Tichys Einblick
Rabats Diplomatie erreicht Höhepunkt

Spanien: Gemeinsame Sache machen mit Marokko

Bisher gab es kaum Asylsuchende in Spanien, 2018 stellt einen Wendepunkt dar. Sánchez traf jetzt den marokkanischen König, um diesen für ihn auch politisch gefährlichen Strom zu beenden.

Morocco's Prime Minister Saad Eddine el-Othmani (R) and his Spanish counterpart Pedro Sanchez give a joint press conference in the Moroccan capital Rabat on November 19, 2018.

FADEL SENNA/AFP/Getty Images

2018 kristallisiert sich immer mehr zu einem Jahr der gröβten Herausforderungen für die spanische Einwanderungspolitik heraus. Auf einmal ist „Rechts” auch in Spanien ein Problem. Die Partei VOX ist noch unbedeutend, aber die Zahl der Anhänger wächst. Bisher war Spanien eher als Wüste für Immigranten bekannt: Die meisten Anträge wurden abgelehnt oder gar nicht erst bearbeitet. Mehr als eine halbe Million illegale Immigranten leben deswegen in Spanien ohne Papiere. Kaum einem fällt es auf, die Politiker schauen weg.

2018 geht als Rekordjahr in die spanischen Geschichte ein

In diesem Jahr hat sich alles geändert. Hinsehen ist jetzt angesagt. Nicht nur wurde ein starker Anstieg der minderjährigen Immigranten von Marokko registriert, die nicht so einfach zurückgeschickt werden können, sondern auch eine Explosion der Asyl-Anträge. Gab es 2014 rund 6.000 Immigranten, die vom spanischen Staat Schutz forderten, sind es in diesem Jahr 60.000. Die Situation ist so dramatisch, dass die spanische Agentur für Asyl und „Flüchtlinge” OAR kurz vor dem Zusammenbruch steht, weil sie dem plötzlichen Verwaltungsaufwand nicht mehr Herr wird. Im Dezember ist dort zudem eine drastische Personalkürzung vorgesehen.

Aufgrund dieses Chaos rückt Immigration wieder ganz nach oben auf die Agenda der spanischen Regierung und die lauten katalanischen Separatisten rutschen wieder ein wenig nach unten. Der agile Premier Pedro Sánchez muss nach seinen von viel Medienrummel begleiteten Reisen in die USA, nach Lateinamerika und Frankreich jetzt endlich auch in Marokko die wirtschaftlichen und politischen Interessen seines Landes mit gröβerer Vehemenz vertreten, glaubt die konservative Opposition.

Marokkaner müssen mehr Immigranten zurückführen

Sánchez hat lange auf einen Termin gewartet. An diesem Montag wurde der polyglotte Politiker endlich von seinem Amtskollegen Saadedín Al Othmani in Rabat empfangen. Die Marokkaner machen es immer spannend und so war bis zur letzten Minute nicht klar, ob er bei diesem Besuch auch den erkrankten König Mohamed VI treffen würde. Am Ende hat das für beide Länder und auch für die Immigrationspolitik der EU wichtige Treffen noch hingehauen. Begleitet wurde Sánchez von seinem Innenminister Fernando Grande-Marlaska, der bereits im Sommer mit seinem Amts-Kollegen wegen der nicht nachlassenden Welle von jungen Afrikanern nach Spanien darauf drängte, dass Marokko seine Grenzen schütze. Viel geholfen hatte das bisher nicht.

Die Tatsache, dass Sánchez für die Marokkaner ein Budget von 140 Mio. Euro in Brüssel herausgeschlagen hat, um die Grenzen besser zu sichern, hat sich ebenfalls noch nicht in einem Rückgang der illegalen Immigranten bemerkbar gemacht. In diesem Jahr sind knapp 44.000 über die Straße von Gibraltar nach Spanien gekommen, das sind 152 Personen am Tag und 200 Prozent mehr als im Vorjahr. Damit wurde auch der Rekord von 2006 gebrochen, als knapp 40.000 hauptsächlich auf die Kanarischen Inseln flüchteten. Die Marokkaner sollten gemäss Rückführungsabkommen eigentlich 25 pro Tag akzeptieren, nehmen jedoch derzeit nur 10 der von Spanien Abgeschobenen wieder auf.

Marokko fordert Entwicklungshilfe für die afrikanischen Länder

Sánchez versucht es jetzt anders, indem er die unternehmerischen Bande beider Länder durch einen gemeinsamen Wirtschafts-Gipfel stärken will, den er bei dem Besuch ankündigt. Auβerdem kommt er der Forderung der Marokkaner nach, die Anzahl der Stipendien für marokkanische Studenten zu erhöhen. Sánchez ist seit Anfang Juni im Amt, aber er hat schnell gelernt, wie die Beziehungen mit Marokko funktionieren: Es ist ein plumper europäischer Kuhhandel oder vielleicht auch manchmal einfach ein arabischer Bazaar: Es wird geschachert und geschoben. Sánchez hat deswegen in Rabat auch angekündigt, dass er zusammen mit Marokko und Europa ein Rückkehr-Programm für Immigranten auf den Weg bringen wird. Außerdem will er seine EU-Kollegen überzeugen, die Subsahara besser finanziell zu unterstützen. Von dort kommen derzeit die meisten Immigranten. Die dortigen Länder leiden oft unter einer wirtschaftlichen und sozialen Aussichtslosigkeit sowie kriegerischen Konflikten.

Weil Sánchez weiβ, wie wichtig es für Marokko ist, in Europa und in der internationalen Welt eine wichtige Stimme zu haben, hat er bei seinem Besuch vorgeschlagen, zusammen mit Portugal der FIFA ein Projekt für die WM 2030 vorzulegen. Er weiβ, dass der Frust Marokkos in Sachen Anerkennung groβ ist. Nicht nur haben sie schon ohne Erfolg versucht, 2026 Gastgeberland der WM zu sein, Mohameds VI Traum, Brücken nach Europa zu schlagen, bleibt ebenfalls unerfüllt. Es finden sich keine Investoren für den geplanten Tunnel nach Spanien. Fußball könnte Marokko wieder näher an Europa binden.

Bilaterale Beziehungen werden wieder aktiviert

Dennoch: Wegen der spanischen Exklaven auf marokkanischem Boden sind die Beziehungen beider Länder von jeher delikat, auch der Streit um die Unabhängigkeit der Westsahara, die viele internationale Organismen verlangen, Marokko aber ablehnt. Der König bietet dort mehr Autonomie an, will aber keine Selbstbestimmung in dem besetzten Gebiet. Weil Spanien mit Katalonien in einer ähnlichen Falle sitzt und Marokko als strategischen Partner auf dem Meer braucht, hält sich die spanische Regierung bei diesem Konflikt zurück, was Saadedín Al Othmani sehr zu schätzen weiss. Er überschüttet Sánchez bei seinem Besuch mit Komplimenten: “Es war ein sehr gutes Treffen, wir helfen einander und wissen uns von Spanien verstanden und sehr gut in Europa vertreten“. Dass beide Länder „volle Synthonie“ bekunden, wird von der spanischen Presse eher als ironisch empfunden, da keine Beziehung der Spanier wohl so komplex und gefährlich für die eigene Sicherheit ist.

Deswegen sind stärkende Verbindungen wichtig, glaubt der außenpolitische Stab der regierenden PSOE. Der spanische Premier wird deswegen im kommenden Monat an einem Gipfel teilnehmen in Marrakesch, der von König Mohamed VI und der UN zum Thema Klimawandel und Armut in die Wege geleitet wurde: „Wir brauchen eine integrale Immigrationspolitik. Die Menschen brauchen eine hoffnungsvolle Zukunft in ihrer Heimat“, erklärt Sánchez, selber überrascht über die fast schon übertriebenen Ehren, die ihm im Nachbarland nach Monaten der Ignoranz zuteil werden. Dass es einen „Marschall-Plan“ für Afrika geben muss, ist derzeit einer der wenigen Punkte, wo der spanische Oppositonsführer Pablo Casado und der Premier einer Meinung sind: „Es kommen immer mehr schwangere Frauen bei uns an, die auf dem Weg vergewalttigt oder als Sex-Sklavinnen benutzt wurden, weil dann die Überfahrt nach Spanien billiger ist. Wir dürfen solche Entwicklungen, die auf einer enormen Verzweiflung und auf einer enormen kriminellen Energie basieren, nicht zulassen“, sagt der Vorsitzende der konservativen Volkspartei PP.

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