führungskräfte zu Epstein bekannt gewesen sein musste.

Der Vorwurf lautet, dass die Aktivitäten auf den Konten Epsteins niemals durch die Schutzvorrichtungen gegen Geldwäsche hätten rutschen dürfen. Entsprechend hätte JP Morgan schon vor langer Zeit die verdächtigen Kontoaktivitäten den Behörden melden sollen, was die Bank aber unterließ. Erst nach dem Tod Epsteins hatte JP Morgan entsprechende Schritte eingeleitet.

Die Vorwürfe der Generalstaatsanwältin decken sich somit mit weiteren Klagen ehemaliger Opfer Epsteins, die bereits Ende November 2022 Klagen gegen JP Morgan und die Deutsche Bank eingereicht hatten. Eine offizielle Stellungnahme von Seiten JP Morgans gibt es bislang nicht, lediglich eine „Quelle aus dem Umfeld“ der Bank gab zu Protokoll, dass die Zusammenarbeit mit Epstein angeblich „lange bevor dessen Verbrechen bekannt wurden endete“. Man darf sich aber fragen, ob so etwas einer Generalstaatsanwältin, die soeben 105 Millionen Dollar an Schadenersatz von Epsteins Nachlass erkämpfte, nicht aufgefallen wäre.

Zwar ist die Anklageschrift von George im Internet erschienen, allerdings sind weite Teile der Passagen, die vom Fehlverhalten der Bank und ihrem Führungspersonal handeln, darin geschwärzt worden, wodurch wieder einmal Namen und konkrete Vorwürfe größtenteils im Dunkeln bleiben.

Schöne Karriere haben sie da, wäre schade, wenn ihr etwas zustoßen würde

Nun könnte man darauf hoffen, dass mit diesem Fall der Gerechtigkeit doch noch Genüge getan werden könnte, aber die Vorzeichen stehen nicht gut. Während JP Morgan zwar offiziell schweigt, haben sich die Rädchen der Politik andernorts in Bewegung gesetzt. Nur wenige Tage, nachdem George ihre Anklage offiziell eingereicht hatte, wurde sie vom Gouverneur der Jungferninseln, Albert Bryan, ihres Amtes ohne weitere Erklärung enthoben. Angesichts dessen, dass George erst kürzlich einen dreistelligen Millionenbetrag für die Jungferninseln erstritten hatte, wirft diese Entscheidung mehr als berechtigte Fragen auf.

Gouverneur Bryan selbst gibt sich bedeckt, laut einem Sprecher ist die Darstellung, die Entlassung wäre aufgrund der erfolgten Anklage gegen JP Morgan zustande gekommen, „nicht ganz richtig“. „Nicht ganz“, aber ein bisschen schon? „Quellen aus dem Umfeld“ berichten auch hier, dass es zwischen Bryan und George bereits längere Zeit Spannungen gegeben hat. Laut dieser Berichte fühlte sich Bryan übergangen, da George ihn nicht über die Entwicklungen ihrer Anklageschriften auf dem Laufenden hielt. Dazu ist sie allerdings rechtlich nicht verpflichtet.

Natürlich sind zwischenmenschliche Konflikte nie auszuschließen, aber es lohnt dennoch auch hier einen Blick auf die Vorgeschichte zu werfen. George hatte im Laufe ihrer jahrelangen Ermittlungen gegen Epstein mehrere einflussreiche Männer mit Beziehungen zu Epstein vorgeladen, unter anderem den Wall Street Milliardär Leon Black. Erschwert wurden ihre Untersuchungen aber auch durch die Verstrickungen lokaler Autoritäten zu Epstein, der sich in bester Philanthropen-Manier spendabel präsentierte, wobei sowohl die Lokalpolitik finanzielle Zuwendungen von ihm erhielt als auch Schulen von Epsteins Stiftungen gesponsert wurden. Im Gegenzug erhielt Epstein steuerliche Vorteile, mit denen er zig Millionen an Steuergeldern einsparen konnte.

Der Demokrat Bryan wurde zwar erst 2018 zum Gouverneur der Jungferninseln gewählt, war davor allerdings Vorsitzender jener Agentur für Wirtschaftsförderung, die Epstein eben diese Steuervorteile zukommen ließ. Genaueres ist, wie üblich, vorerst nicht bekannt. Außer dass Bryan sich natürlich auch heute noch sehr um die wirtschaftliche Zukunft der Jungferninseln sorgt, sodass er seine Begeisterung nicht verhehlen konnte, als Joe Biden am selben Tag, an dem die Anklage von George gegen JP Morgan beim New Yorker Amtsgericht einging, zu einem mehrtägigen Urlaub zwischen den Jahren auf den Jungferninseln landete. Biden hatte diese in der Vergangenheit immer wieder besucht, es handelte sich diesmal aber um seinen ersten Besuch seit Corona.

Größere öffentliche Auftritte waren nicht geplant, stattdessen ein wenig Familienurlaub und natürlich einige Treffen mit Politikern vor Ort. Bryan freute sich laut einem Bericht bereits auf die Gelegenheit, um mit dem US-Präsidenten über die Energiekrise und den Übergang zu erneuerbaren Energien zu sprechen, wobei er auch betonte, dass der Besuch „die ganze Nation daran erinnert, dass wir Amerikaner sind und einen Lebensstandard, Repräsentanz und Leistungen verdienen, den Bewohner des Festlandes schon lange kennen“.

Die Amtsenthebung von George wenige Tage später hatte damit natürlich nichts zu tun; wer anderes behauptet, begibt sich auf das Feld reiner Spekulation und von Verschwörungstheorien. Sollte es dazu einmal Twitter-Files geben, könnte die Tagesschau diese zumindest einordnen, ansonsten ist die Sache nicht der Rede wert.

Doch wenn wir makabren Zynismus einmal beiseite lassen, kann man nur dankbar sein, dass es noch mutige Frauen wie Denise George gibt, die genügend Mumm besitzen, ihre Verantwortung wahrzunehmen und sich einem Apparat politisch-finanzieller Verstrickungen mit dunkelsten Abgründen entgegenzustellen. In einer Stellungnahme für die New York Times schrieb George: „Keine Institution, Organisation oder Person sollte tabu sein, egal wie reich oder mächtig sie ist. […] Die Ausübung der Pflichten des Generalstaatsanwalts sollte nicht unvereinbar mit dem Amt des Generalstaatsanwalts sein.“

Vorläufig gibt es keine Hinweise darauf, dass die Anklage unter dem Nachfolger von Denise George zurückgezogen wird. Doch die Mühlen der Justiz mahlen langsam und das Gedächtnis der medialen Öffentlichkeit ist kurz. Womöglich offenbart erst eine kurze Internetsuche in einem halben Jahr eine Quelle, die still und leise den weiteren Fortgang dieser Affäre dokumentiert. Wobei man sich vor allzu großen Erwartungen wohl hüten sollte, denn selbst im Falle einer Verurteilung von JP Morgan werden wohl auch dann weiterhin viele Namen geschwärzt bleiben und jene, die zu tief nachgraben, vielleicht ihren Job verlieren.

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