Was hatten sie sich doch alle echauffiert in den Redaktionsräumen von CNN, der Washington Post oder den deutschen Qualitätsmedien, als im August letzten Jahres bei einer groß angelegten Razzia in Donald Trumps Anwesen Mar-a-Lago als streng geheim klassifizierte Dokumente gefunden wurden. Der ungeliebte Ex-Präsident solle automatisch und umgehend von allen öffentlichen Ämtern fern gehalten werden, vor einen Schnellrichter gestellt und verurteilt werden, forderte man.
Über den Inhalt der Dokumente weiß man bis heute nichts, nur eines ist sicher: Trump sitzt nach wie vor nicht in dem Hochsicherheitstrakt, in dem viele Kommentatoren ihn lieber heute als morgen sehen möchten.
Wenn zwei das Gleiche tun…
Die gleichen Medien mussten jetzt widerwillig berichten, dass auch bei Joe Biden in privaten Büroräumen streng geheime Akten gefunden wurden. Aber natürlich sei das jetzt etwas ganz anderes als bei Trump, wurde sofort relativiert. Rechtsberater des amtierenden US-amerikanischen Präsidenten hätten den Auftrag gehabt, dessen privates Büro in Washington auszuräumen. Dabei fand ein Anwalt die streng geheimen Akten, informierte umgehend das Nationalarchiv, welches wiederum umgehend die Unterlagen abholen ließ.
Geradezu vorbildlich sei das abgelaufen, ganz anders als bei Trump und daher überhaupt nicht vergleichbar. Joe Biden, der natürlich überhaupt nicht wusste, dass sich diese streng geheimen Akten in seinem privaten Büro befanden, äußerte sich kurz: „Die Leute wissen, dass ich Verschlusssachen und geheime Dokumente ernst nehme.“ Gott sei Dank! Fast möchte man applaudieren. Nichts passiert, bitte weitergehen!
Doch halt, schauen wir einmal genauer hin. Ist wirklich nichts passiert? Handelt es sich hier wirklich um zwei komplett unterschiedliche Vorgänge? Ist Bidens „Versehen“ tatsächlich Lichtjahre von den „schweren Vergehen“ Trumps entfernt? Hat Biden wirklich quasi vorbildlich gehandelt, da er überhaupt nichts von den geheimen Unterlagen in seinen Schränken wusste, während Trump die Dokumente aus machtpolitischen, hinterhältigen Motiven aufbewahrte? Oder handelt es sich hier um einen echten Skandal im Sperrbezirk?
Auffällig ist zunächst einmal die Timeline. Die Hausdurchsuchung in Trumps Anwesen Mar-a-Lago fand im August, drei Monate vor den Midterms, quasi vor den Augen der Öffentlichkeit statt. Reporter waren informiert, Kameras aufgebaut, das Ganze wirkte inszeniert und bei genauerem Hinsehen leicht übertrieben. Dagegen wurde der Aktenfund bei Biden, der sich übrigens bereits am 2. November ereignete, sechs Tage vor den Midterms, bis heute unter den Teppich gekehrt. Sollten Medien davon gewusst haben, entschieden sie sich offensichtlich bewusst, nicht darüber zu berichten, um die Midterms nicht zu beeinflussen. Lieber wies man in einer Endlosschleife auf die Ermittlungen gegen Trump hin. Talkshow Moderatorin Liz Wheeler meint dazu: Das sind nicht nur Heuchler, das sind Elitäre. Sie glauben einfach, für sie gelten andere Regeln.
Auch der Aktenfund selbst wirkt bei genauerem Hinsehen merkwürdig. Bidens Anwalt sollte das Büro im Penn Biden Center in Washington, DC entrümpeln, lautet das Narrativ. Er entdeckt dabei in den Aktenschränken diverse Kartons, öffnet einen, findet einen braunen Umschlag auf dem „streng geheim“ steht, und handelt dann quasi nach Lehrbuch. Er schaut sich weder den Inhalt des Umschlags noch die anderen Kartons an, lässt stattdessen alles stehen und liegen, ruft die Behörden an und sorgt dafür, dass alle Kartons ins Nationalarchiv kommen, damit die Fachleute dort entscheiden können, was mit den Unterlagen passiert. Die Verschlusssachen wurden mittlerweile untersucht und auf die Zeit zwischen 2013 und 2016 datiert. Damals war Biden Vizepräsident.
Ich bin kein Anwalt, aber von 10 Leuten, die ich fragte, ob sie den Umschlag geöffnet hätten, antworteten 10: „Ja, klar.“ Die Frauen lachten nur, als sie hörten, der Anwalt hätte angeblich gar nichts gelesen. Und alle waren sich einig, dass sie zumindest den Karton nach weiteren Unterlagen durchgeschaut und die anderen Kartons geöffnet hätten. Ein normaler Mensch macht sich erst einmal einen Überblick und telefoniert mit dem Besitzer des Büros, bevor er alle Unterlagen den Behörden übergibt. Schließlich handelte es sich bei dem Großteil der Unterlagen um private Dokumente der Familie Biden, darunter Materialien über Beau Bidens Bestattungsvereinbarungen und Kondolenzschreiben, wie CNN berichtete. Aber gut, nehmen wir die Geschichte einmal für bare Münze.
Schauen wir uns als Nächstes den Sicherheitsaspekt genauer an. Trumps Unterlagen waren in Mar-a-Lago in einem extrem gesicherten Raum gelagert. Der Raum hatte eigene Zugänge, die mit speziellen, vom FBI eingebauten Schlössern gesichert waren. Das FBI hatte die Kombination zu den Schlössern, hätte also jederzeit Zutritt zu den Unterlagen gehabt. In Bidens Büro im Penn Biden Center in Washington, DC, lagerten die Unterlagen in einem ganz normalen Aktenschrank. Eine Putzfrau hätte sich in ihrer Nachtschicht die streng geheimen Akten womöglich durchlesen und kopieren können.
Der große Unterschied zwischen beiden Fällen: Biden und seine Anwälte haben die Unterlagen unaufgefordert ans Nationalarchiv abgegeben, Trump händigte freiwillig nur einen Teil der Akten aus. Nicht einmal durch eine gerichtliche Vorladung ließ er sich davon abhalten, etliche der vertraulichen Dokumente als einen quasi persönlichen Besitz anzusehen, den er in ein privates Archiv statt ins Nationalarchiv überführen wollte. Bei den circa 300 geheimen Dokumenten, die bei Trump gelagert wurden, handelte es sich um Informationen über das iranische Raketenprogramm und geheime Operationen der Amerikaner in China. Die Unterlagen bei Biden enthielten mindestens 10 geheime Dokumente, darunter US-Geheimdienstmemos und Briefing-Materialien, die Themen wie die Ukraine, den Iran und das Vereinigte Königreich betrafen.
Was sagen die Delinquenten über das Fehlverhalten des jeweils anderen? Biden war bezüglich der bei Donald Trump gefundenen Unterlagen im vergangenen Jahr eindeutig. Wie so etwas nur passieren könne, klagte er im „60 Minutes“-Interview auf CBS. Die Aufbewahrung der Akten in Privaträumen sei komplett verantwortungslos. Trump konterte jetzt auf seinem Netzwerk Truth Social: „Wann wird das FBI die Häuser von Joe Biden, vielleicht sogar das Weiße Haus durchsuchen?“
Wie geht es weiter? Justizminister Merrick Garland beauftragte John Lausch jr., einen Bezirksstaatsanwalt in Chicago, damit, die Dokumente aus Bidens Aktenschrank zu untersuchen. Lausch war unter Trump nominiert worden, gilt als unvoreingenommen. Er hat den ersten Teil seiner Untersuchung bereits abgeschlossen und Garland seine vorläufigen Ergebnisse zur Verfügung gestellt. Garland muss nun entscheiden, ob eine strafrechtliche Untersuchung gegen den amtierenden Präsidenten eingeleitet wird. Eine verzwickte Lage für den Justizminister, der im letzten Jahr an einigen der wichtigsten Entscheidungen im Zusammenhang mit der Untersuchung von Trump-Dokumenten und der Entscheidung beteiligt war, das FBI zur Razzia nach Mar-a-Lago zu schicken.
Als die ersten Berichte über den Aktenfund bei Biden in den Medien erschienen, saß Garland zufällig neben Biden bei dem diplomatischen Gipfel in Mexiko. Reporter stellten beiden Männern Fragen zur Untersuchung. Sowohl der Präsident als auch der Justizminister ignorierten die Fragen.
Die Republikaner im Repräsentantenhaus haben nun angekündigt, die Vorgänge genau untersuchen und auch das Nationalarchiv in die Untersuchung einbeziehen zu wollen. Zu den für die Untersuchung angefragten Unterlagen gehören: alle Dokumente, die aus Bidens persönlichem Büro abgerufen wurden; eine Liste der Personen, die Zugang zu diesem Büro hatten; alle Dokumente und Mitteilungen zwischen dem Weißen Haus, dem Justizministerium und dem Nationalarchiv in Bezug auf die abgerufenen Dokumente; und alle Dokumente und Mitteilungen im Zusammenhang mit dem Vorfall. Die Unterlagen seien spätestens am 24. Januar zu übergeben.