Seit den epochalen Ereignissen der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts und dem ersten Jahrzehnt danach haben viele Daten und Anlässe in fast schon inflationärer Weise die Qualität von historisch zugesprochen bekommen. Das, was von heute an bis zum kommenden Mittwoch in London, Brüssel und Genf besprochen wird, verdient in seinen Ergebnissen mit vollem Recht schon jetzt die Bezeichnung historisch. Der erste Europa-Besuch des neuen amerikanischen Präsidenten Joe Biden ist absichtsvoll orchestriert. Wie bei einem Turmbau setzt ein Klötzchen auf das vorige auf.
Hier stehen globale Themen auf der Tagesordnung: Biden, so hört man, hat eine weltweite Impfstrategie in der Tasche und will zugleich hunderte von Millionen Impfdosen als Geschenk für ausgewählte arme Länder offerieren. Fragen des internationalen Handels kommen ebenso zur Sprache und auch dieses G 7-Treffen der führenden westlichen Industrienationen wird vom Umgang mit dem Klimathema bestimmt sein.
Zu Beginn der Woche geht es dann ans Eingemachte: Nato-Gipfel in Brüssel. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Trump, der innerlich das Verteidigungsbündnis schon aufgegeben hatte, ist der neue Mann im Weißen Haus ein zutiefster Anhänger des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses. Schon vor seinem Abflug aus Washington hatte Biden den Zusammenhalt der USA mit seinen europäischen Verbündeten als weiterhin notwendig beschworen. Einmal mehr hob er die Bedeutung westlicher Werte, an erster Stelle der Freiheit, für das Glück der Menschen hervor. Das 21. Jahrhundert, so Biden, werde im Zeichen des Wettbewerbs zwischen Demokratie und Diktatur stehen.
Als größte Herausforderung bezeichnete Biden China und Russland. Die Absichten eines Staates wie China, welcher offen den Untergang der Demokratien voraussage, müssten ernst genommen werden. Unausweichlich wird der Amerikaner die Frage stellen „Where is the beef“? Immer dann wollen amerikanische Verhandler Klartext sprechen: Wo steht ihr? Was seid ihr bereit, zu unserem gemeinsamen Erfolg beizutragen? Wo können wir nicht mit euch rechnen? Insbesondere der deutsche Partner mit Merkel am Verhandlungstisch dürfte sich da schwer tun. Großbritannien wird stehen, Frankreich wird herumtänzeln – sichere Pfeiler sind für Washington die Staaten Osteuropas und Skandinaviens, Südeuropa richtet sich nach dem Lauf der Dinge.
Schlusspunkt wird dann in Genf das Gipfeltreffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin sein. Jedermann weiß, dass die beiden Männer sich nicht mögen. Jede Art von Kumpelhaftigkeit mit Leuten wie dem Kreml-Herrscher ist Biden von Natur aus fremd. Für sein Gegenüber, den ehemaligen KGB-Offizier, gehört kühle Berechnung und Distanz zum Jobprofil. Themen haben die beiden mächtigen Männer genug. Je nachdem, wie der Nato-Gipfel ausgeht, wird Biden sich in Genf verhalten. Verweigert ihm vor allem Deutschland die Gefolgschaft, dürfte unverbindliche Freundlichkeit das Treffen beherrschen. Washingtons Strategie würde sich ändern müssen und Moskau bekäme einen neuen Stellenwert im Poker des 21. Jahrhunderts – für Europa aber brechen so oder so neue Zeiten an.