Das Gespräch zwischen den beiden Staatschefs dauerte nur wenige Sekunden. Das kurze Video, das Chinas Präsident Xi Jinping und den kanadischen Premierminister Justin Trudeau am Rand des G20-Gipfels auf Bali zeigt, könnte trotzdem in die Geschichte eingehen. In den chinesischen Netzwerken und weltweit fand die Dokumentation der informellen Begegnung von beiden innerhalb kurzer Zeit ein Millionenpublikum. Das Video, das wie eine Amateuraufnahme wirkt, demonstriert das pralle Selbstbewusstsein, mit dem Chinas Führung neuerdings dem Westen gegenübertritt.
Was war passiert?
Kurz zuvor hatte es im Rahmen des G20-Treffens ein Gespräch zwischen Trudeau und der chinesischen Seite gegeben. Details aus der Unterredung landeten in den Medien – durchgestochen offenbar von den Kanadiern. Trudeau pflegt das Image eines Politikers, der weltweit Menschenrechte anmahnt, auch gegenüber China. Bei ihrer Begegnung im Stehen beschwert sich Chinas Staatschef darüber, dass Details aus dem Gespräch in mehreren Zeitungen landeten, und seiner Meinung nach den Inhalt auch nicht korrekt wiedergeben würden: „Das ist nicht angemessen. Und das war nicht die Art, wie das Gespräch geführt wurde.“ Trudeau verzichtete darauf, sich zu verteidigen, sondern sagte lediglich, er glaube „an einen offenen und freimütigen Dialog“, in dem es auch immer wieder bei bestimmten Themen zum Dissens kommen könne. Xi Jinping erwidert, das sei „großartig. Aber erst mal die Bedingungen dafür schaffen“.
Das Entscheidende liegt nicht nur in den Worten, sondern auch in der Bildsprache: Xi verzichtet auf diplomatische Höflichkeitsfloskeln; das Gespräch wirkt weniger wie die Begegnung zweier gleichrangiger Staatschefs, sondern auch in der Gestik eher so, als würde ein Vorgesetzter einen Untergebenen abkanzeln. In Chinas sozialen Medien fand das Video eine derart starke Resonanz, weil Xi Jinping nach chinesischen Maßstäben außerordentlich rüde und direkt auftritt. Für eine Kultur, in der die direkte Konfrontation nur selten vorkommt, steht der kurze Dialog für eine neue Phase im Umgang mit dem Westen.
Außenpolitisch steht China trotz der Wachstumsschwäche im Inneren so stark da wie noch nie zuvor. Das zeigte das Treffen in Bali auch auf andere Weise: US-Präsident Biden sprach drei Stunden mit Xi Jinping, und schlug dort deutlich moderatere Töne an als zum Beginn seiner Präsidentschaft. Von seinem Ziel, das asiatische Reich international zu isolieren, rückt er offenbar ab, wenn auch nicht freiwillig. Chinas Führung ging bei dem G20-Treffen im Vergleich zu früher schon deutlich auf Distanz zu Putins Russland. Vom strategischen Hauptgegner der USA verwandelt sich die neue Supermacht zu einem umworbenen Vermittler.
Dieses chinesische Selbstbewusstsein zeigte sich auch darin, dass Xi in Indonesien ein Treffen mit dem neuen britischen Premier Rishi Sunak platzen ließ. Es wäre das erste direkte Gespräch eines britischen Regierungschefs mit dem chinesischen Führer seit 2018 gewesen.
Mit Befriedigung dürfte es Chinas Führung auch registriert haben, dass die EU Ende Oktober das endgültige Aus für Verbrenner-Autos bis 2025 besiegelt hatte. Die strategische Verengung auf Batterieautos bringt China auch hier in eine Schlüsselposition: Das Land dominiert den Markt für seltene Erden, die für die Batterieherstellung unerlässlich sind. Die Abhängigkeit von China – übrigens auch bei Solarmodulen, deren Installation Wirtschaftsminister Robert Habeck stark ausweiten will – dürfte schon in Kürze die frühere Energieabhängigkeit Westeuropas von russischem Erdgas weit übertreffen.